28. Februar 2025
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Matrixstrukturen prägen zunehmend die Organisationsstruktur vieler Unternehmen. Sie ermöglichen vor allem, vorhandene Synergien in komplexen Unternehmensstrukturen zu stärken und Geschäftsbereiche durch die Ausrichtung an Funktionen anstelle von Rechtsträgern effektiver zu steuern. Matrixstrukturen kennzeichnen sich dadurch, dass eine betriebs-/unternehmensübergreifende Zusammenarbeit stattfindet, die aus arbeitsrechtlicher Sicht das fachliche Weisungsrecht (“dotted line”) vom disziplinarischen Weisungsrecht (“solid line”) entkoppelt.
Es bestehen mindestens zwei Berichtslinien nebeneinander und folglich mehrere Vorgesetzte für einzelne Beschäftigte.
Aufgrund der wachsenden Internationalisierung von Unternehmen machen die Matrixstrukturen nicht an den Ländergrenzen halt. Die Implementierung grenzüberschreitender Matrixstrukturen wird immer beliebter. Diese Entwicklung wird nicht zuletzt durch die Flexibilisierung und Digitalisierung von Arbeitsmodellen und die Entgrenzung der modernen Arbeitswelt forciert.
Geprägt durch funktionale Erwägungen, laufen Matrixstrukturen häufig sowohl dem individualarbeitsrechtlichen Verständnis der “Weisungsbefugnis”, als auch dem “Betriebsbegriff” des BetrVG zuwider. Noch komplexer stellt sich die Situation im Falle grenzüberschreitender Matrixstrukturen dar. Deren Etablierung und Handhabung verlangt daher eine besondere Auseinandersetzung mit dem bestehenden rechtlichen Gefüge. Im Bereich des Arbeitsrechts ist bei der Implementierung von solchen grenzüberschreitenden Matrixstrukturen die Beachtung etwaiger Beteiligungsrechte betriebsverfassungsrechtlicher Organe, wie denen des lokalen Betriebsrats, für die Praxis besonders relevant.
Mit dem Teilaspekt der Eingliederung im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Einstellung (§ 99 BetrVG) in einem grenzüberschreitenden Kontext beschäftigte sich das Landesarbeitsgericht Bremen in seiner Entscheidung vom 02. Mai 2024 (Az. 2 TaBV 2/23).
Im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Bremen (Az. 2 TaBV 2/23) stritten der lokale Betriebsrat und die Arbeitgeberin im Kern um die Frage, inwieweit eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG in folgenden zwei, für eine (internationale) Matrixstruktur typischen, Konstellationen vorliegt:
Als Teil einer internationalen Konzernstruktur mit der Muttergesellschaft in den USA beschäftigte die Arbeitgeberin etwa 510 Arbeitnehmer am Betriebsstandort Bremen; deutschlandweit verfügte der Konzern über 5.000 Arbeitnehmer an ca. 20 Standorten, die jeweils als eigenständige Unternehmen geführt wurden. Der Konzern selbst war durch eine klassische Matrixorganisation gekennzeichnet. Einzelne Arbeitnehmer im Betrieb Bremen konnten somit mehrere weisungsbefugte Vorgesetzte haben, die aber nicht notwendigerweise nur bei der Arbeitgeberin in Bremen organisiert waren, sondern bei anderen konzernabhängigen Unternehmen im In- bzw. Ausland beschäftigt wurden.
Im Rahmen dieser Matrixstruktur gab es drei im Ausland beschäftigte Führungskräfte, die bei der Arbeitgeberin fachliche Weisungsbefugnisse hinsichtlich einzelner Mitarbeiter im Betrieb Bremen ausübten (sog. Matrixmanager). Ferner nahmen sie disziplinarische Aufgaben wahr. So führten die Matrixmanager Zielvereinbarungsgespräche mit den zugeordneten Bremer Mitarbeitern bzw. regelten Fragen zur Gestaltung von Home Office oder zum Umgang mit Verspätungen ohne Abstimmung mit der deutschen Vertragsarbeitgeberin. Daneben wurden sie bei Kündigungen oder Abmahnungen konsultiert, wobei die endgültige Entscheidung bei der deutschen Arbeitgeberin verblieb. Auch die Urlaubsanträge der Mitarbeiter wurden mit den Matrixmanagern abgestimmt, auch wenn sie formell weiterhin von der deutschen Arbeitgeberin beschieden werden mussten.
