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1. Juli 2025
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Jackpot für Arbeitnehmer: BAG setzt neue Maßstäbe bei der Karenzentschädigung
- In-depth analysis
Am 27. März 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinem Urteil 8 AZR 63/24 (Vorinstanz LAG Berlin-Brandenburg – 3 Sa 462/23) eine wegweisende Entscheidung getroffen, die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen von großer Bedeutung ist. Im Fokus steht das nachvertragliche Wettbewerbsverbot und die Frage, wie die Karenzentschädigung – insbesondere bei Einmalzahlungen im Rahmen von virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen – korrekt zu berechnen ist.
Diese Entscheidung bringt neue Klarheit und gestaltet den rechtlichen Rahmen für Wettbewerbsverbote grundlegend neu. Im Folgenden analysieren wir den zugrunde liegenden Sachverhalt und die maßgeblichen Urteilsgründe detailliert – und zeigen auf, welche Konsequenzen sich daraus für Unternehmen und Arbeitnehmer ergeben.
Der Kläger war als Executive Director of Finance tätig und erhielt neben einem Jahresgehalt von 100.000 Euro auch virtuelle Aktienoptionen im Rahmen eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms („Virtual Option Plan 2016“). Diese Optionen berechtigten nicht zum Erwerb von Aktien, sondern zu einer späteren Geldzahlung nach Ablauf einer vierjährigen Vesting-Periode und einem sogenannten „Exercise Event“, etwa einem Börsengang oder Unternehmensverkauf. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses könnten die Optionsrechte abhängig davon verfallen, ob sie bereits gevestet sind und aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis endet.
Die Beklagte hatte dem Kläger zwischen Juni 2020 und Juli/August 2021 virtuelle Optionsrechte mittels sogenannter „Allotment Letter“ zugeteilt. Im Zuge einer im September 2021 erfolgten Transaktion definierte die Beklagte das „Closing“ dieser Transaktion als Exercise Event, bei dem der Kläger das Recht erhielt, alle bis dahin angesparten („vesteten“) Optionen auszuüben. Die Erfüllung der Optionsrechte erfolgte dabei zur Hälfte in Barzahlung und zur Hälfte – trotz der grundsätzlichen Konzeption als virtuelle Beteiligung – in Übertragung von Aktien der Muttergesellschaft. Die Beklagte erteilte dem Kläger für den Monat Oktober 2021 eine Entgeltabrechnung, in der bezogen auf „Virtual Shares“ ein Bruttobetrag in Höhe von 161.394,79 Euro ausgewiesen ist.
Am 18. Januar 2022 vereinbarten die Parteien einen Aufhebungsvertrag. Danach endete das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30. Juni 2022 und das Wettbewerbsverbot wurde auf die Dauer von sechs Monaten für die Zeit bis zum 31. Dezember 2022 beschränkt. Der Aufhebungsvertrag regelt darüber hinaus die Voraussetzungen, unter denen virtuelle Optionsrechte auch nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch ausgeübt werden können.
Nach Ende des Arbeitsverhältnisses zahlte die Beklagte dem Kläger für die Zeit von Juli bis Oktober 2022 monatlich eine Karenzentschädigung in Höhe von 4.166,66 Euro brutto. Mit einer als „Settlement Agreement“ bezeichneten Anlage zu einem Schreiben vom 15. August 2022 teile die Beklagte mit, dass der Kläger in Ausübung von Optionsrechten Anspruch auf einen „Payment Claim“ von 96.230,00 Euro zu 10,00 Euro je Aktie entsprechend 9.623 Aktien habe. Die Beklagte erstellte für den Kläger eine Entgeltabrechnung für Oktober 2022, die für „Virtual Shares“ einen Bruttobetrag in Höhe von 17.706,32 Euro enthielt.
Der Kläger verlangte jedoch eine höhere Entschädigung, da seiner Ansicht nach auch die Einnahmen aus den virtuellen Optionen als vertragsgemäße Leistungen bei der Berechnung zu berücksichtigen seien. In die Berechnung seien neben der Festvergütung von jährlich 100.000,00 Euro brutto auch die Einnahmen aus virtuellen Aktienoptionen einzubeziehen, da es sich hierbei um wechselnde Bezüge im Sinne des § 74b Abs. 2 HGB handele. Die Beklagte widersprach dem und argumentierte, dass die im Hinblick auf die virtuellen Optionen gebilligten Zahlungen keine vertragsgemäßen Leistungen im Sinne der Berechnung darstellten. In Bezug auf den Option Plan 2016 gelte das insbesondere, weil dieses Programm seit dem „Exercise Event“ im September 2021 beendet sei. Die nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgeübten virtuellen Optionen seien demnach keine Gegenleistung für die Tätigkeit des Klägers während des Arbeitsverhältnisses, sondern eine Leistung anlässlich der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Das Bundesarbeitsgericht klärt nun abschließend, ob und in welchem Umfang die Einmalzahlungen im Rahmen von virtuellen Aktienoptionen bei der Bemessung der Karenzentschädigung zu berücksichtigen sind.
Das Bundesarbeitsgericht stellte unmissverständlich klar: Die Karenzentschädigung nach § 74 Abs. 2 HGB muss mindestens die Hälfte der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen betragen. Doch was bedeutet „vertragsmäßige Leistungen“ konkret? Das BAG definiert diesen Begriff weit – er umfasst nicht nur das Fixgehalt, sondern auch gezahlte variable Vergütungsbestandteile wie Mitarbeiterbeteiligungsprogramme, Boni, Provisionen oder andere leistungsabhängige Zahlungen. Entscheidend ist, dass diese Zahlungen zum festen Vergütungspaket gehören und regelmäßig erfolgen.
