21. Mai 2025
Article Series
Entgeltgerechtigkeit ist ein hartes Compliance-Thema. Es geht nicht nur um Fairness und Transparenz, sondern auch um nachhaltiges Management. Der Begriff des Entgelts ist weit zu verstehen, wobei jeder Entgeltbestandteil einzeln zu vergleichen ist und auch die Gruppen-Entgeltgerechtigkeit eine Rolle spielen kann. Besondere Relevanz kann dies bei der Zuteilung virtueller Aktienoptionen haben, wie das LAG Württemberg entschieden hat (LAG Baden-Württemberg – 2 Sa 14/24).
Der komplexe Sachverhalt lässt sich auf zwei Fragen reduzieren: Wird eine Entgeltdiskriminierung bereits dann vermutet, wenn ein männlicher Kollege der Vergleichsgruppe mehr als die Frau verdient oder bedarf es einer Gesamtwürdigung? Und zweitens: Ist die Diskriminierung bei der Zuteilung virtueller Aktien auch dann auszugleichen, wenn diese als freiwilliges Programm gestaffelt nach der prognostizierten „zukünftig erwarteten Performance“ zugeteilt werden? Diese beiden Rechtsfragen lassen sich nur über eine Auslegung der europarechtlich fallrechtsgeprägten Normen beantworten. Das Bundesarbeitsgericht wird hierzu auch weitere Entscheidungen im Oktober verkünden.
Die gute Nachricht zuerst: Allein aus der Tatsache unterschiedlichen Gehalts zwischen Männer und Frauen folgt nach Auffassung des Gerichts noch keine Vermutung für eine Diskriminierung. Das Gericht fordert eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung. Alle relevanten Faktoren, insbesondere die Struktur der Vergleichsgruppen, müssen berücksichtigt werden.
Auf den Fall bezogen bedeutet das: Nicht jede Gehaltsdifferenz zum männlichen Kollegen ist automatisch eine Diskriminierung. Zwar reicht es in einem ersten Schritt für die Vermutung einer Diskriminierung aus, wenn die Frau ein geringeres Entgelt als der Mann erhält (und natürlich umgekehrt). Es fehlt aber dann an einer Diskriminierung, wenn auf die Gruppe bezogen die anderen männlichen Kollegen nicht besser entlohnt werden. Es gibt damit keinen Vergleich mit einzelnen Ausreißern nach oben und nach unten. Maßgeblich ist eine statistische Betrachtung des Medienentgelts. Das Gericht stellt klar, dass es bei der Medianentgelt-Betrachtung auf beide, also männliche und weibliche Vergleichsgruppen ankommt.
Der erste Haken ist jedoch, dass Arbeitgeber sich bei der Vergütungsstruktur genau die Begründungsansätze überlegen und auch die notwendigen Daten aufbereiten müssen. Wie die Vergleichsgruppen zu bilden sind und was das Gericht unter gleicher und gleichwertiger Arbeit versteht, ist für die Praxis damit wichtig. Zwar gibt es gute Grading-Software-Lösungen. Es muss aber immer eine juristische Begutachtung der Ergebnisse und Auswahlkriterien erfolgen, wenn man nicht ins Blaue hinein Compliance-Verstöße in Kauf nehmen will.
Spannend und praxisrelevant sind die Ausführungen zu virtuellen Aktien: Auch wenn es sich um freiwillige Leistungen des Arbeitgebers handelte, muss bei der Zuteilung der Gleichbehandlungssatz gewahrt werden. Erneut bedarf es einer fairen, transparenten und nachvollziehbar begründeten Praxis.
Dem Arbeitgeber wird damit kein einseitiges Ermessen bei der Bestimmung von Arbeitsleistungen eingeräumt. Da die Aktienvergabe keine individuelle Leistung im engeren Sinne darstelle, sondern Teil eines kollektiven Anreizsystems sei, dürfe das Unternehmen hier keine alleinige Bestimmungskraft ausüben. Stattdessen müsse der Arbeitgeber innerhalb eines klaren, transparenten Systems handeln, das allen Führungskräften unabhängig von ihrer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung gleiche Chancen bietet.
Auch wenn derzeit das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, sollte die Praxis die Grundsätze der Entscheidung beachten. Erfreulich ist zwar, dass hier eine Angleichung an den Höchstlohn abgelehnt wird (anders aber das LAG Düsseldorf). Die Vergütungsstruktur muss aber stets nachvollziehbar und transparent ausgestaltet sein. Die Entscheidung ist unmissverständlich, dass auch bei freiwilligen virtuellen Aktien keine Willkür des Arbeitgebers herrscht. Die Zuteilung hat diskriminierungsfrei zu erfolgen. Zudem – noch eine Stufe grundlegender – muss die Ausgestaltung des Programms für virtuelle Aktien ebenfalls diskriminierungsfrei und nachvollziehbar sein. Vorsicht sollte man bei der Einführung eines pro-rate-temporis Grundsatzes walten lassen.
