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17. August 2023

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Neues BAG-Urteil zur Entgelttransparenz: Ein Paukenschlag mit Sprengpotential!

  • In-depth analysis

Deutschland ist in Europa längst kein Vorbild, wenn es um das Thema „Equal Pay“ geht. Traurige Statistik aus 2022 ist: Frauen mit vergleichbaren Qualifikationen, Tätigkeiten und Erwerbsbiografien wie Männer verdienten im Schnitt 7 % weniger pro Stunde als ihre männlichen Kollegen.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16. Februar 2023 (8 AZR 450/21) zur Entgeltgerechtigkeit zwingt Unternehmen nun zum Handeln. Wir klären praxisnah auf, welches Sprengpotential das Urteil hat, nicht zuletzt auch im Zusammenhang mit Compliance und ESG.

Um was geht es im Urteil?

Es geht um Gehaltsnachzahlung und Schadensersatz wegen Diskriminierung. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang stellte der Arbeitgeber einen Mann mit – vereinfacht gesprochen – einem Monatsgehalt von 4.000 Euro und eine Frau mit einem Monatsgehalt von 3.500 Euro ein. Die Tätigkeiten waren gleich bzw. gleichwertig. Die Arbeitnehmerin klagte auf Zahlung der Gehaltsdifferenz seit Beginn des Arbeitsverhältnisses. Das Bundesarbeitsgericht ließ das Argument, der Mann habe besser verhandelt, genauso wenig gelten, wie den nicht näher belegten Vortrag, dass der Unterschied wegen Qualifikationen, anderen Provisionsregelungen, Zusatzurlaub und der Nachfolgeplanung gerechtfertigt war. Im Ergebnis sprach das Bundesarbeitsgericht der Arbeitnehmerin die höhere Vergütung rückwirkend zu. Die Vorinstanzen hatten dies noch anders beurteilt. Der Sachverhalt ist sehr vielschichtig und verdeutlicht die Komplexität des europarechtlich überwölbten Themas.

Wo liegt die Sprengkraft des Urteils?

Das Urteil hat aus mehreren Gründen beträchtliche Sprengkraft: Abgesehen von individuellen Klagen, kann ein erhebliches sozialversicherungsrechtliches Risiko bestehen. Wegen des sozialrechtlichen Entstehungsprinzips hätte nämlich von Anfang eine Verbeitragung im verjährungsrelevanten Zeitraum mit der höheren Vergütung erfolgen und ggf. auch verzinst werden müssen. Wenn also eine größere Gruppe eines Geschlechts schlechter entlohnt würde, kann das schnell teuer und möglicherweise sogar strafbar werden.

Zweitens setzt sich die Tendenz fort, in Gehaltsunterschieden eine vermutete Diskriminierung zu sehen. In Übereinstimmung mit dem Europarecht müssen gleiche Gehaltsbestandteile verglichen werden, also beispielsweise Grundgehalt zu Grundgehalt, Bonus zu Bonus, Dienstwagen zu Dienstwagen, Altersversorgung zu Altersversorgung usw. Ein Verrechnen untereinander ist nicht zulässig.

Drittens fordert das Bundesarbeitsgericht zur transparenten Information auf. Zu Ende gedacht müssen Arbeitgeber im Bewerbungs- oder im Gehaltsverhandlungsverfahren die zur Verhandlung stehenden Vergütungssysteme offenlegen. Das Argument, Männer würden besser verhandeln, gilt nicht.

Zu guter Letzt: Bei dem Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher/gleichwertiger Arbeit handelt es sich um Europarecht. Bei einem in Europa tätigen Unternehmen kann damit nicht nur das nationale Vergütungssystem, sondern auch das europäische Vergütungssystem in den Fokus geraten. Die Betriebsgrenzen sind europarechtlich jedenfalls irrelevant, wie die Tesco-Entscheidung aus Juni 2021 gezeigt hat. Eine gut durchdachte Vergütungs-Compliance wird damit für Unternehmen immer wichtiger.

Wie ermittelt man die Gleichwertigkeit der Tätigkeit?

Was gleiche/gleichwertige Arbeit ist, muss mit Hilfe einer Gesamtbetrachtung wertend festgestellt werden. Wie z.B. die Vergleichsgruppe gezogen wird, kann entscheidend sein. Dabei kann eine Vergleichsgruppe auch über die Betriebsgrenzen hinaus gehen. Wenn aufgrund dieser Gesamtbetrachtung gleiche/gleichwertige Arbeit geschlechterunterschiedlich vergütet wird, ist der Begründungsaufwand erheblich. Argumente, wie z.B. eine bessere Qualifikation, reichen jedenfalls nicht, wenn für die konkrete Tätigkeit die Qualifikation keine Rolle spielt. Im Fall des Bundesarbeitsgerichts war also beispielsweise für die Außendiensttätigkeit die Qualifikation "Diplom-Kauffrau" und "Staatlich geprüfter Techniker" unbeachtlich.

Helfen Ausschlussklauseln und gibt es Bestandschutz?