Im konkreten Fall bejahte das BAG ausdrücklich, dass auch die im Oktober 2021 ausgezahlte Vergütung aus einem virtuellen Aktienoptionsprogramm als vertragsmäßige Leistung im Sinne des § 74 Abs. 2 HGB zu qualifizieren ist. Maßgeblich sei, dass solche Leistungen auf dem Austauschverhältnis von Arbeit gegen Vergütung beruhen – selbst dann, wenn sie formal als freiwillige oder zusätzliche Leistungen ausgestaltet sind. Das BAG betonte ebenfalls, dass auch Leistungen aus virtuellen Beteiligungsprogrammen regelmäßig an Zeiten der aktiven Beschäftigung und damit an den tatsächlichen Entgeltanspruch gekoppelt sind. Die Vesting-Klauseln und Aussetzungsregelungen im Optionsplan verdeutlichen, dass die Optionen nur in Zeiten „gevestet“ werden, in denen eine Gegenleistung in Form von Arbeitsleistung erbracht wird. Damit haben sie klaren Vergütungscharakter. Zwar verfolgt ein solches Beteiligungsprogramm primär das Ziel der Mitarbeiterbindung und Partizipation an der Unternehmenswertsteigerung. Dennoch ersetzt dies nicht die Tatsache, dass der wirtschaftliche Wert der Beteiligung – ähnlich wie Tantiemen oder Gewinnbeteiligungen – eine Anerkennung für bereits geleistete Arbeit darstellt.
Entscheidend ist, dass die Leistung dem Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses tatsächlich zugeflossen ist. Es steht der Einbeziehung der Auszahlung aus dem Option Plan 2016 nicht entgegen, dass dieses Beteiligungsprogramm nach Ansicht der Beklagten bereits vor Ende des Arbeitsverhältnisses beendet war. Für die Berechnung der Karenzentschädigung ist allein maßgeblich, was der Arbeitnehmer zuletzt tatsächlich bezogen hat – nicht aber, ob künftige Leistungen hypothetisch fortgeführt worden wären. Damit ist es unerheblich, ob der Kläger im Falle einer Weiterbeschäftigung weiterhin an einem Optionsprogramm teilgenommen hätte.
Maßgeblich sei vielmehr der Lebensstandard, den der Arbeitnehmer aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit erreicht hat. Auch Erlöse aus einem beendeten Beteiligungsprogramm können diesen Lebensstandard prägen und müssen bei der Bemessung der Karenzentschädigung berücksichtigt werden. Das BAG hält insbesondere das Argument für überzeugend, dass ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot die wirtschaftliche Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers erheblich beschränke. Deshalb müsse die Karenzentschädigung eine angemessene Kompensation für entgangene Einkünfte während dieser Zeit gewährleisten. Eine pauschale Ausklammerung der Zahlung aus einem virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogramm führe zu einer unangemessenen Benachteiligung des Arbeitnehmers.
Im vorliegenden Fall wurde die Karenzentschädigung ausschließlich auf das Grundgehalt berechnet. Das BAG wertete dies als rechtswidrig und verlangte die Nachzahlung der Differenz, die sich aus den regelmäßig gezahlten Vergütungen inklusive der Einmalzahlung aus dem nach Auslösen des „Exercise Events“ pro rata ergibt.
Praxistipp: Zukunftssichere Gestaltung der Wettbewerbsverbot
- Berücksichtigen Sie bei der Berechnung der Karenzentschädigung neben allen regelmäßig gezahlten Vergütungsbestandteile auch ggfs. etwaige Einmalzahlungen im Rahmen (virtueller) Mitarbeiterbeteiligungsprogramme
- Prüfen Sie die Angemessenheit der Karenzzeit sorgfältig im Einzelfall.
- Sorgen Sie für klare und transparente Vertragsformulierungen, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden.
- Informieren Sie sich regelmäßig über aktuelle Rechtsprechung, da sich Anforderungen weiterentwickeln können.
- Bei (virtuellen) Aktienoptionen, die durch die Muttergesellschaft gewährt werden, müssen Sie akribisch darauf achten, dass die arbeitgebende Tochtergesellschaft nicht mitverpflichtet wird.
Fazit
Das BAG-Urteil von März 2025 stellt Arbeitgeber vor neue Herausforderungen: Bei der Berechnung der Karenzentschädigung müssen nun auch Einmalzahlungen im Rahmen von virtuellen Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen berücksichtigt werden. Ein pauschaler Ausschluss dieser Leistungen ist nicht zulässig.
Arbeitgeber sind gut beraten, Wettbewerbsverbote kritisch zu hinterfragen und nur dort einzusetzen, wo diese zwingend notwendig sind. Wenn Wettbewerbsverbote vereinbart wurden, die eigentlich nicht mehr erforderlich sind, das Arbeitsverhältnis aber noch ungestört läuft, sollte ein Verzicht oder eine einvernehmliche Aufhebung in Betracht gezogen werden. Im Falle der Ausgabe von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen durch die Muttergesellschaft ist akribisch darauf zu achten, dass die arbeitgebende Tochtergesellschaft nicht versehentlich zur Mitschuldnerin wird.
Gast-Autor: Jakob Louis Schäfer (Wissenschaftlicher Mitarbeiter)
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