9. März 2023
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Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden: Verschieden hohe tarifliche Zuschläge bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit verstoßen nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, solange ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung vorliegt, der sich aus dem Tarifvertrag ergibt (Urteil vom 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20).
Die Klägerin leistete bei der Beklagten, einem Getränkeunternehmen, Nachtarbeit im Wechselschichtmodell. Der zwischen den Parteien geltende Tarifvertrag sieht für die regelmäßige Nachtarbeit im Wechselschichtmodell Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 20% und für die unregelmäßige Nachtarbeit Zuschläge in Höhe von 50% vor. Neben den 20% Nachtarbeitszuschlag besteht für je 20 geleistete Nachtschichten Anspruch auf einen Tag Schichtfreizeit für die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die Dauernachtarbeit leisten oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt werden. Die Klägerin erhielt gemäß dem Tarifvertrag Nachtarbeitszuschläge in Höhe von 20% sowie den Freizeitausgleich. Sie meint, dadurch dass ihr Nachtarbeitszuschlag nur 20% betrage und nicht 50% ¬– wie bei den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten – verstoße die Beklagte gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Die Zuschläge würden allein aufgrund der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die die Nachtarbeit mit sich bringe, gewährt. Diese gesundheitlichen Beeinträchtigungen würden sich aber nicht erhöhen, wenn jemand unregelmäßige Nachtarbeit leiste. Dementsprechend sei kein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben. Auch würde die Ungleichbehandlung nicht durch die Schichtfreizeit beseitigt, da damit nicht die spezifischen Nachteile der Nachtarbeit ausgeglichen würden.
Das hat das BAG nun anders gesehen. Zunächst hat es dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) ein Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt, um zu klären, ob die streitgegenständliche Tarifregelung mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar wäre, sollte die Regelung überhaupt der Durchführung von Unionsrecht unterfallen. Diese Frage hat der EuGH verneint. In der Begründung des Vorabentscheidungsersuchens nimmt das BAG noch einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG an. Nach Zurückverweisung des Ersuchens durch den EuGH hat das BAG dann jedoch einen Rechtsprechungswechsel vollzogen. Das BAG bejaht das Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung, wenn durch den höheren Zuschlag nicht nur die gesundheitlichen Nachteile, sondern zusätzlich auch die Nachteile, die durch die schlechtere Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtschichten entstehen, ausgeglichen werden sollen und dies aus dem Tarifvertrag auch erkennbar werde. Das sei im vorliegenden Sachverhalt zu bejahen gewesen.
Die Frage, ob der unterschiedlich hohe Zuschlag bei der unregelmäßigen Nachtarbeit im Vergleich zur regelmäßigen Nachtschicht eine Ungleichbehandlung darstellt, war in den letzten Jahren immer wieder Gegenstand richterlicher Entscheidungen. Im Jahr 2013 urteilte das BAG noch, dies sei keine Ungleichbehandlung (Urteil vom 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12). Etwa fünf Jahre später änderte das BAG jedoch seine Rechtsprechung und legte seinen Entscheidungen den Zweck der Regelung der Nachtarbeit im Arbeitszeitgesetz zugrunde. Danach seien Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen (ausschließlich) vor den gesundheitsschädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit zu schützen (BAG, Urteil vom 21. März 2018 – 10 AZR 34/17). Damals hatte das BAG noch befunden, die unregelmäßige Nachtarbeit beeinträchtige die Teilhabe am sozialen Leben nicht mehr als die regelmäßige Nachtschichtarbeit. Genau diesen Punkt hat es jetzt anders bewertet. Das oben erläuterte Urteil entfaltet daher nun eine Signalwirkung für die zahlreichen, noch beim BAG anhängigen, Rechtsstreitigkeiten und es bleibt zu hoffen, dass nun Rechtssicherheit bei der Gestaltung der Tarifverträge herrscht, da die unterschiedlich hohen Zuschläge für wirksam befunden wurden.
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