19. August 2024
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Kurz vor Beginn der Sommerpause haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie das Bundesministerium der Finanzen am 24. Juni 2024 ihren Referentenentwurf für das Betriebsrentenstärkungsgesetz II vorgelegt. Erklärtes Ziel soll sein, die Attraktivität der bAV in Deutschland weiter zu steigern, und so dem weiterhin sinkenden Rentenniveau in der gesetzlichen Rentenversicherung entgegenzuwirken.
Dieser Beitrag soll einen ersten Überblick darüber geben, welche Neuerungen der Referentenentwurf insbesondere vorsieht, und wo sich aus Sicht des Verfassers bereits erste Probleme abzeichnen:
Die Abfindung von Betriebsrentenanwartschaften ist im laufenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich möglich. Dies gilt unabhängig davon, ob diese verfallbar oder unverfallbar sind. Sobald das Arbeitsverhältnis beendet werden soll, beendet wurde oder gar die Rentenzahlungen bereits laufen, ist eine Abfindung hingegen nur noch unter den engen Voraussetzungen des § 3 BetrAVG möglich.
Diese Vorschrift begrenzt die Abfindungsmöglichkeit – abgesehen von Liquidationsfällen – insbesondere auf sogenannte „Kleinst-Anwartschaften“ bis 1 % (laufende Rentenzahlungen) bzw. bis 12/10 (Kapitalleistungen) der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV. Dies sind derzeit EUR 35,35 (West)/EUR 34,65 (Ost) bei laufenden Rentenleistungen bzw. EUR 4.242 (West)/EUR 4.158 (Ost) bei Kapitalleistungen.
Diese Abfindungsgrenze für Kleinst-Anwartschaften soll nach dem Referentenentwurf nun verdoppelt werden auf 2 % (laufende Rentenzahlungen) bzw. 24/10 (Kapitalleistungen) der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV. Wenn der Arbeitgeber von dieser erhöhten Abfindung Gebrauch machen will, müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein: (i) Der Arbeitnehmer muss dem zustimmen und (ii) er muss den gesamten Abfindungsbetrag zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung verwenden.
Bisher kann ein Arbeitnehmer vor Erreichung der vereinbarten Altersgrenze eine vorzeitige Betriebsrente erst dann verlangen, wenn er eine Vollrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht. Geregelt ist dies in § 6 BetrAVG.
Nach der Konzeption des Referentenentwurfs sollen Arbeitnehmer künftig hingegen schon dann einen Anspruch auf Zahlung einer vorzeitigen Betriebsrente – ggf. mit entsprechenden Abschlägen – haben, wenn sie eine Teilrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Sie müssten mithin nicht den Bezug der gesetzlichen Vollrente abwarten.
Die Entgeltumwandlung ist grundsätzlich eine „Holschuld“ der Arbeitnehmer, das heißt, sie wird nur dann durchgeführt, wenn der Arbeitnehmer dies aktiv beim Arbeitgeber beantragt. Dies kann allerdings auch so „umgekehrt“ werden, dass die Entgeltumwandlung bei allen Arbeitnehmern oder einer bestimmten Gruppe automatisch erfolgt und der einzelne Arbeitnehmer widersprechen muss, wenn er an dieser automatischen Entgeltumwandlung nicht teilnehmen möchte.
Nach derzeitiger Rechtslage ist ein solches „Opting-Out“-Modell allerdings nur möglich, wenn dies (i) in einem Tarifvertrag oder (ii) auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung so geregelt wird (§ 20 Abs. 2 BetrAVG). Ohne Mitwirkung zumindest der Gewerkschaft ist die Einführung des Opting-Out-Modells mithin bisher nicht möglich.
Nach dem Referentenentwurf soll die Einführung des Opting-Out-Modells künftig demgegenüber auch ohne eine tarifvertragliche Regelung möglich sein, solange sich die Betriebsparteien hierauf im Rahmen einer Betriebsvereinbarung einigen. Dies soll allerdings nur dann möglich sein, wenn der Arbeitgeber gleichzeitig mindestens 20 Prozent des umgewandelten Entgelts als Arbeitgeberzuschuss hinzugibt.
Ein Grundprinzip der betrieblichen Altersversorgung besteht darin, dass der Arbeitgeber für zugesagte Betriebsrentenzahlungen stets einstandspflichtig ist. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber keine Direktzusage macht, sondern die Betriebsrente über einen externen Versorgungsträger finanziert wird und dessen Leistungen ganz oder teilweise hinter der zugesagten Versorgungshöhe zurückbleiben. Die ordnungsgemäße Zahlung der vereinbarten Beiträge an den externen Versorgungsträger enthaftet den Arbeitgeber mithin grundsätzlich nicht.
