5. April 2024
Article Series
In Deutschland arbeiten laut statistischem Bundesamt rund 9,6 Mio. Arbeitnehmer in Teilzeit. Es ist daher nicht überraschend, dass die Frage bezüglich etwaiger Diskriminierungen von Teilzeitbeschäftigten regelmäßig Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen vor deutschen Arbeitsgerichten ist. Insbesondere die Frage, inwieweit tarifliche Zuschlagsregelungen für Überstunden Teilzeitbeschäftigte im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten diskriminieren, beschäftigt die Rechtsprechung über alle Branchen hinweg.
So hat das BAG kürzlich erneut ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, um prüfen zu lassen, ob eine nationale Regelung, nach der ein Teilzeitbeschäftigter die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden wie ein Vollzeitbeschäftigter leisten muss, um eine zusätzliche Vergütung zu erhalten, eine Diskriminierung darstellt, die nach dem Unionsrecht verboten ist.
Wer als Pilot für die Lufthansa CityLine arbeitet, verdient mehr Geld, je mehr er fliegt. Neben dem Grundgehalt sieht der anwendbare Tarifvertrag eine Mehrvergütung in Form einer Art Bonus vor, der sich nach den geleisteten Flugstunden bemisst. Damit die Mehrvergütung für „Mehrflugdienststunden“ greift, muss jedoch eine Mindestflugzeit im Monat überschritten werden. Dieser Schwellenwert ist bei Vollzeit und Teilzeitbeschäftigten jedoch gleich hoch. Das bedeutet, der Tarifvertrag sieht für Teilzeitbeschäftigte keine Herabsetzung der „Auslösegrenze“, entsprechend ihrem Teilzeitfaktor, vor, so dass sich die Frage stellt, ob diese „Gleichbehandlung“ eine Ungleichbehandlung darstellt?
Diese Frage stellte sich auch ein für die Lufthansa CityLine in Teilzeit beschäftigter Pilot. Er stört sich daran, dass die in seinem Arbeitsvertrag festgelegten Schwellenwerte denen für vollzeitbeschäftigte Pilotinnen und Piloten entsprechen. Der Pilot ist der Auffassung, dass die Schwellenwerte unter Berücksichtigung der von ihm geleisteten Stundenzahl aufgrund seiner Teilzeittätigkeit im Verhältnis zu seinem Teilzeitfaktor herabzusetzen seien. Er habe mit Überschreitung der „Auslösegrenzen“, wenn diese im Verhältnis zur geleisteten Arbeitszeit herabgesetzt seien, einen Anspruch auf die Mehrvergütung. Die Fluggesellschaft hingegen vertritt die Auffassung, dass die Mehrvergütung eine besondere Arbeitsbelastung ausgleichen soll, die nur dann geschuldet wird, wenn die sogen. „Auslösegrenze“ überschritten ist.
Der mit dem Rechtsstreit zwischen dem Piloten und der Lufthansa CityLine befasste 10. Senat des BAG legte den Sachverhalt dem EuGH mit der Frage vor, ob eine nationale Regelung, nach der ein teilzeitbeschäftigter Pilot die gleiche Anzahl Arbeitsstunden wie ein Vollzeitbeschäftigter leisten muss, um eine zusätzliche Vergütung zu erhalten, eine Diskriminierung darstellt, die nach dem Unionsrecht verboten ist (BAG, Vorlagebeschl. v. 11.11.2020 – 10 AZR 185/20).
Mit Urteil vom 19.10.2023 bejaht der EuGH die vom 10. Senat des BAG gestellte Vorlagefrage. Der EuGH hat die Frage dahingehend beantwortet, dass eine solche nationale Regelung teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer diskriminiere, es sei denn, diese Behandlung werde durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt. Diesbezüglich hielt der EuGH zunächst fest, dass die teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer während der Zeit ihrer Beschäftigung die gleichen Aufgaben wahrnehmen wie vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer. Die jeweilige Situation der Piloten sei daher vergleichbar. Wenn aber teil- und vollzeitbeschäftigte Piloten die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden leisten müssten, um eine Mehrvergütung zu erhalten, bedeute dies einen längeren Flugstundendienst für Teilzeitpiloten. Diese würden damit stärker belastet werden und die Schwelle für die „Auslösegrenze“ weitaus seltener als ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen überschreiten.
Der EuGH urteilt daher, dass eine solche nationale Regelung grundsätzlich zu einer schlechteren Behandlung der teilzeitbeschäftigten Piloten führt, was gegen das Unionsrecht verstößt. Es gilt, wo dies angemessen ist, daher der Pro-Rata-Temporis-Grundsatz. Das BAG, als nationales Gericht, ist nun aufgerufen, auch letzteren Aspekt zu prüfen. Dabei wird es die entsprechenden Erwägungen des EuGH zu berücksichtigen haben, der Vorbehalte gegenüber den Rechtfertigungsgründen äußert, die insbesondere von der Fluggesellschaft vorgebracht werden.
