9. Dezember 2024
Article Series
Headset-Kommunikationssysteme ermöglichen die innerbetriebliche Kommunikation der Mitarbeiter untereinander. Systeme, die eine Überwachung der Mitarbeiter zulassen, dürfen jedoch nicht ohne Mitbestimmung des Betriebsrats eingeführt werden. Besteht für ein Unternehmen mit mehreren Filialen ein Gesamtbetriebsrat, so ist dieser und nicht der einzelne Filialbetriebsrat mitbestimmungsberechtigt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) jüngst mit Beschluss vom 16.07.2024 (1 ABR 16/23) klargestellt.
In dem vom BAG entschiedenen Fall, beabsichtigte ein international tätiges Bekleidungsunternehmen ein einheitliches Headset-System in den Filialen einzuführen. Ziel war es, die Kommunikation der Mitarbeiter untereinander zu erleichtern. Die Headsets werden über eine Software gesteuert. Alle Mitarbeiter einer Filiale, die ein solches Gerät benutzen, bilden eine gemeinsame Kommunikationsgruppe. Die Headsets sind über eine – lokal eingerichtete – Basisstation miteinander verbunden und ermöglichen die drahtlose Übertragung von „Live-Kommunikation“ an die übrigen aktiven Geräte. Eine Übertragung in andere Filialen ist nicht möglich.
Die Betreuung und Wartung des Systems erfolgt über den Helpdesk in der IT-Zentrale in Dublin. Die Headsets sind in den Betrieben nicht bestimmten Mitarbeitern zugeordnet, sondern werden täglich nach dem Zufallsprinzip aus einem Gerätepool entnommen und wieder dorthin zurückgelegt. Die Aufzeichnung von Sprachsignalen oder Geräuschen ist mit dem System nicht möglich.
Im Vorfeld schloss die Arbeitgeberin eine IT-Rahmenvereinbarung mit dem Gesamtbetriebsrat. Diese enthielt u.a. eine Regelung zur Einführung der Headsets. Darin verpflichtete sich die Arbeitgeberin, diese nicht zur Verhaltens- und Leistungskontrolle einzusetzen.
Ein lokaler Betriebsrat einer Filiale beantragte daraufhin beim Arbeitsgericht, der Arbeitgeberin den Einsatz des Headset-Systems ohne seine Mitbestimmung zu untersagen. Der Betriebsrat vertrat die Auffassung, dass die Headsets als „technische Überwachungseinrichtung“ i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig seien. Außerdem war der Betriebsrat der Auffassung, dass er und nicht der Gesamtbetriebsrat zuständig sei und die Arbeitgeberin daher mit ihm und nicht mit dem Gesamtbetriebsrat hätte verhandeln müssen.
In der Sache blieb der Betriebsrat in drei Instanzen erfolglos. Auch das BAG wies im Ergebnis den Unterlassungsantrag ab, da der Betriebsrat nicht zuständig sei.
Das BAG gab dem Betriebsrat jedoch Recht, dass die Einführung des Headset-Systems als technische Überwachungseinrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig ist, da es geeignet ist, das Verhalten oder die Leistung der Mitarbeiter zu überwachen. Zwar können die Daten den einzelnen Mitarbeitern nicht zugeordnet werden, jedoch ermögliche das System durch das Mithören den in den jeweiligen Filialen tätigen Führungskräften eine ständige Überwachung der Kommunikation der Mitarbeiter. Die Mitarbeiter seien dadurch einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt. Durch die gleichzeitige Übertragung des gesprochenen Wortes an sämtliche Nutzer wird die im Betrieb stattfindende Kommunikation in einem Umfang zugänglich gemacht, wie es ohne Einsatz des Systems nicht möglich wäre. Anhand der Gespräche könnten die Führungskräfte die sprechenden oder angesprochenen Personen identifizieren. Die Mitbestimmungspflicht bestehe auch dann, wenn die Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden.
Im Ergebnis scheiterte der Betriebsrat jedoch, da das BAG die Zuständigkeit beim Gesamtbetriebsrat sah. Das Headset-System sei unternehmensweit eingeführt worden und betreffe daher alle Betriebe der Arbeitgeberin. Es liege auch eine überbetriebliche Angelegenheit und ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung vor, da das System einheitlich von der IT-Zentrale in Dublin und nicht in den Betrieben selbst betreut und gewartet werde. Das Headset-System bestehe nicht nur aus der Hardware, sondern auch aus der zugehörigen Software inklusive des dafür benötigten Internet-Portals. Es handele sich somit um eine einheitliche technische Einrichtung i.S.v. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und damit um eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit. An der zwingenden Mitbestimmung des Gesamtbetriebsrates ändere auch der Umstand nichts, dass die durch die technische Einrichtung geschaffene Überwachungsmöglichkeit nur auf der jeweiligen betrieblichen Ebene besteht.
