21. Dezember 2023
Veröffentlichungsreihe – 14 von 61 Insights
Update vom 21.12.2023
Am 14. März dieses Jahres legte die EU-Kommission als Reaktion auf die massiv gestiegenen Energiepreise einen Vorschlag1 über ein neues europäisches Strommarktdesign vor. Es folgten monatelange Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten, eine Pattsituation wurde befürchtet. Insbesondere Frankreich und Deutschland hatten angesichts gegenläufiger Interessen im Zusammenhang mit der Förderung von Kernenergie bis zuletzt um einen Kompromiss gerungen.
Frankreich möchte seine Atomenergie nutzen, um die französischen Verbraucher mit besonders günstigem Industriestrom zu versorgen, Deutschland befürchtet hierdurch Wettbewerbsverzerrungen. Am 17. Oktober 2023 hat sich der Rat der EU im Anschluss an die fachliche Beratung in der Gruppe „Energie“ endlich auf eine gemeinsame Position für eine Reform des europäischen Strommarktes geeinigt („Allgemeine Ausrichtung des Rates“).
Ziel der Strommarktreform ist neben dem stärkeren Schutz von Verbrauchern vor schwankenden Marktpreisen und der Stabilisierung der Strommärke und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch bessere Marktbedingungen für langfristige Stromlieferverträge (PPAs) insbesondere die Förderung von Investitionen in erneuerbare Energien. Zu diesem Zweck sollen neben „förderfreien“ PPAs künftig sogenannte zweiseitige Differenzverträge („Contracts for Difference“, CfDs) als einziges staatliches Förderinstrument zum Einsatz kommen. Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten Verträge mit den Anlagenbetreibern schließen und in diesen Verträgen einen bestimmten garantierten Abnahme-Preis festlegen. Liegt der Marktpreis unter dem garantierten Preis, zahlt der Staat die Differenz an den Anlagenbetreiber. Liegt der Marktpreis hingegen über dem garantierten Preis, schöpft der Staat diese „Übergewinne“ ab. Der Marktpreis wird dabei, wie bisher, durch den jeweils teuersten eingesetzten Energieträger bestimmt („Merit-Order-Prinzip“). Durch den mit den CfDs geplanten Mechanismus sollen den Anlagenbetreibern sichere Einnahmen garantiert werden, während der Staat die eingenommenen „Überschussgewinne“ zur Förderung von Industrie und Verbrauchern einsetzen kann. Das Modell soll für Windenergie, Solarenergie, Geothermie, Wasserkraft (ohne Speicher) und auch für Kernenergie gelten.
Im Zusammenhang mit der geplanten Übergewinnabschöpfung streiten Frankreich und Deutschland um die Frage, wie Frankreich seine Atomenergie nutzen darf, um seine Verbraucher mit günstigem Strom zu versorgen. Deutschland befürchtet, dass Frankreich auf Grundlage der CfDs mit dem staatlichen Betreiber der französischen Atomkraftwerke EDF (Électricité de France SA) besonders niedrige Garantiepreise vereinbart und dadurch hohe Gewinne im Milliardenbereich abschöpft, um der französischen Industrie sehr günstige Strompreise anbieten zu können. So könnte Frankreich den Industriestrom subventionieren, ohne hierfür die beihilferechtliche Genehmigung der Europäischen Kommission einholen zu müssen. In diesem Zusammenhang will Paris insbesondere auch durchsetzen, dass die Fördermöglichkeit nicht nur für neue, sondern auch für bestehende Atomkraftwerke Anwendung findet. Dies führt aus Sicht Deutschlands zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen. Bereits heute existiert in Frankreich ein Fördermechanismus für Atomenergie mit der Bezeichnung „ARENH“. Danach ist der staatliche Energiekonzern EDF verpflichtet, ca. 30 % des Atomstroms zu einem Sonderpreis von 4,2 Ct. / kWh an Verbraucher abzugeben. Ende des Jahres 2025 läuft dieser Mechanismus jedoch aus. Auch Deutschland plant die Einführung eines Industriestrompreises, um Wettbewerbsnachteilen für Deutschlands Industrie entgegenzuwirken.
