11. August 2025
Article Series
Die Sommerurlaubszeit ist in vollem Gange und Arbeitgeber werden wieder vermehrt mit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die im Zusammenhang mit Urlauben von Arbeitnehmern stehen, konfrontiert. Für Arbeitgeber stellt sich dann regelmäßig die Frage, ob es sich um einen Versuch der bezahlten Urlaubsverlängerung oder eine tatsächliche Arbeitsunfähigkeit handelt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied mit Urteil vom 15. Januar 2025 – Az. 5 AZR 284/24 (Vorinstanz: LAG München – Az. 9 Sa 538/23), dass einem im EU-Ausland ausgestellten Attest grundsätzlich der gleiche Beweiswert beizumessen ist, wie einer hierzulande ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Das BAG hat dabei jedoch klargestellt, dass eine Gesamtschau der Umstände den Beweiswert des Attests erschüttern kann.
Der Entscheidung liegt die Klage eines Arbeitnehmers zugrunde, der bereits seit 22 Jahren bei seinem Arbeitgeber angestellt war und bereits in den Jahren 2017, 2019 und 2020 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen jeweils im Zusammenhang mit seinem Urlaub vorgelegt hatte. So geschah es auch im Jahr 2022, was schließlich in dem zu entscheidenden Rechtsstreit mündete:
Der Mitarbeiter hatte im Zeitraum vom 22. August bis 9. September 2022 Urlaub. Am 7. September 2022 legte er seinem Arbeitgeber ein Attest vor, das ihm ein Arzt aus Tunesien ausgestellt hatte. Der tunesische Arzt bescheinigte dem Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit bis zum 30. September 2022, wobei er die Arbeitsunfähigkeit unteranderem damit begründete, dass der Arbeitnehmer nicht reisefähig sei. Noch am Folgetag buchte der Arbeitnehmer die Rückreise für die Fähre und trat schließlich am 29. September die Rückreise mit der Fähre an. Der Arbeitgeber akzeptierte das Attest nicht und verweigerte zugleich die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG für den Monat September.
Der Senat stellte klar, dass auch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem EU-Ausland grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie inländischen oder europäischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zukommt. Voraussetzung sei jedoch, dass der ausländische Arzt zwischen einer Krankheit und einer Arbeitsunfähigkeit in der Bescheinigung differenziere.
Im konkreten Fall führe jedoch die Gesamtschau der Umstände zu einer Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dabei hat das BAG insbesondere berücksichtigt, dass eine Arbeitsunfähigkeit von 24 Tagen attestiert wurde, ohne zumindest eine erneute Vorstellung beim Arzt anzuordnen. Auch war zulasten des Mitarbeiters zu berücksichtigen, dass er sich unmittelbar nach dem Arztbesuch ein Fährticket gekauft hatte, die beschwerliche Heimreise mit dem Auto noch während der attestierten Arbeitsunfähigkeit antrat und es sich auch nicht um die erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Zusammenhang mit einem Urlaub handelte.
Sofern der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist, tritt im Gerichtsverfahren hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast eine Umkehr ein. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Beweisen kann der Arbeitnehmer eine Erkrankung beispielsweise, indem er schildert, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft, bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben.
Dementsprechend entschied das BAG, dass der Arbeitnehmer für die Geltendmachung seines Entgeltfortzahlungsanspruchs nach § 3 Abs. 1 EFZG die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit trägt.
Auf dieser Tatsachengrundlage wird das LAG München nun über den Entgeltfortzahlungsanspruch entscheiden müssen.
Die Frage des Beweiswertes einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist regelmäßig Gegenstand arbeitsgerichtlicher Entscheidungen, die sich mit dem Entgeltfortzahlungsanspruchs von Arbeitnehmern auseinandersetzen. Dabei ist für den Ausgang solcher arbeitsgerichtlichen Verfahren entscheidend, ob der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer die Beweislast für das Bestehen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit tragen. Das Urteil des BAG zeigt, dass es sich insbesondere bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit Urlauben von Arbeitnehmern lohnt, einmal genauer hinzusehen und die Gesamtumstände zu berücksichtigen. Dies gilt gleichermaßen für ausländische wie für inländische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.
28. Oktober 2025
von mehreren Autoren
8. Oktober 2025
11. September 2025
26. August 2025
von Sarah Spiecker
11. August 2025
von Antonia Mehl
1. Juli 2025
von Nico Jänicke
21. Mai 2025
24. April 2025
11. April 2025
21. März 2025
von Nico Jänicke
28. Februar 2025
von Lea Krebs, Sachka Stefanova-Behlert, LL.M. (UC Berkeley)
11. Februar 2025
von Lucas Corleis
9. Dezember 2024
von Viviana Schwarm
Ein Überblick über den aktuellen Referentenentwurf des Beschäftigtendatenschutzgesetzes (BeschDG)
23. Oktober 2024
8. Oktober 2024
von Sabrina Dettmer
30. September 2024
27. August 2024
von Antonia Mehl
14. August 2024
6. August 2024
von mehreren Autoren
19. Juni 2024
von Vanessa Talayman
24. April 2024
12. März 2024
Ein Jahr nach dem wegweisenden BAG-Urteil
7. März 2024
1. Februar 2024
26. Januar 2024
18. Januar 2024
von Annika Rahn
27. November 2023
8. November 2023
25. Oktober 2023
von Isabel Bäumer
18. September 2023
4. September 2023
20. November 2023
17. August 2023
26. Juli 2023
12. Juli 2023
Das Bundesarbeitsgericht hat sich erneut mit dem sehr praxisrelevanten Thema des Annahmeverzugs befasst. Das Urteil fiel zugunsten des Arbeitnehmers aus.
30. Mai 2023
von Laura Hannig
Die gängigen Fragestellungen zur Gewährung der Inflationsausgleichsprämie beantwortet.
19. Mai 2023
Am 31. Januar 2023 ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung in Kraft getreten.
5. Mai 2023
Der Gesetzesentwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Wir beantworten erste Fragen.
25. April 2023
von mehreren Autoren
Es reicht nicht aus, dass der Unterzeichner intern zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt ist. Der Gekündigte sollte hiervon auch in Kenntnis gesetzt werden.
18. April 2023
Beim Unterschreiben ist Vorsicht geboten: Nicht jedes „Gekritzel“ ist eine Unterschrift im Sinne des Gesetzes. Werden hier Fehler gemacht, droht die Unwirksamkeit der Kündigung.
6. April 2023
Arbeitgeber sollten frühzeitig Maßnahmen ergriffen, wenn es durch die Nutzung von ChatGPT zu arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen kommt.
22. März 2023
von Christina Poth, LL.M. (Edinburgh), Dr. Benedikt Kohn, CIPP/E
Kein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, solange ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt.
9. März 2023
Eine Frau hat Anspruch auf dasselbe Entgelt wie ihr männlicher Kollege – auch wenn dieser sein Gehalt geschickter verhandelt hat.
3. März 2023
von Annika Rahn
Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit.
26. Januar 2023
Das Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber sinkt damit deutlich. Dies stärkt insbesondere die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Rahmen von Vergleichsgesprächen.
20. Januar 2023
Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unterliegt nicht der Verjährung, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachkommen ist.
22. Dezember 2022
von Antonia Mehl