Um die Attraktivität der Betriebsrente zu steigern, hat der Gesetzgeber bereits im Rahmen des 1. Betriebsrentenstärkungsgesetzes versucht, diese starre Einstandspflicht für Arbeitgeber aufzuweichen, indem er die Möglichkeit geschaffen hat, durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebsvereinbarung eine sogenannte „reine Beitragszusage“ zu vereinbaren. Das Besondere hierbei ist, dass ein Arbeitgeber, der regelmäßig die zugesagten Beiträge an den externen Versorgungsträger leistet, nicht dafür einstehen muss, dass der Versorgungsträger bei Eintritt des Versorgungsfalls bestimmte Leistungen erbringt. Die Sozialpartner, das heißt Arbeitgeberverband und Gewerkschaft, müssen hierbei allerdings gegenüber dem Versorgungsträger sicherstellen, dass sie sich auch an der Durchführung und Steuerung ihres Sozialpartnermodells angemessen beteiligen (können).
Von diesem sogenannten „Sozialpartnermodell“ wurde seit seiner Einführung im Jahr 2018 in der Praxis jedoch bisher kaum Gebrauch gemacht. Aus diesem Grund soll das Sozialpartnermodell nach dem Referentenentwurf künftig insbesondere durch folgende Maßnahmen attraktiver werden:
Voraussetzung soll allerdings in beiden Konstellationen sein, dass die das Sozialpartnermodell tragenden Tarifvertragsparteien einer solchen Inbezugnahme auf an sich nicht erfasste Arbeitsverhältnisse zustimmen. Zudem ist zu beachten, dass die Tarifvertragsparteien solche Dritten in bezugnehmenden Arbeitgeber nach dem Referentenentwurf an den Kosten für die Durchführung und Steuerung des Sozialpartnermodells beteiligen können.
Das erklärte Ziel des Gesetzgebers, die Betriebsrente für Arbeitgeber und Arbeitnehmer attraktiver zu machen, und so eine weitere Verbreitung zu erreichen, ist völlig richtig und notwendig: Von dem Instrument der bAV muss künftig in stärkerem Maße Gebrauch gemacht werden, um dem sinkenden Rentenniveau etwas entgegenzusetzen.
Es steht allerdings zu befürchten, dass zumindest der vorliegende Referentenentwurf dieses Ziel verfehlen wird, denn er enthält an vielen Stellen zwar gute Anreize, die jedoch gleichzeitig durch gesetzliche Sonderauflagen wieder entwertet werden: So ist es zwar lobenswert, dass die Grenzen für die Abfindung von Kleinst-Anwartschaften angehoben werden sollen; welcher Arbeitnehmer soll einer solchen Abfindung aber realistischerweise zustimmen, wenn er sie nicht ausgezahlt bekommt, sondern sie stattdessen in die gesetzliche Rentenversicherung „zwangsumgeschichtet“ wird? Hinzu kommt, dass er sich hinsichtlich der Rentenhöhe durch diesen Tausch in den meisten Fällen wahrscheinlich sogar schlechter stellen dürfte.
Auch ist nicht einleuchtend, warum ein Arbeitgeber, der mit seinem Betriebsrat zugunsten seiner Arbeitnehmer ein Opting-Out System bei der Entgeltumwandlung auf den Weg bringt, dadurch bestraft werden soll, dass er einen Arbeitgeberzuschuss von 20 % statt wie üblich von 15 % des umgewandelten Entgelts leisten muss. Auch die intendierte Ausweitung der Entgeltumwandlung dürfte damit ausbleiben.
Auch die erhoffte Ausweitung von Inbezugnahmen tariflicher Sozialpartnermodelle durch Arbeitgeber dürfte sich vermutlich nicht realisieren: Wenn der Arbeitgeber bei einer solchen Inbezugnahme damit rechnen muss, von der Gewerkschaft hierfür „zur Kasse gebeten“ zu werden, dürfte seine Motivation zur Vereinbarung solcher Inbezugnahmen eher gering sein. Zudem ist fraglich, welches Interesse die Tarifvertragsparteien daran haben, der Inbezugnahme solcher an sich nicht erfassten Arbeitsverhältnisse zuzustimmen und ob sich diese Möglichkeit für nichttarifgebundene Arbeitgeber daher in der Praxis überhaupt bieten wird. Letztendlich ist das bisherige Interesse der Gewerkschaften am Sozialpartnermodell sowieso überschaubar. So hat z.B. die mitgliederstärkste Gewerkschaft in Deutschland, die IG Metall, auf ihrem Gewerkschaftstag im Oktober 2023 dem Sozialpartnermodell eine Absage erteilt.
Es bleibt abzuwarten, ob die Regelungen des Referentenentwurfs in der vorgelegten Form den Sprung in den Regierungsentwurf und das finale Gesetz schaffen, oder ob diese bis dahin noch einmal modifiziert werden. Letzteres wäre mit Blick auf die obengenannten Fallstricke für die Arbeitgeber sicherlich wünschenswert.
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