20. Januar 2023
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Spricht der Arbeitgeber eine Kündigung aus, erheben Arbeitnehmer im Regelfall Kündigungsschutzklage. Der Ausgang des Kündigungsschutzprozesses ist für den Arbeitgeber aufgrund der hohen Anforderungen an die soziale Rechtfertigung der Kündigung bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes mit Unsicherheiten verbunden. Arbeitgeber beabsichtigen daher regelmäßig den Abschluss eines Vergleichs, um den Prozess zu beenden. Im Rahmen der Vergleichsverhandlungen fordern Arbeitnehmer jedoch nicht selten stattliche Abfindungssummen. Sie verweisen darauf, dass während der Dauer des Rechtsstreits schnell ein Annahmeverzugslohn von mehreren Monatsgehältern anwachse. In der Folge sind Arbeitgeber häufig bereit, sich das Verzugslohnrisiko durch Zahlung hoher Abfindungen „abkaufen“ zu lassen.
Nach einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg aus September 2022 (Urt. v. 30.09.2022 – 6 Sa 280/22) ist damit nun Schluss. Arbeitnehmern steht danach kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn zu, wenn sie keine hinreichenden Bewerbungsbemühungen unternehmen. Das Annahmeverzugslohnrisiko für Arbeitgeber sinkt damit deutlich. Dies stärkt insbesondere die Verhandlungsposition der Arbeitgeberseite im Rahmen von Vergleichsgesprächen.
Die beklagte Arbeitgeberin sprach gegenüber dem Arbeitnehmer mehrere Kündigungen aus. Die Kündigungen waren allesamt unwirksam. Der Arbeitnehmer machte daher, nach Obsiegen im Kündigungsschutzprozess, für einen Zeitraum von fast 4 Jahren Annahmeverzugslohn geltend. Zwischenverdienst erzielte er in dieser Zeit keinen. Die Arbeitgeberin trat der Forderung nach Verzugslohn mit dem Einwand entgegen, der Arbeitnehmer habe es böswillig unterlassen anderweitigen Verdienst zu erzielen (§ 11 Nr. 2 KSchG). Er habe keine ausreichenden Bewerbungsbemühungen unternommen und müsse sich auf den Verzugslohn nun anrechnen lassen, was er im Rahmen einer anderweitigen Beschäftigung hätte verdienen können.
Wie bereits das Arbeitsgericht Berlin in der Vorinstanz, entschied auch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zugunsten der Arbeitgeberin. Dem Arbeitnehmer stehe zwar dem Grunde nach ein Anspruch auf Verzugslohn zu. Denn die Arbeitgeberin habe sich nach Ausspruch der unwirksamen Kündigungen im Annahmeverzug befunden (§§ 611a Absatz 1, 615 BGB). Dieser Anspruch belaufe sich jedoch wegen böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit der Höhe nach auf Null (§§ 11 Satz 1 Nummer 2 KSchG, 615 Satz 2 BGB).
Zwar habe der Arbeitnehmer den Auskunftsanspruch der Beklagten erfüllt und ihr die von der Bundesagentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge mitgeteilt. Die Arbeitgeberin sei jedoch ihrer Darlegungslast nachgekommen und habe ausreichend Indizien für die Zumutbarkeit der Arbeit und eine Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs darlegt.
Das Landesarbeitsgericht stellte dabei insbesondere auf die Quantität der Bewerbungen ab. In einem Zeitraum von 29 Monaten habe der Kläger lediglich 103 Bewerbungen geschrieben. Dies entspreche rechnerisch nicht einmal einer Bewerbung pro Woche, obwohl der Arbeitnehmer „im fraglichen Zeitraum ohne Arbeit war und also im zeitlichen Umfang einer Vollzeitstelle Bewerbungsbemühungen hätte entfalten können und müssen“. Daneben berücksichtigte das Gericht auch die Qualität der vom Arbeitnehmer verfassten Bewerbungen. Den eingereichten Bewerbungsmails lasse sich weder ein Stellenkennzeichen, eine schlagwortartige Bezeichnung der Stelle oder ein sonstiger Betreff entnehmen. Die Anrede sei nicht individualisiert. Inhaltlich seien die Bewerbungen nicht an die zu besetzende Stelle und den potenziellen Arbeitgeber angepasst. Der vergleichsweise kurze Bewerbungstext weise zudem zwei Fehler auf.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ist ein klarer Fingerzeig für Arbeitnehmer. Sie zeigt eindeutig, dass Arbeitnehmer den Verlust des Anspruchs auf Verzugslohn riskieren, wenn sie den Kündigungsschutzprozess nach ihrer Arbeitslosmeldung im Vertrauen auf die Unwirksamkeit der Kündigung schlicht aussitzen, ohne ernsthafte Erwerbsbemühungen zu entfalten. Anforderungen werden dabei nicht nur an die Quantität, sondern auch die Qualität der Bewerbungsbemühungen gestellt.
Für Arbeitgeber zeigt die Entscheidung deutlich die Möglichkeit auf, sich erfolgreich gegen Ansprüche auf Annahmeverzugslohn verteidigen zu können. Zwar tragen Arbeitgeber im Prozess die Darlegungs- und Beweislast für den Einwand böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdiensts. Hier steht ihnen jedoch ein Auskunftsanspruch zu. Der Arbeitnehmer hat zumindest über die von der Agentur für Arbeit unterbreiteten Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung Auskunft zu erteilen (zum Auskunftsanspruch siehe Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19). Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg stärkt vor allem aber die Verhandlungsposition von Arbeitgebern bei Vergleichsgesprächen. Denn bemüht der Arbeitnehmer sich nicht hinreichend um eine neue Beschäftigung, besteht für den Arbeitgeber kein Annahmeverzugsrisiko. Bemüht der Arbeitnehmer sich hingegen ernsthaft eine neue Tätigkeit aufzunehmen, ist das Risiko zumindest deutlich verringert, da die Bemühungen im Regelfall früher oder später Erfolg zeigen. Der Forderung nach hohen Abfindungssummen aufgrund des Annahmeverzugslohnrisikos sollten Arbeitgeber daher nun besser entgegentreten können.
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