Eine vierte Mitarbeiterin war zwar bei der Schwestergesellschaft in England beschäftigt und dort auch einem Vorgesetzten disziplinarisch unterstellt. Ihr fachlicher Vorgesetzter war jedoch ein Mitarbeiter der Arbeitgeberin im Betrieb Bremen. Sie arbeitete ausschließlich dem Team in Bremen zu und war durch tägliche Team-Calls sowie einer gemeinsam geführten Urlaubsplanung in die alltäglichen Arbeitsaufgaben des Bremer Standorts eingebunden.
Der Betriebsrat sah in beiden Konstellationen eine Einstellung und begehrte über die Aufhebung der personellen Maßnahmen nach § 101 BetrVG und ein Ordnungsgeld für den Fall der Zuwiderhandlung.
Das LAG Bremen bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven (Beschluss vom 17. Januar 2023, 2 BV 201/22), welche zugunsten des Betriebsrates ausfiel.
Unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BAG, wonach eine Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG dann gegeben ist, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen, setzte sich das Gericht insbesondere mit der Voraussetzung der Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation in der 1. Konstellation auseinander. Eine Eingliederung wurde bejaht, weil
Dies gilt nach Auffassung des Gerichts unabhängig von einem bestimmten qualitativen oder aber zeitlichen Umfang der Tätigkeit im Inlandsbetrieb. Unschädlich ist ebenfalls, wenn der Matrixmanager nicht vor Ort tätig ist, seinerseits nicht dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin unterliegt oder keine rechtlichen Befugnisse zu Disziplinarmaßnahmen hat. Umgekehrt indiziert das Innehaben (beschränkter) personeller Aufgaben die Einbindung in die betrieblichen Abläufe.
Das Gericht bejahte die Eingliederung auch in der 2. Konstellation. Durch die fachliche Koordination der Arbeit der im Ausland tätigen Mitarbeiterin durch den Vorgesetzten in Bremen übe die deutsche Arbeitgeberin eine (Teil-)Arbeitgeberfunktion gegenüber der Mitarbeiterin aus, die in einer betriebsverfassungsrechtlich relevanten Arbeitgeberstellung resultiere.
Die Erwägungen des LAG Bremen sind nicht neu und entsprechen der ständigen Rspr. des BAG bei nationalen Matrixstrukturen. Brisant ist jedoch die Ausdehnung dieser Rechtsprechung auf Führungskräfte ausländischer Betriebe und grenzüberschreitende Sachverhalte. Hiernach erfasst das BetrVG auch im Ausland tätige Arbeitnehmer, wenn ihre Tätigkeit die Arbeitsabläufe des Inlandsbetriebs mitgestaltet und wenn sie an der Verfolgung des gemeinsamen arbeitstechnischen Zweckes des Inlandsbetriebs mitwirken.
Die Entscheidung des LAG Bremen zeigt einmal mehr, wie komplex die rechtssichere Etablierung von (internationalen) Matrixstrukturen ist. In einer Arbeitswelt, in der Matrixstrukturen aufgrund der Flexibilität der Arbeitsmodelle nunmehr mehr Regel als Ausnahme darstellen, droht damit die Grenze des Betriebsverfassungsgesetzes zu verschwimmen.
Wir empfehlen, bei der Aufsetzung von Matrixstrukturen eine sorgfältige Prüfung etwaiger betriebsverfassungsrechtlicher Beteiligungsrechte vorzunehmen. Diesbezüglich kann auch die Bestimmung des zuständigen Betriebsrates unter Umständen herausfordernd sein. Wie die Entscheidung des LAG Bremen ferner zeigt, ist die Anwendung des BetrVG in Bezug auf im Ausland tätige Arbeitnehmer im Rahmen internationaler Matrixstrukturen nicht ausgeschlossen. Einen gewissen Spielraum hat der Arbeitgeber jedoch. Gerade im internationalen Kontext sollte kritisch überprüft werden, ob Matrixmanager aufgrund ihrer häufig breit aufgestellten globalen Verantwortung leitende Angestellte innerhalb des deutschen Unternehmens sind und damit aus dem Anwendungsbereich des BetrVG fallen.
Ihr TW-Team hilft Ihnen gerne dabei, Ihre Matrixstrukturen zu einem Erfolgsmodell werden zu lassen.
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