19. Juni 2024
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Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) hat in seiner Entscheidung vom 5. Dezember 2023 (9 AZR 230/22) festgestellt, dass ein Arbeitnehmer sich bei sogenannten Doppelarbeitsverhältnissen bereits genommenen Urlaub beim neuen Arbeitgeber anrechnen lassen muss, wenn ein Gericht im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses die Unwirksamkeit einer Kündigung des alten Arbeitgebers festgestellt und der Arbeitnehmer dadurch in beiden Arbeitsverhältnissen Urlaubsansprüche erlangt hat – und zwar unabhängig davon, dass der Arbeitnehmer die Pflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht gleichzeitig hätte erfüllen können.
Die Klägerin war als Verkäuferin bei der Beklagten beschäftigt. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Die von der Klägerin eingereichte Kündigungsschutzklage war erfolgreich. Das Gericht stellte fest, dass die ausgesprochene fristlose Kündigung der Beklagten aus dem Jahr 2019 unwirksam war und das Arbeitsverhältnis der Parteien erst durch eine im Mai 2021 ausgesprochene, weitere fristlose Kündigung wirksam beendet wurde. Die Klägerin begann jedoch im Jahr 2020 eine neue Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber und nahm auch den ihr aus dem neuen Arbeitsverhältnis zustehenden Urlaub bereits (teilweise).
Die Klägerin begehrte sodann gerichtlich die Abgeltung des vertraglichen Mehrurlaubs aus den Jahren 2020 und 2021 von ihrem alten Arbeitgeber. Der Arbeitsvertrag der Klägerin mit dem alten Arbeitgeber beinhaltete keine vertragliche Regelung zur Anrechnung von Urlaub.
Das BAG stellte in seiner Entscheidung klar, dass der Klägerin kein Urlaubsabgeltungsanspruch gegen den alten Arbeitgeber zustand, da der durch den neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub anzurechnen und der Anspruch gegen den alten Arbeitgeber mithin erloschen sei.
Das BAG entschied, dass der vom neuen Arbeitgeber gewährte Urlaub entsprechend § 615 S. 2 BGB i.V.m. § 11 Nr. 1 KSchG analog auf den Urlaubsabgeltungsanspruch gegen den ursprünglichen Arbeitgeber angerechnet werden müsse. Das BUrlG träfe zur Konstellation der Doppelarbeitsverhältnisse keine Aussage, sodass eine analoge Anwendung geboten sei. Das BAG begründet dies damit, dass das BUrlG nicht den Zweck verfolge, den Arbeitnehmer besserzustellen, wenn er die Arbeitspflichten aus beiden Arbeitsverhältnissen nicht kumulativ hätte erfüllen können. Dies wäre nach Ansicht des BAG insbesondere beim Vorliegen zweier Vollzeitarbeitsverhältnisse anzunehmen. Eine Anrechnung erfolge dann sowohl für den gesetzlichen als auch für den vertraglichen Mehrurlaub. Etwas anderes könne nur gelten, soweit die Parteien den Ausschluss der Anrechnung vertraglich vereinbart haben, da es sich bei den Vorschriften um dispositives Gesetzesrecht handele. Im Übrigen sei die Anrechnung stets nur auf das Kalenderjahr bezogen zu betrachten, so das BAG.
Beide vom BAG angewandten Vorschriften regeln zwar eigentlich Fälle des Annahmeverzuges für Entgeltansprüche, verfolgen jedoch das Ziel, dass der Arbeitnehmer bei seinem Obsiegen im Kündigungsschutzrechtsstreit wirtschaftlich so gestellt wird, als sei das Arbeitsverhältnis ohne Rechtsstreit durchgeführt worden. Der Arbeitnehmer soll (finanziell) weder besser noch schlechter gestellt sein. Dieser Rechtsgedanke findet nach der Rechtsprechung des BAG auch auf Urlaubsansprüche Anwendung. Was für den Arbeitsverdienst gilt, ist demnach auf den Urlaubsabgeltungsanspruch – analog – zu übertragen. Im Falle eines Doppelarbeitsverhältnisses soll dem Arbeitnehmer ein Urlaubsanspruch in doppelter Höhe nicht zuteilwerden, sondern er ist so zu stellen, als sei das Arbeitsverhältnis ohne Unterbrechung durch die Kündigung durchgeführt worden.
Das BAG knüpft an die Rechtsprechung des neunten Senats des BAG vom 21. Februar 2012 (9 AZR 487/10) an. Bereits damals hatte das BAG entschieden, dass eine Anrechnung von Urlaubsansprüchen bei Doppelarbeitsverhältnissen zu erfolgen hat. Das neue Urteil des BAG ist begrüßenswert, da nur so eine nicht gerechtfertigte Besserstellung des Arbeitnehmers gewährleistet werden kann.
Arbeitgeber sollten daher im Rahmen von Kündigungsstreitigkeiten die Möglichkeit der Anrechnung von Urlaubsansprüchen stets im Blick behalten. Es wird daher empfohlen, von dem Arbeitnehmer Auskunft über die Anzahl der bereits genommenen Urlaubstage bei dem neuen Arbeitgeber zu verlangen.
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