26. Juli 2023
Veröffentlichungsreihe – 25 von 61 Insights
Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen schneller gehen. Wir brauchen Beschleunigung. Über keine andere politische Forderung dürfte so große Einigkeit bestehen wie über diese und kaum ein anderer Begriff war in den vergangenen Jahrzehnten so häufig Titel von Gesetzgebungsoffensiven und politischen Agenden. Die Forderung ist älter als die Bundesrepublik selbst und doch so aktuell wie nie zuvor. Denn ohne Beschleunigung keine Energiewende – und ohne Energiewende keine Wende im Kampf gegen den Klimawandel.
Eine zentrale Rolle bei der Beschleunigung der Energiewende kommt § 2 Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zu. Die Norm wurde im Zuge des „Osterpakets“ völlig neu gefasst und feiert nun ihren ersten Geburtstag. Das Besondere: Erstmals modifiziert der Gesetzgeber nicht nur Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, sondern verändert die materiellen Maßstäbe für die Beurteilung von EE-Projekten. Zum Auftakt unserer Beitragsreihe beantwortet unsere Expertin Dr. Julia Wulff die wichtigsten Fragen um Inhalt und Funktionsweise der Neuregelung.
Nach § 2 Satz 1 EEG stehen die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der Erneuerbaren Energien im überragenden öffentlichen Interesse und dienen der öffentlichen Sicherheit. Den Begriff „überragendes öffentliches“ Interesse kennt man bereits aus verschiedenen Ausnahmeregelungen, inzwischen ist er ja außerdem auch Schienen- und Straßenprojekten zuteil geworden.
Wirklich bemerkenswert ist daher vor allem § 2 Satz 2 EEG: Danach sollen die Erneuerbaren Energien als vorrangiger Belang in die jeweils durchzuführende Schutzgüterabwägung eingebracht werden, bis die Stromerzeugung im Bundesgebiet nahezu treibhausgasneutral ist. Diese Gewichtungsvorgabe ist bislang einzigartig geblieben. Straße und Schiene haben zwar das „überragende öffentliche Interesse“ erhalten, nicht aber diesen Satz 2.
Wichtig zu wissen ist im ersten Schritt, dass § 2 Satz 2 EEG nur da zur Anwendung kommen kann, wo auch eine Abwägung stattfindet. Das ist nicht bei jeder Genehmigungsentscheidung der Fall. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung, die für den Betrieb einer Windenergieanlage oder eines Wasserstoffspeichers benötigt wird, ist beispielsweise eine gebundene Entscheidung. Sie muss erteilt werden, wenn der Bauherr einen entsprechenden Antrag stellt und alle Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen.
Liegen umgekehrt nicht alle Genehmigungsvoraussetzungen vor, hilft auch § 2 Satz 2 EEG nicht weiter. Die Genehmigung kann also nicht grundsätzlich schneller oder leichter erteilt werden, nur weil es jetzt § 2 EEG gibt. Dasselbe gilt für die Errichtung von Solarparks und Batteriespeichern, die neben möglicherweise notwendigen fachrechtlichen Genehmigungen im ersten Schritt regelmäßig eine Baugenehmigung benötigen.
Nicht ganz. Denn innerhalb der oder zusätzlich zu diesen Genehmigungen stellen sich oftmals Fragen, bei denen sehr wohl eine Abwägung vorgesehen ist. Das gilt beispielsweise für die Erteilung von natur- und artenschutzrechtlichen Befreiungen nach § 15 Abs. 5, § 45 Abs. 7 oder § 67 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG), denkmalschutzrechtlichen Genehmigungen nach dem jeweiligen Landesdenkmalschutzrecht oder Genehmigungen für Waldumwandlungen nach § 9 Bundeswaldgesetz (BWaldG). In das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren sind diese Themenbereiche integriert, bei einer bloßen Baugenehmigungspflicht müssen die Genehmigungen zusätzlich zur Baugenehmigung eingeholt werden.
Immer separat zu betrachten sind außerdem wasserrechtliche Bewilligungen und Erlaubnisse nach dem WHG oder den Landes-Wassergesetzen, die regelmäßig ebenfalls eine Abwägung vorsehen.
