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Dr. Daniel Schmidt

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27. November 2023

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Kein Verwertungsverbot trotz Datenschutzverstoßes – Datenschutz weiterhin kein Tatenschutz

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Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22) hat erneut zur Frage der Verwertbarkeit von Videoaufzeichnungen am Arbeitsort entschieden und setzt seine Rechtsprechung fort: Offene Videoaufnahmen, die unter Verletzung von Bestimmungen des Datenschutzrechts zustanden gekommen sind, dürfen im Kündigungsschutzprozess verwertet werden, sofern dem keine geschützte Rechtsposition des Arbeitnehmers entgegensteht.

Im Falle einer vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung hat das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers regelmäßig hinter dem Darlegungsinteresse des Arbeitgebers zurückzustehen.

Worum ging es?

Der beklagte Arbeitgeber erhielt über ein von ihm eingerichtetes Hinweisgebersystem die Information, wonach der Kläger regelmäßig Arbeitszeitbetrug begehe. Daraufhin installierte er am Werkstor eine offene und durch Piktogramm kenntlich gemachte Videokamera. Diese zeichnete den Kläger dabei auf, wie dieser am 2.6.2018 das Werksgelände über ein Drehkreuz betrat, dieses jedoch vor Schichtbeginn bereits wieder verließ. Das elektronische Anwesenheitserfassungssystem erfasste den Tag als Arbeitstag, woraufhin dem Kläger der Lohn für diesen Tag ausgezahlt wurde.

Daraufhin kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer außerordentlich fristlos. Hiergegen setzte sich der Kläger mit der Behauptung zur Wehr, an dem in Rede stehenden Tag gearbeitet zu haben. Ferner begründete er seine Kündigungsschutzklage damit, die Videoaufnahmen unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot.

Das Arbeits- und Landesarbeitsgericht gaben dem Kläger in erster und zweiter Instanz zunächst Recht. Die durch den Arbeitgeber eingelegte Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte sodann jedoch Erfolg und führte zur Zurückweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Das Bundesarbeitsgericht entschied, dass die Vorinstanz die Kündigung zu Unrecht für rechtswidrig mit der Begründung erklärt habe, es fehle an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die Vorinstanz hätte nicht bloß das Vorbringen des Arbeitgebers über das vorzeitige Verlassen des Werksgeländes durch den Arbeitnehmer berücksichtigen dürfen, sondern ebenso die Videosequenz in Augenschein nehmen müssen. Dies folge aus den Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e i.V.m. Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO) und den Vorschriften der Zivilprozessordnung (§§ 138, 286, 371 ff. ZPO).

Daraus folgt: Datenschutzverstöße führen nicht zwingend zu Verwertungsverboten

Die zentrale Feststellung des Bundesarbeitsgerichts lautet: Beweismittel des Arbeitgebers müssen unter Umständen auch dann durch die Arbeitsgerichte verwertet werden, wenn diese unter Missachtung von Datenschutzbestimmungen gewonnen worden sind. Dies folge aus Art. 17 Abs. 3 lit. e DSGVO, der eine datenschutzrechtliche Sonderregelung für die Geltendmachung, Ausübung und Verteidigung von Rechtsansprüchen regelt.

Im Kern machte das Gericht hierzu erneut deutlich, dass der Schutz personenbezogener Daten nicht uneingeschränkt besteht, sondern gegen andere Grundrechte abgewogen werden muss. Auf Seiten des Arbeitnehmers steht das Allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz), auf Seiten des Arbeitgebers das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 47 Abs. 2 Grundrechtecharta). Beide Rechtspositionen müssen unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes miteinander abgewogen werden.

Damit bestätigte das Gericht, was es bereits 2018 (Urteil vom 23. August 2018 – 2 AZR 133/18) entschieden hatte: Datenschutz ist kein Tatenschutz.

Wann ist die Verwertung konkret zulässig?

