16. Oktober 2023
Veröffentlichungsreihe – 13 von 59 Insights
In zwei Urteilen vom 02.03.2023 (Az. 5 U 1/22 und 5 U 3/22) hat sich der 5. Kartellsenat des OLG Düsseldorf jüngst mit der Frage auseinandergesetzt, ob in Fällen, in denen der vertragliche Stromlieferant im Rahmen der Versorgung in der Mittelspannungsebene wegfällt, die Stromentnahme dem örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorger zugeordnet werden darf.
In dem den Urteilen zugrunde liegenden Sachverhalt war die geplante Belieferung von Letztverbrauchern in der Mittelspannungsebene infolge der Insolvenz ihres neuen Stromlieferanten nicht mehr möglich. Die Letztverbraucher schlossen daraufhin kurzfristig Übergangsversorgungsverträge mit ihrem bisherigen Stromlieferanten. Diese Versorgungsverträge wurden jedoch aufgrund eines Systemfehlers auf Seiten des Lieferanten nicht rechtzeitig bei dem zuständigen Netzbetreiber gemeldet. Der Netzbetreiber ordnete sodann, entsprechend den Vorgaben zur Niederspannungsebene, die Stromentnahme an den betreffenden Marklokationen dem Bilanzkreis des örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorgers zu.
Die Bewertung dieses Sachverhalts durch das OLG Düsseldorf erfolgte in den beiden Verfahren aus zwei unterschiedlichen Perspektiven:
Das OLG Düsseldorf ist der Auffassung, durch die Entnahme des Stroms durch die Letztverbraucher in der Mittelspannungsebene sei weder ein vertragliches noch ein gesetzliches Schuldverhältnis mit dem örtlich zuständigen Grund- und Ersatzversorger zustande gekommen.
Die Rechtsgrundsätze zum konkludenten Abschluss eines Versorgungsvertrags könnten in höheren Spannungsebenen in der Regel schon deshalb nicht zur Anwendung kommen, weil eine (vertragslose) Zuordnung der Marktlokation zu einem Versorger, mit dem der Letztverbraucher noch keinen Stromversorgungsvertrag geschlossen hat, ausscheiden müsse. Einem konkludenten Vertragsschluss durch Annahme einer Realofferte stehe entgegen, dass der entnommene Strom dem Lieferanten, der eine Ersatzbelieferung für sich in Anspruch nehmen will, – vor Abschluss eines entsprechenden Vertrages – weder bilanziell zugeordnet werden dürfe noch zivilrechtlich zuzurechnen sei, so dass es daher regelmäßig schon objektiv an einer Realofferte fehle.
Fehle es aber an einem vertraglichen Lieferverhältnis mit dem zuständigen Grund- und Ersatzversorger, so komme eine Zuordnung der Strommengen nur in Betracht, wenn die Voraussetzungen für die Ersatzversorgung nach § 38 EnWG vorlägen. Im Bereich der Mittelspannung sei § 38 EnWG jedoch weder direkt noch entsprechend anwendbar. Der Anwendungsbereich der Vorschrift sei nach dem Willen des Gesetzgebers auf Letztverbraucher, die über das Energieversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederspannung oder Niederdruck Energie beziehen, beschränkt. Eine analoge Anwendung scheide angesichts der klaren normativen Beschränkung der Ersatzversorgung auf das Niederspannungsnetz aus, da es in höheren Spannungsebenen an der besonderen Schutzbedürftigkeit der an diese Netzebene angeschlossenen Kunden fehle.
Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der grundsätzlichen Notwendigkeit, jede Marktlokation einem Bilanzkreis zuzuordnen. Auch der Umstand, dass Letztverbraucher in höheren Spannungsebenen regelmäßig ein erhebliches Interesse an einer unterbrechungsfreien Stromversorgung haben, führe zu keiner anderen Bewertung. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass von größeren Letztverbrauchern, die in höheren Spannungsebenen angeschlossen sind, erwartet werden könne, dass sie sich rechtzeitig um einen neuen Energieliefervertrag bemühen. Dem Risiko einer Versorgungsunterbrechung könne durch Abschluss eines (aufschiebend bedingten) Ersatzbelieferungsvertrages oder durch den unverzüglichen Abschluss eines neuen Stromliefervertrags nach Eintritt der Zuordnungslücke vorgesorgt werden.
Auch durch die Einbeziehung eines informatorischen Preisblattes in den Anschlussnutzungsvertrag, das auf eine Ersatzbelieferung durch den Grund- und Ersatzversorger verweist, komme weder ein Vertrag zwischen dem Letztverbraucher und dem Grund- und Ersatzversorger zustande, noch sei darin ein Angebot des Letztverbrauchers auf Abschluss eines Ersatzbelieferungsvertrages zu sehen, das mit der Meldung der Marktlokation durch den Netzbetreiber an den zuständigen Grund- und Ersatzversorger übermittelt werde.
Zudem verstoße eine in den AGB des Netzbetreibers vorbehaltene Ermächtigung, die Marktlokation eines Letztverbrauchers für den Fall einer Versorgungslücke bilanziell dem örtlichen Grund- und Ersatzversorger zuzuordnen, gegen das Diskriminierungsverbot nach § 20 Abs. 1 S. 1 EnWG. Den Grund- und Ersatzversorgern dürften außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung keine besseren Rechte zukommen, als ihren Wettbewerbern.
Die Weitergabe von Kundeninformationen durch den Netzbetreiber an den Grund- und Ersatzversorger verstoße zudem gegen das Vertraulichkeitsgebot des § 6a Abs. 1 EnWG.
Der örtlich zuständige Grund- und Ersatzversorger dürfe eine trotzdem erfolgte Zuordnung nur akzeptieren, wenn er die entsprechende Meldung des Netzbetreibers dahingehend überprüft habe, dass die Zuordnung mit Rechtsgrund erfolgt ist (entsprechend den Vorgaben der GPKE), was in höheren Netzebenen voraussetze, dass eine vertragliche Vereinbarung über eine Ersatzbelieferung getroffen wurde.
In beiden Verfahren wurde Revision eingelegt, weil die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Netzbetreiber bei Auftreten einer Zuordnungslücke in höheren Spannungsebenen die Marktlokation eines Letztverbrauchers dem Bilanzkreis des Grund- und Ersatzversorgers zuordnen darf, ohne dass zwischen diesem und dem Letztverbraucher ein Ersatzbelieferungsvertrag abgeschlossen ist, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und sich diese Frage über den Einzelfall hinaus in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann. Es bleibt somit abzuwarten, wie der BGH im Zusammenhang mit diesen energiewirtschaftsrechtlichen Grundsatzfragen entscheiden wird. Die vorstehende Handlungsempfehlung und „Check-Liste“ stehen daher unter dem Vorbehalt einer Bestätigung durch den BGH.
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