Schließlich muss für alle EE-Anlagen innerhalb der Genehmigungsverfahren auch die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit überprüft werden. Alle Windenergievorhaben und einige Solarenergievorhaben sind gem. § 35 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) im Außenbereich privilegiert, benötigen also keinen Bebauungsplan. Auch hier hilft § 2 EEG, denn die Vorhaben werden sich nun fast in jedem Fall gegen andere schutzwürdige Nutzungen im Außenbereich durchsetzen können. Nur Belange der Landes- und Bündnisverteidigung sind gem. § 2 Satz 3 EEG ausgenommen. Und auch wenn ein Bebauungsplan aufgestellt werden muss, erleichtert § 2 EEG die Entscheidung zugunsten der erneuerbaren Energien. Denn jeder Bebauungsplan fußt auf einer planerischen Abwägungen nach § 1 Abs. 7 BauGB, in der andere Belange zugunsten der Erneuerbaren Energien nun leichter zurückgestellt werden können.
Inwieweit sich § 2 EEG in der Praxis wirklich durchsetzen und zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren beitragen konnte, wollen wir mit unserer Beitragsreihe in den kommenden Wochen näher beleuchten. Denn inzwischen sind erste gerichtliche Entscheidungen zur Reichweite von § 2 EEG insbesondere im Natur- und Artenschutzrecht, Waldrecht und Denkmalschutzrecht ergangen.
Was man aber schon jetzt sagen kann: Mit Einführung des § 2 EEG und der übrigen Maßnahmen aus dem „Osterpaket“ hat der Gesetzgeber einen deutlichen Wandel in der Beschleunigungsgesetzgebung eingeleitet. Während früher meist Fristen, Verfahrensvorschriften und Rechtsschutzmöglichkeiten modifiziert wurden, werden jetzt erstmals die materiellen Maßstäbe verändert, an denen EE-Projekte zu messen sind.
Ja, ganz eindeutig. Neben der Einführung des § 2 EEG beinhaltete schon das „Osterpaket“ zahlreiche weitere – materiell wirkende – Maßnahmen, z.B. die Einführung neuer Maßstäbe für die Artenschutzprüfung bei Windenergieanlagen in § 45b BNatSchG und die Verpflichtung zur Ausweisung einer bestimmten Zahl an Windenergiegebieten nach dem Windflächenbedarfsgesetz (WindBG), die die Bundesländer trifft.
Aber auch der EU-Gesetzgeber verlagert seine Tätigkeit immer mehr in Richtung materielles Recht. Mit der sog. EU-Notfallverordnung vom 19. Dezember 2022 hat er den Mitgliedstaaten freigestellt, für EE-Projekte von der Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung und Artenschutzprüfung abzusehen, sofern sich die Projekte in einem bereits entsprechend vorgeprüften Gebiet befinden. Deutschland hat mit der Einführung bzw. Neufassung von § 43m Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), § 72a Wind-auf-See-Gesetz (WindSeeG) und § 6 WindBG davon Gebrauch gemacht. Seitdem können in Gebieten, die als Korridore i.S.d. Bundesfachplanung nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG), im Rahmen eines Flächenentwicklungsplans nach dem WindSeeG oder als Windenergiegebiet i.S.d. § 2 WindBG ausgewiesen sind, Umweltverträglichkeitsprüfung und Artenschutzprüfung entfallen.
Derzeit sind die Regelungen noch bis zum 30. Juni 2024 befristet. Sie finden sich aber auch im konsolidierten Text für die Novelle der Erneuerbare Energien-Richtlinie auf EU-Ebene (RED IV). Es steht daher zu erwarten, dass sie auch im nationalen Recht dauerhaft erhalten bleiben.
Und auch das Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) steht in Deutschland derzeit vor einer umfassenden Novelle. Es gilt also weiterhin, Neuregelungen und Gesetzesvorhaben im Blick zu behalten und die zu den neuen Maßstäben ergehende Rechtsprechung zu analysieren.
Sie haben Fragen zu § 2 EEG oder zu laufenden oder zukünftigen Planungs- und Genehmigungsverfahren im EE-Bereich? Sprechen Sie uns gern an.
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