Im konkreten Fall hat das Bundesarbeitsgericht die Ausschlussklauseln nicht gelten lassen. Da es sich bei der Entgeltgleichheit um einen wichtigen Grundsatz des Europarechts zur Verwirklichung des Binnenmarktes handelt und damit nicht nur Individualschutz bezweckt wird, sondern auch gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden sollen, ist fraglich, ob Ausschlussklauseln überhaupt möglich sind. Die Rechtsentwicklung bleibt abzuwarten.

Das Urteil gewährt – in den Grenzen der Verjährung – keinen Bestandschutz. Das Argument, die Vergütungsstrukturen seinen individuell und historisch gewachsen, bietet also keine Sicherheit. Allerdings muss man sehen, dass es im Urteil um eine kleine Gruppe von nur drei Mitarbeitern ging. Ob das Gericht bei 30 Mitarbeitern ähnlich entschieden hätte, dürfte fraglich sein. Entscheidender als die Gruppengröße dürfte die Vergleichbarkeit der Tätigkeiten sein.

Kann tariflich vom Entgeltgleichheitsgrundsatz abweichen werden?

Nein – das Europarecht gilt insoweit auch für Kollektivregelung (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen usw.). Um ein Pay-Gap-Risiko zu eruieren, sollten man die jeweilige Kollektivregel, also z.B. einen Haustarifvertrag, prüfen und vergleichen, wie das Gender-Pay-Gap insoweit ausgeprägt ist. Auch mit Blick auf die Transparenzrichtlinie sollte man dann zügig Anpassungen vornehmen. Übrigens: Die Rechtsprechung ist gerade auch im AT-Bereich besonders beachtenswert, da dort traditionell das Verhandlungspotential höher liegt.

Was gilt bei Zielvereinbarungen?

Zielvereinbarungen sind auch entgeltrelevant im Sinne des Europarechts. Auch hier gilt der Grundsatz, gleiches Geld für gleiche Tätigkeit. Wenn also in einem Unternehmen Zielvereinbarungen implementiert werden, müssen diese auch diskriminierungsfrei gestaltet sein. Einen Automatismus, wonach der Teamleiter mehr oder anders entlohnt werden darf, gibt es jedenfalls dann nicht, wenn es sich dabei nur um eine formale Position handelt, also gleichwertige Arbeiten verrichtet werden. Ein Verrechnen der einzelnen variablen Vergütungsbestandteile geht so nicht. Jeder Bestandteil muss getrennt betrachtet werden.

Droht eine Klagewelle?

Eine Klagewelle ist noch nicht in Sicht, kann aber nicht ausgeschlossen werden. Das Urteil fordert geradezu dazu auf, Vergütungsunterschiede rechtlich zu prüfen und auch gegebenenfalls gerichtlich klären zu lassen – gerade wegen etwaiger sozialrechtlicher Fragestellungen. Betrachtet man die letzten drei Jahre, so hat das Bundesarbeitsgericht immer wieder die Entgelt-Diskriminierung in den Blick genommen (vgl. hier). Das Thema ist damit jedenfalls rechtlich immer mehr präsent. Mit Blick auf die durchaus relevanten Streitwerte könnten derartige Verfahren zunehmen. Entsprechende Anträge können jederzeit auch in Trennungsszenarien eine Rolle spielen, um weiteren Druck auf den Arbeitgeber auszuüben.

Können sich alle Beschäftigten in einem Unternehmen auf die Entgeltgleichheit berufen? 

Es gilt der weite, europäische Arbeitnehmerbegriff der Lawrie-Blum-Formel. Entscheidend ist, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er oder sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Damit sind Fremdgeschäftsführer:innen genauso dabei wie Geringfügig Beschäftigte, Teilzeitkräfte oder arbeitnehmerähnliche Personen.

Was ist von den Arbeitnehmervertretungen zu erwarten?

Das Thema "Entgelttransparenz" und "Diskriminierungsfreiheit" ist ein klassisches Thema der Arbeitnehmervertretung. Betriebsräte haben umfassende Kontrollrechte, etwa das Einsichtsrecht in die Lohn- und Gehaltslisten, und umfassende Mitbestimmungsrechte im Rahmen der Vergütungsausgestaltung. Wir erwarten, dass die Diskriminierungsfreiheit gerade auch von variablen Vergütungen noch stärker in den Vordergrund rücken wird, zumal das Thema gerade auch im Zusammenhang mit ESG steht.

Was plant der Gesetzgeber?

Im Koalitionsvertrag wird das Ziel formuliert, die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen und die Entgelttransparenz weiterzuentwickeln. Im Juni 2023 ist zudem die Entgelttransparenzrichtlinie in Kraft getreten. Diese wird bis 2026 umzusetzen sein und umfangreiche Auskunftsrechte und Berichtspflichten vorsehen. Zu befürchten sind auch zusätzliche Bußgelder. Die Zwischenzeit muss nun genutzt werden – Umstellungen von Gehaltssystemen brauchen Zeit und gute Planung.

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