18. Januar 2024
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In seinem Urteil vom 23. August 2023 (5 AZR 349/22) beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage, ob Arbeitnehmer auch in ihrer Freizeit verpflichtet sind, per SMS mitgeteilte Weisungen des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen. Während das LAG Schleswig-Holstein (1 Sa 39 öD/22) in der Vorinstanz eine solche Pflicht der Arbeitnehmer noch ablehnte und dem Kläger ein Recht auf Unerreichbarkeit in der Freizeit zugestand, erließ das BAG ein arbeitgeberfreundliches Urteil und entschied, dass Arbeitnehmern das Lesen einer dienstlichen SMS ihres Arbeitgebers über den Beginn einer zuvor eingeteilten Arbeitsschicht auch in ihrer Freizeit zuzumuten ist.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall ging es um einen Notfallsanitäter aus Schleswig-Holstein. Dieser machte gegen seine Arbeitgeberin unter anderem eine (Wieder-)Gutschrift von Arbeitsstunden auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto geltend. Laut einer im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung wurden die Arbeitnehmer neben ihren regulären Diensten auch zu sogenannten „Springerdiensten“ eingeteilt. Die Einteilung zu einzelnen Springerdiensten erfolgte grundsätzlich vier Tage vor jeweiligem Dienstbeginn. Weiterhin sieht die betriebliche Regelung vor, dass eine Konkretisierung der Springerdienste noch bis 20:00 Uhr des Vortags vor Dienstbeginn im Dienstplan erfolgen kann. Dabei kann der Dienstplan jederzeit über das Intranet von den Arbeitnehmern abgerufen werden.
Der Kläger war seit dem 4. April 2021 für den 8. April 2021 im Dienstplan für einen noch nicht näher konkretisierten Springerdienst eingetragen. Am Vortag – den 7. April 2021 – hatte der Kläger frei. Die beklagte Arbeitgeberin teilte den Kläger an diesem Tag um 13:20 Uhr für einen Dienst am 8. April 2021 in der Tagschicht, Beginn 06:00 Uhr, ein und trug dies entsprechend im Dienstplan ein. Nachdem die Beklagte vergeblich versucht hatte den Kläger hierüber telefonisch zu informieren, schrieb sie dem Kläger um 13:27 Uhr eine SMS mit der Information über die Diensteinteilung am 8. April 2021. Erst um 07:30 Uhr am 8. April 2021 meldete sich der Kläger bei der Beklagten und zeigte seine Arbeitsbereitschaft an. Nachdem ein anderer Arbeitnehmer aus der Rufbereitschaft zwischenzeitlich den Dienst des Klägers übernommen hatte, wurde der Kläger an diesem Tag nicht mehr eingesetzt. Die Arbeitgeberin bewertete diesen Tag als unentschuldigtes Fehlen und zog vom Arbeitszeitkonto des Klägers elf Stunden ab. Der Kläger verlangte daraufhin die (Wieder-)Gutschrift der abgezogenen Arbeitsstunden auf dem Arbeitszeitkonto.
Kein Anspruch auf (Wieder-)Gutschrift, da eine Pflicht des Arbeitnehmers bestand, die Weisung per SMS zur Kenntnis zu nehmen und sich über seine Dienstzeiten zu informieren.
Das BAG entschied, dass der Kläger die von der Arbeitgeberin versandte SMS auch in seiner Freizeit hätte zur Kenntnis nehmen müssen. Entgegen der Annahme des vorinstanzlichen LAG Schleswig-Holstein handele es sich nach Ansicht des BAG hierbei auch nicht um Arbeitszeit im Sinne des Arbeitsschutzrechts. Die Ruhezeit würde durch die kurze Kenntnisnahme der SMS nicht unterbrochen. Dies begründete das BAG damit, dass sich der Moment der Kenntnisnahme der SMS als zeitlich derart geringfügig darstelle, dass hierdurch die freie Gestaltung der Freizeit durch den Arbeitnehmer nicht eingeschränkt werden würde. Insbesondere bestand nicht, wie vom Kläger vorgetragen, eine Pflicht des Klägers zur ununterbrochenen Erreichbarkeit für die Beklagte. Vielmehr blieb es dem Kläger selbst überlassen, wann und wo er von der SMS Kenntnis nehmen wollte. Da die Arbeitgeberin die Konkretisierung des Dienstbeginns und des Dienstortes bis 20:00 Uhr am Vortag vor Dienstbeginn vornehmen konnte, war es ausreichend, dass der Kläger sich ab diesem Zeitpunkt informierte.
Erhebliche Auswirkungen hat das BAG-Urteil insbesondere auf die Gestaltungsfreiheit bei Betriebsvereinbarungen zur betrieblichen Arbeitszeit. Diese wurde durch das Urteil erheblich erweitert.
Zudem folgt zwar aus dem Urteil vom 23. August 2023 wohl keine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur ununterbrochenen Erreichbarkeit für den Arbeitgeber während ihrer Freizeit, jedoch dürfen sich Arbeitnehmer zukünftig nicht mehr darauf verlassen, dass Freizeit auch ausschließlich freie Zeit ist. Vielmehr müssen sich Arbeitnehmer darauf einstellen, dass sie im Rahmen der betriebsüblichen Regelungen auch während ihrer Freizeit Weisungen ihres Arbeitgebers zur Kenntnis nehmen und befolgen müssen. Tun Arbeitnehmer dies nicht, gehen sie das Risiko einer Abmahnung, sowie von Vergütungseinbußen ein.
Vom BAG nicht zu entscheiden war die Frage, ob auch eine Verpflichtung der Arbeitnehmer besteht in ihrer Freizeit Weisungen zur Kenntnis zu nehmen und zu befolgen, die von ihrer Länge und Komplexität über die bloße Konkretisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsorts hinausgehen, wie beispielsweise eine dienstliche E-Mail samt Anlagen.
Offen bleibt damit, in welchem inhaltlichen Umfang Weisungen während der Freizeit des Arbeitnehmers erteilt werden dürfen, um noch von dessen arbeitsvertraglicher Mitwirkungspflicht erfasst zu sein und deren Kenntnisnahme zugleich nicht als Arbeitszeit zählt. Da eine SMS auf maximal 160 Zeichen begrenzt ist, nimmt das Lesen einer SMS regelmäßig sehr wenig Zeit in Anspruch, sodass das Recht des Arbeitnehmers seine Freizeit frei zu gestalten regelmäßig nicht beeinträchtigt wird. Anderes könnte jedoch für andere Medien, wie beispielsweise eine kurze E-Mail, gelten.
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