Ein Datenschutzverstoß steht der Verwertbarkeit von Beweismitteln dann nicht entgegen, wenn Daten offen erhoben werden und eine vorsätzlich begangene Pflichtverletzung zulasten des Arbeitgebers im Raum steht. In nachvollziehbarer Weise begründet das Gericht seine Auffassung damit, dass der Arbeitnehmer im Falle einer offenen Videoüberwachung nicht daran gehindert werde, selbstbestimmt zu handeln. Anders als bei einer verdeckten, also heimlichen Videoüberwachung sei der Arbeitnehmer hier weniger schutzwürdig, schließlich habe er sich trotz Kenntnis von der Überwachung für den Arbeitszeitbetrug entschieden.

Darüber hinaus gilt, was das Bundesarbeitsgericht schon mehrfach entschieden hat: Im Falle der Verletzung datenschutzrechtlicher Vorgaben hat stets eine Abwägung im oben genannten Sinne zu erfolgen. Datenschutzrechtliche Vorschriften, die primär Ordnungscharakter haben, begründen dabei regelmäßig kein Verwertungsverbot. Dies gilt etwa bei Missachtung datenschutzrechtlicher Löschfristen. Handelt es sich hingegen um Datenschutzverstöße, bei denen sogar Schadensersatzansprüche oder Bußgelder (Art. 82 und 83 DSGVO) keinen ausreichenden Schutz bieten, kommt ein Verwertungsverbot in Betracht. Dies soll laut BAG ausdrücklich etwa dann denkbar sein, wenn Umkleideräume oder Toiletten offen überwacht werden.

Außerdem: Kein Beweisverwertungsverbot durch Betriebsvereinbarung

Das Bundesarbeitsgericht nutzte ferner die Gelegenheit, um eine bislang umstrittene Rechtsfrage zu klären: Betriebsvereinbarungen können keine eigenständigen Beweisverwertungsverbote regeln. Die Betriebsparteien – so die Begründung des Gerichts – seien schlichtweg nicht befugt, über die Spielregeln des staatlichen Verfahrensrechts zu disponieren. Dies sei weiterhin alleinige Aufgabe des Gesetzgebers.

Den Betriebsparteien bleibt zwar die Möglichkeit, über den Einsatz von Videoüberwachungseinrichtungen im Betrieb zu entscheiden (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz). Tun sie dies und wird dennoch gefilmt, können diese Aufnahmen jedoch gleichwohl verwertbar sein, sofern die oben genannte Abwägung zugunsten einer Verwertbarkeit ausfällt.

Praxishinweis: Arbeitgeber sollten Datenschutz ernst nehmen

Die Beweggründe für eine Videoüberwachung durch den Arbeitgeber liegen auf der Hand: Der Arbeitgeber muss in einem möglichen Kündigungsschutzverfahren die Tatsachen für einen wichtigen Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) darlegen und beweisen. Gelingt ihm dies nicht, verliert er den Rechtsstreit.

Arbeitgeber sind trotz dieser Entscheidung angehalten, die datenschutzrechtlichen Bestimmungen auch bei Videoüberwachungen einzuhalten. Dies folgt schon aus den Risiken einer Schadensersatzpflicht (Art. 82 DSGVO) oder eines Bußgeldverfahrens (Art. 83 DSGVO).

Die aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts lässt unmittelbar nur Rückschlüsse auf vorsätzliche Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu. Der Senat hat als Leitplanke bislang nur zu erkennen gegeben, dass ein Verwertungsverbot erst dann in Betracht kommt, wenn eine geschützte Rechtsposition des Arbeitnehmers dies zwingend gebietet. Eine Marschrute für andere Fälle ist damit noch nicht vorgegeben. Es bleibt stets eine Frage der Abwägung im Einzelfall.

Auf der sicheren Seite sind Arbeitgeber also immer dann, wenn die Datenverarbeitung rechtmäßig erfolgt. Dann stellen sich Abwägungsfragen mit den Persönlichkeitsrechten der Arbeitnehmer erst gar nicht. Klar sollte nun auch sein, dass verdeckte Videoaufnahmen weiterhin nur unter strengeren Anforderungen verwertbar sind. Sie kommen laut Bundesarbeitsgericht nur in Betracht, wenn sie das einzige Mittel sind, um eine Straftat oder eine gravierende Pflichtverletzung aufzuklären. Steht der Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs im Raum, sollten Arbeitgeber zunächst versuchen, alle sonstigen Nachweis- und Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen.

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