Der Rechtsstreit veranschaulicht exemplarisch den betriebsverfassungsrechtlichen Konflikt, der bei Digitalisierungsvorhaben auftreten kann.
Die vorliegende Entscheidung überrascht, da bislang grundsätzlich die Überwachung durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden musste. Dazu musste diese aufgrund ihrer technischen Natur unmittelbar die Überwachung vornehmen. Das setzt voraus, dass die technische Einrichtung selbst und automatisch die Daten über bestimmte Vorgänge erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Dies ist hier gerade nicht der Fall. Das BAG befand es als ausreichend, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Daher genügte es dem Gericht vorliegend auch, dass die Datenerhebung und -übermittlung auf technische Weise erfolgt und die gewonnen Daten in dieser Form der akustischen Wahrnehmung der Führungspersonen zugänglich gemacht werden.
Hinsichtlich der Zuständigkeit hat das BAG eine weite originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats angenommen. Danach reicht es aus, dass aufgrund einer übergeordneten IT-Abteilung eine unternehmensweite Regelung zwingend erforderlich ist. Arbeitgeber haben danach die Wahl, ob sie eine zentrale IT-Abteilung errichten und damit der Gesamtbetriebsrat zuständig für neue IT-Systeme wird oder mit lokalen IT-Abteilungen arbeiten, sodass die lokalen Betriebsräte zuständig sind.
21. May 2025
24. April 2025
11. April 2025
von Alessa Böttcher
21. March 2025
von Nico Jänicke
28. February 2025
von Lea Krebs, Sachka Stefanova-Behlert, LL.M. (UC Berkeley)
11. February 2025
von Lucas Corleis
9. December 2024
von Viviana Schwarm
Ein Überblick über den aktuellen Referentenentwurf des Beschäftigtendatenschutzgesetzes (BeschDG)
23. October 2024
8. October 2024
von Sabrina Dettmer
30. September 2024
27. August 2024
von Antonia Mehl
14. August 2024
6. August 2024
von mehreren Autoren
19. June 2024
von Vanessa Talayman
24. April 2024
12. March 2024
Ein Jahr nach dem wegweisenden BAG-Urteil
7. March 2024
1. February 2024
26. January 2024
18. January 2024
von Annika Rahn
18. December 2023
von Alessa Böttcher
27. November 2023
8. November 2023
25. October 2023
von Isabel Bäumer
18. September 2023
4. September 2023
20. November 2023
17. August 2023
26. July 2023
12. July 2023
Das Bundesarbeitsgericht hat sich erneut mit dem sehr praxisrelevanten Thema des Annahmeverzugs befasst. Das Urteil fiel zugunsten des Arbeitnehmers aus.
30. May 2023
von Laura Hannig
Die gängigen Fragestellungen zur Gewährung der Inflationsausgleichsprämie beantwortet.
19. May 2023
Am 31. Januar 2023 ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung in Kraft getreten.
5. May 2023
Der Gesetzesentwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Wir beantworten erste Fragen.
25. April 2023
von mehreren Autoren
Es reicht nicht aus, dass der Unterzeichner intern zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt ist. Der Gekündigte sollte hiervon auch in Kenntnis gesetzt werden.
18. April 2023
von Alessa Böttcher
Beim Unterschreiben ist Vorsicht geboten: Nicht jedes „Gekritzel“ ist eine Unterschrift im Sinne des Gesetzes. Werden hier Fehler gemacht, droht die Unwirksamkeit der Kündigung.
6. April 2023
Arbeitgeber sollten frühzeitig Maßnahmen ergriffen, wenn es durch die Nutzung von ChatGPT zu arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen kommt.
22. March 2023
von Christina Poth, LL.M. (Edinburgh), Dr. Benedikt Kohn, CIPP/E
Kein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, solange ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt.
9. March 2023
Eine Frau hat Anspruch auf dasselbe Entgelt wie ihr männlicher Kollege – auch wenn dieser sein Gehalt geschickter verhandelt hat.
3. March 2023
von Annika Rahn
Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit.
26. January 2023
Das Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber sinkt damit deutlich. Dies stärkt insbesondere die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Rahmen von Vergleichsgesprächen.
20. January 2023
Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unterliegt nicht der Verjährung, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachkommen ist.
22. December 2022