Der Rat hat sich dem Vorschlag der EU-Kommission angeschlossen und spricht sich dafür aus, dass künftig die staatliche Subventionierung erneuerbarer Energiequellen ausschließlich über CfDs erfolgen soll. Die Regelung soll – entgegen der Bedenken Deutschlands – auch für Kernenergie gelten. Frankreich konnte zudem durchsetzen, dass neben Neuanlagen auch Bestandsanlagen künftig über CfDs subventioniert werden können. Allerdings soll der Einsatz des Garantiepreises durch CfDs im Zusammenhang mit bestehenden Kernkraftwerken nur unter gewissen Bedingungen möglich sein, wie beispielsweise der Verpflichtung zu erheblichen Neuinvestitionen. So müssen Bestandsanlagen entsprechend der gemeinsamen Position des Rates einem „erheblichen Repowering“, einer Laufzeitverlängerung oder einem Kapazitätsausbau unterzogen werden. Der im Rahmen der CfDs vereinbarte garantierte Preis soll zudem die Erzeugerkosten abbilden.
Wie weit Frankreich bei der Subventionierung seines Industriestroms über CfDs gehen kann, soll nach der Einigung des Rates jedoch letztlich die EU-Kommission entscheiden. Die EU-Kommission soll die Ausgestaltung der CfDs kontrollieren und sicherstellen, dass diese nicht zu Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt führen. Die Kommission soll dabei insbesondere sicherstellen, dass die Verteilung von Einnahmen an Unternehmen die Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt nicht verzerrt, insbesondere in Fällen, in denen kein wettbewerbliches Angebotsverfahren durchgeführt werden kann. Die Vorschriften für zweiseitige Differenzverträge sollen nach dem Vorschlag des Rates zudem erst nach einer Übergangsfrist von drei Jahren (bzw. fünf Jahre bei Projekten für Offshore-Hybrideinrichtungen, die an mindestens Gebotszonen angebunden sind) nach Inkrafttreten der Verordnung gelten, um Rechtssicherheit für laufende Projekte zu gewährleisten.
Die Einigung des Rates sorgt in der deutschen Energiewirtschaft grundsätzlich für Erleichterung, da aufgrund der langwierigen Verhandlungen eine Pattsituation befürchtet wurde. Verbände kritisieren jedoch unter anderem, dass mit der Festlegung auf CfDs als einziges zulässiges Fördermittel die Mitgliedstaaten bei der Wahl der richtigen Fördermittel in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt würden. Beispielsweise befürchtet der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), dass sich so die Förderung von erneuerbaren Energien im Vergleich zum jetzigen Zustand verschlechtern würde und es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen könnte. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht in der Abschöpfung von Übergewinnen einen „erheblichen Markteingriff“, der das Vertrauen von Investoren erschüttere und damit ungewollt den Ausbau der erneuerbaren Energien bremse.
Zwar hat sich der Rat der EU nach monatelangen Verhandlungen überraschend auf eine gemeinsame Position zur Reform des Strommarktes geeinigt. Entscheidende Punkte werden jedoch voraussichtlich erst noch in den jetzt anstehenden „Trilog“-Verhandlungen zwischen Rat, EU-Kommission und EU-Parlament geklärt werden. So sprach sich das Parlament in seiner Verhandlungsposition im September u.a. für eine stärkere Begrenzung der Nutzung von CfDs aus. Daneben schlägt das EU-Parlament im Vergleicht zur Position des Rates deutlich mehr Ansätze zur Etablierung von PPA vor. Wann die Verordnung in Kraft tritt, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar. Das Trilog-Verfahren soll jedoch rechtzeitig vor der EU-Wahl Anfang Juni 2024 abgeschlossen sein.
Update: Am 14. Dezember 2023 haben der Rat und das EU-Parlament eine „vorläufige politische Einigung“ über die Strommarktreform erzielt:
Die erzielte vorläufige Einigung muss nun vom Rat und vom EU-Parlament gebilligt und förmlich angenommen werden, um Verbindlichkeit zu erlangen.
1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) NR. 1227/2011 und (EU) 2019/942 für einen besseren Schutz der Union vor Marktmanipulation auf dem Energiegroßhandelsmarkt zum EU-Strommarktdesign vom 14. März 2023 -¬ COM(2023) 147 final und Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnungen (EU) 2019/943 und (EU) 2019/942 sowie der Richtlinien (EU) 2018/2001 und (EU) 2019/944 zur Verbesserung der Gestaltung der Elektrizitätsmärkte in der EU -COM(2023) 148 final
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