Das Urteil zeigt eines deutlich: Es besteht dringender Handlungsbedarf – noch dringender wenn man die Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie am Horizont sieht. Gehaltsstrukturen müssen auf Diskriminierungsrisiken juristisch bewertet und untersucht werden. Die Zeit läuft schnell. Wer das Thema auf die berühmte lange Bank schiebt oder abwartet, riskiert nicht nur Streitigkeiten, sondern auch Gerichtsverfahren. Daher klarer Rat: Lassen Sie jetzt ihr Vergütungssystem überprüfen, gerade auch freiwillige Programme oder Mitarbeiterbeteiligungskonzepte.
Zur HR Coffee Break #5: "Mitarbeiterbindung durch Beteiligungsprogramme?"
Jakob Schäfer
Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Taylor Wessing
28. Oktober 2025
von mehreren Autoren
8. Oktober 2025
11. September 2025
26. August 2025
von Sarah Spiecker
11. August 2025
von Antonia Mehl
1. Juli 2025
von Nico Jänicke
21. Mai 2025
24. April 2025
11. April 2025
21. März 2025
von Nico Jänicke
28. Februar 2025
von Lea Krebs, Sachka Stefanova-Behlert, LL.M. (UC Berkeley)
11. Februar 2025
von Lucas Corleis
9. Dezember 2024
von Viviana Schwarm
Ein Überblick über den aktuellen Referentenentwurf des Beschäftigtendatenschutzgesetzes (BeschDG)
23. Oktober 2024
8. Oktober 2024
von Sabrina Dettmer
30. September 2024
27. August 2024
von Antonia Mehl
14. August 2024
6. August 2024
von mehreren Autoren
19. Juni 2024
von Vanessa Talayman
24. April 2024
12. März 2024
Ein Jahr nach dem wegweisenden BAG-Urteil
7. März 2024
1. Februar 2024
26. Januar 2024
18. Januar 2024
von Annika Rahn
27. November 2023
8. November 2023
25. Oktober 2023
von Isabel Bäumer
18. September 2023
4. September 2023
20. November 2023
17. August 2023
26. Juli 2023
12. Juli 2023
Das Bundesarbeitsgericht hat sich erneut mit dem sehr praxisrelevanten Thema des Annahmeverzugs befasst. Das Urteil fiel zugunsten des Arbeitnehmers aus.
30. Mai 2023
von Laura Hannig
Die gängigen Fragestellungen zur Gewährung der Inflationsausgleichsprämie beantwortet.
19. Mai 2023
Am 31. Januar 2023 ist das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und grenzüberschreitender Spaltung in Kraft getreten.
5. Mai 2023
Der Gesetzesentwurf des BMAS zur Arbeitszeiterfassung ist veröffentlicht. Wir beantworten erste Fragen.
25. April 2023
von mehreren Autoren
Es reicht nicht aus, dass der Unterzeichner intern zum Ausspruch der Kündigung bevollmächtigt ist. Der Gekündigte sollte hiervon auch in Kenntnis gesetzt werden.
18. April 2023
Beim Unterschreiben ist Vorsicht geboten: Nicht jedes „Gekritzel“ ist eine Unterschrift im Sinne des Gesetzes. Werden hier Fehler gemacht, droht die Unwirksamkeit der Kündigung.
6. April 2023
Arbeitgeber sollten frühzeitig Maßnahmen ergriffen, wenn es durch die Nutzung von ChatGPT zu arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen kommt.
22. März 2023
von Christina Poth, LL.M. (Edinburgh), Dr. Benedikt Kohn, CIPP/E
Kein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, solange ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt.
9. März 2023
Eine Frau hat Anspruch auf dasselbe Entgelt wie ihr männlicher Kollege – auch wenn dieser sein Gehalt geschickter verhandelt hat.
3. März 2023
von Annika Rahn
Die arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme endet für den Arbeitnehmer nach höchstrichterlicher Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht per se mit dem Ende der Arbeitszeit.
26. Januar 2023
Das Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber sinkt damit deutlich. Dies stärkt insbesondere die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Rahmen von Vergleichsgesprächen.
20. Januar 2023
Der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers unterliegt nicht der Verjährung, wenn der Arbeitgeber seinen Hinweis- und Aufforderungsobliegenheiten nicht nachkommen ist.
22. Dezember 2022
von Nico Jänicke
von Prof. Dr. Michael Johannes Pils und Dr. Johannes Alexander Höft