Die Entscheidung des EuGH ist an sich kritisch zu betrachten. Zum einen stellt sich bereits die Frage, ob es sich bei den Mehrflugstundenzuschlägen überhaupt um Vergütung handelt, die anteilig auch von Teilzeitbeschäftigten gefordert werden kann, oder nicht doch – wie auch von der Fluggesellschaft behauptet – um eine Art Zuschlag, der eine besondere Arbeitsbelastung ausgleichen soll. Eine besondere Arbeitsbelastung ist naturgemäß bei dem Erbringen von Überstunden durch Vollzeitbeschäftigte eher vorhanden, als bei Teilzeitbeschäftigten. Zudem widerspricht die Aussage des EuGH dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Ziel der tariflichen Regelung ist es, die Belastung der Arbeitnehmer zu senken, indem die jeweilige Flugstunde für den Arbeitgeber teurer wird. Welche Auswirkungen die Rechtsprechung des EuGH auf die Tariflandschaft haben wird, bleibt abzuwarten. Das BAG muss jetzt in der Sache entscheiden, wobei es die Entscheidungsgründe des EuGH hierbei zu berücksichtigen hat. Die Entscheidung wird jedoch voraussichtlich nicht nur Folgen für die Flug-Branche haben, sondern sich auch in vielen anderen Bereichen auswirken (z.B. in Kanzleien). Grundsätzlich sind alle Unternehmen aufgerufen, die Vergütung von Teilzeitbeschäftigten zu prüfen und gerade in Bezug auf die wiederholt bestätigten Kriterien des EuGH anzupassen. Arbeitgeber sollten die Entscheidung des BAG und ihre Begründung jedoch abwarten und nicht vorschnell ihre betrieblichen Regelungen zur Mehrarbeitsvergütung anpassen.
21. May 2025
24. April 2025
11. April 2025
von Alessa Böttcher
21. March 2025
von Nico Jänicke
28. February 2025
von Lea Krebs, Sachka Stefanova-Behlert, LL.M. (UC Berkeley)
11. February 2025
von Lucas Corleis
9. December 2024
von Viviana Schwarm
Ein Überblick über den aktuellen Referentenentwurf des Beschäftigtendatenschutzgesetzes (BeschDG)
23. October 2024
8. October 2024
von Sabrina Dettmer
30. September 2024
27. August 2024
von Antonia Mehl
14. August 2024
6. August 2024
von mehreren Autoren
19. June 2024
von Vanessa Talayman
24. April 2024
12. March 2024
Ein Jahr nach dem wegweisenden BAG-Urteil
7. March 2024
1. February 2024
26. January 2024
18. January 2024
von Annika Rahn
18. December 2023
von Alessa Böttcher
27. November 2023
8. November 2023
25. October 2023
von Isabel Bäumer
18. September 2023
4. September 2023
20. November 2023
17. August 2023
26. July 2023
12. July 2023
Das Bundesarbeitsgericht hat sich erneut mit dem sehr praxisrelevanten Thema des Annahmeverzugs befasst. Das Urteil fiel zugunsten des Arbeitnehmers aus.
30. May 2023
von Laura Hannig
Die gängigen Fragestellungen zur Gewährung der Inflationsausgleichsprämie beantwortet.
19. May 2023
Am 31. Januar 2023 ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung in Kraft getreten.
5. May 2023
Der Gesetzesentwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Wir beantworten erste Fragen.
25. April 2023
von mehreren Autoren
Es reicht nicht aus, dass der Unterzeichner intern zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt ist. Der Gekündigte sollte hiervon auch in Kenntnis gesetzt werden.
18. April 2023
von Alessa Böttcher
Beim Unterschreiben ist Vorsicht geboten: Nicht jedes „Gekritzel“ ist eine Unterschrift im Sinne des Gesetzes. Werden hier Fehler gemacht, droht die Unwirksamkeit der Kündigung.
6. April 2023
Arbeitgeber sollten frühzeitig Maßnahmen ergriffen, wenn es durch die Nutzung von ChatGPT zu arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen kommt.
22. March 2023
von Christina Poth, LL.M. (Edinburgh), Dr. Benedikt Kohn, CIPP/E
Kein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, solange ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt.
9. March 2023
Eine Frau hat Anspruch auf dasselbe Entgelt wie ihr männlicher Kollege – auch wenn dieser sein Gehalt geschickter verhandelt hat.
3. March 2023
von Annika Rahn
Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit.
26. January 2023
Das Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber sinkt damit deutlich. Dies stärkt insbesondere die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Rahmen von Vergleichsgesprächen.
20. January 2023
Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unterliegt nicht der Verjährung, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachkommen ist.
22. December 2022
Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit.
BAG: Beschäftigte müssen Überstunden weiterhin beweisen