12. März 2024
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Sachverhalt:
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat kürzlich (Beschluss vom 7. Februar 2024 – 7 ABR 8/23, liegt bisher nur als Pressemitteilung vor) entschieden, dass die Personalvertretung (und damit auch der Betriebsrat, näheres dazu sogleich) das Recht hat, auf Kosten des Arbeitgebers an einer Schulung in Präsenz teilzunehmen – selbst dann, wenn zu dem gleichen Thema zeitgleich eine Online-Schulung angeboten wird und die Präsenz-Schulung hohe Anreise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten auslöst. Arbeitgeber müssen neben den Schulungsgebühren– ungeachtet der denkbaren Alternative einer keine Zusatzkosten auslösenden Online-Schulung – auch diese Kosten übernehmen.
Der vom Siebten Senat des BAG behandelte Streit bestand zwischen einer Fluggesellschaft auf Arbeitgeberseite und der dort bestehenden Personalvertretung. Aufgrund tarifvertraglicher Verweisregelungen richtet sich auch der Schulungsanspruch der Personalvertretung nach den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG). Daher sind die vom BAG nun aufgestellten Grundsätze genauso im Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Betriebsräten ebenso zu berücksichtigen.
Die Personalvertretung der Fluggesellschaft entsandte zwei ihrer Mitglieder zu einer mehrtägigen Schulung über das Betriebsverfassungsrecht nach Potsdam. Die von der Arbeitgeberin vorgeschlagenen – örtlich näher gelegenen – alternativen Präsenzschulungen passten den beiden Teilnehmern terminlich (wegen Urlaub, Teilzeittagen etc.) nicht. Die Teilnahme an einer zeitgleich stattfindenden inhaltsgleichen Onlineschulung lehnten die Mitglieder der Personalvertretung unter Hinweis auf die unterschiedliche Qualität der Veranstaltungen ab.
Die Seminarkosten hat die Arbeitgeberin (im Laufe des Gerichtsverfahrens) übernommen. Die Erstattung der Anreise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten in Höhe von 1.108,62 EUR (554,31 EUR je Teilnehmer) hat sie mit der Begründung abgelehnt, die Kosten seien unverhältnismäßig hoch. Die Teilnahme an der zeitgleich stattfindenden, inhaltsgleichen Onlineschulung sei qualitativ gleichwertig und kostengünstiger gewesen. Die Arbeitgeberin unterlag mit ihrer Argumentation in allen drei Instanzen und muss die Personalvertretung von den Kosten freistellen.
Im Betriebsverfassungsgesetz ist in § 37 Abs. 6 der Schulungsanspruch des Betriebsrats normiert. Bei der Auswahl der von Betriebsratsmitgliedern zu besuchenden Schulungen – soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit des Betriebsrats erforderlich sind – hat der Betriebsrat einen weiten Spielraum. Das BAG macht nun wieder einmal deutlich, dass der Arbeitgeber diesen auch aus rein monetären Gründen nicht zwingend eingrenzen kann. Dieser Spielraum besteht sowohl bei der Wahl des Schulungsformats, des Schulungsinhalts (jedenfalls im Bereich des Betriebsverfassungsrechts und allgemeinen Arbeitsrechts) als auch bei der Wahl des Schulungsortes. Die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers ergibt sich aus § 40 Abs. 1 BetrVG.
Arbeitgeber sind trotz der aktuellen BAG-Entscheidung jedoch nicht verpflichtet, etwaigen Luxus-Durst von Betriebsratsmitgliedern zu stillen. Die Kostentragungspflicht wird begrenzt durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, den Grundsatz der Kostenschonung und das in § 2 Abs. 1 BetrVG normierte Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Es hat in jedem konkreten Einzelfall eine Abwägung der widerstreitenden Interessen von Arbeitgeber und Betriebsrat stattzufinden. Die entstandenen Kosten dürfen insbesondere nicht „unnötig“, sondern müssen erforderlich und angemessen sein. Der Betriebsrat hat bei der Prüfung der Erforderlichkeit darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür vom Arbeitgeber aufzuwendenden Mitteln steht. Nicht erforderlich ist die Teilnahme an einer konkreten Schulung, wenn vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger im Rahmen einer anderen Schulung erworben werden können. Der Betriebsrat muss jedoch nicht das kostengünstigste Schulungsformat wählen, wenn er eine andere Schulung für inhaltlich passender oder qualitativ besser hält. Dass die Kosten bei einer Präsenzveranstaltung regelmäßig deutlich höher ausfallen, steht dem laut BAG nicht entgegen. Der Betriebsrat darf die Entscheidung über eine Schulungsteilnahme allerdings nicht allein auf subjektive Erwägungen stützen. Die Gründe müssen von objektiven Bewertungskriterien getragen werden. Wann letztendlich die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten ist, muss daher von außen beurteilt werden. Die unterschiedliche Qualität von Online- und Präsenzveranstaltungen sah aber auch das BAG. Es teilte die Auffassung der Personalvertretung, dass eine Präsenzschulung im Hinblick auf den zu erzielenden Lernerfolg weitaus effektiver sein kann, als ein Online-Seminar, selbst bei Identität der zu vermittelnden Inhalte.
Das Wahlrecht des Betriebsrats ist nicht grenzenlos. Interne Regelungen können dem Betriebsrat von vornherein Grenzen setzen. Beim Arbeitgeber geltende Reisekostenregelungen muss der Betriebsrat z.B. grundsätzlich beachten und gegebenenfalls eine bestimmte Hotelkategorie oder Zugklasse buchen.
Der Arbeitgeber kann den Betriebsrat grundsätzlich auch darauf verweisen, eine zeitlich ebenso passende und inhaltsgleiche Schulung am nächstgelegenen Schulungsort zu besuchen, um so wenigstens die Anreise- oder Unterbringungskosten zu reduzieren. Im vorliegenden Fall musste die Personalvertretung nicht auf nähergelegene Alternativ-Schulungen zurückgreifen, weil die eine terminlich für die Teilnehmer nicht passte und bei der zweiten entweder höhere Fahrt- oder ebenso Übernachtungskosten angefallen wären, weil die Pendelstrecke zu weit war. Zu der Schulung in Potsdam konnten die Teilnehmer hingegen kostenneutral einen Flug der Arbeitgeberin wahrnehmen.
Insgesamt ist Arbeitgebern anzuraten, sich bei der Anmeldung einer weit entfernten Betriebsratsschulung zunächst einmal selbst darüber zu informieren, ob gleichwertige Alternativen in pendelbarer Distanz angeboten werden. Eine Alternative zu teuren externen, weit entfernten Schulungen können zudem auch inhaltsgleiche interne Präsenzschulungen sein.
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