17. Juni 2025
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Mit Urteil vom 3. Juni 2025 (Az. 9 AZR 104/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine wichtige Entscheidung zum gesetzlichen Mindesturlaub getroffen. Es stellt klar: Eine Vereinbarung in einem gerichtlichen Vergleich, wonach Arbeitnehmer auf ihren gesetzlichen Mindesturlaub verzichten oder dieser pauschal als "gewährt" erklärt wird, ist unwirksam, solange das Arbeitsverhältnis noch besteht. Das Urteil hat erhebliche praktische Bedeutung für die Gestaltung von Vergleichen und Aufhebungsverträgen.
Im zugrunde liegenden Fall war ein Arbeitnehmer Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, sodass er seinen Urlaub nicht nehmen konnte. Im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs einigten sich die Parteien darauf, das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2023 zu beenden. Im Vergleich wurde unter anderem die Zahlung einer Abfindung in Höhe von 10.000 Euro vereinbart. Zudem enthielt der Vergleich die Formulierung, wonach die Urlaubsansprüche "in natura gewährt" seien – obwohl der Mitarbeiter tatsächlich krankheitsbedingt keinen Urlaub nehmen konnte. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangte der Arbeitnehmer gerichtlich die Abgeltung von sieben Tagen gesetzlichen Mindesturlaub aus dem Jahr 2023 mit einem Betrag in Höhe von 1.615,11 Euro nebst Zinsen.
Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Mit Urteil vom 11.04.2024 (Az. 7 Sa 516/23) entschied das LAG Köln, dass die Vereinbarung der Gewährung in Urlaub in natura den gesetzlichen Urlaubsanspruch nicht zum Erlöschen gebracht hat – auch nicht durch einen Verzicht im Sinne des § 397 Abs. 1 BGB. Begründet hat das Gericht in der Kernaussage wie folgt: Da nach § 13 Absatz 1 Satz 3 BUrlG von den Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden kann, ist der gesetzliche Mindesturlaub im laufenden Arbeitsverhältnis unverzichtbar. Außerdem läuft eine solche Vereinbarung in einem Vergleich dem Schutzzweck des Mindesturlaubs entgegen, der nämlich ausschließlich der Erholung dienen soll. Es sollen daher keine Anreize geschaffen werden, auf den gesetzlichen Mindesturlaub zu verzichten.
Der beklagte Arbeitgeber legte gegen die Entscheidung des LAG Köln Revision ein. Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Revision zurückgewiesen und bestätigte damit die Entscheidungen des LAG Köln. Das BAG stellte klar, dass ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht möglich ist. Solche Regelungen – auch wenn sie Teil eines gerichtlichen Vergleichs sind – sind nach § 134 BGB unwirksam, sofern sie den gesetzlichen Mindesturlaub unzulässig ausschließen. “Der gesetzliche Mindesturlaub ist unabdingbar und kann während eines laufenden Arbeitsverhältnisses weder durch Individualvereinbarung noch durch Prozessvergleich ausgeschlossen werden. Dies gilt selbst dann, wenn bei Abschluss eines Prozessvergleichs bereits klar ist, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann. In solchen Fällen darf der Urlaub erst bei tatsächlichem Ende des Arbeitsverhältnisses finanziell ausgeglichen werden und der Urlaub deshalb nicht mehr genommen werden kann – nicht vorher.
Zudem stützt sich das BAG auf das europarechtliche Verbot des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG, wonach (außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses) der bezahlte Mindesturlaub nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Wie das LAG Köln bereits feststellte, bestätigte das BAG, dass auch kein sogenannter Tatsachenvergleich vorlag, bei dem das gesetzliche Verbot eines Urlaubsverzichts ausnahmsweise nicht greifen würde. Ein Tatsachenvergleich setzt voraus, dass zwischen den Parteien eine tatsächliche Unsicherheit über das Bestehen oder den Umfang eines Anspruchs besteht und diese durch ein gegenseitiges Nachgeben im Sinne einer einvernehmlichen Einigung beseitigt wird.
Eine solche Unsicherheit war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben: Da der Kläger seit Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig war, war unstreitig, dass der Urlaub nicht genommen werden konnte. Die Voraussetzungen für einen gesetzlichen Urlaubsanspruch lagen damit klar auf der Hand. Mangels tatsächlicher Ungewissheit über den Anspruch konnte also kein wirksamer Tatsachenvergleich geschlossen werden. Daher bleibt das gesetzliche Verbot, den Anspruch auf Mindesturlaub durch Vereinbarung auszuschließen, auch im Rahmen eines Prozessvergleichs bestehen.
Auch die Berufung des Arbeitgebers auf Treu und Glauben wies das Gericht zurück: Auf eine offensichtlich rechtswidrige Regelung dürfe sich der beklagte Arbeitgeber nicht berufen.
Für Arbeitgeber bedeutet das Urteil besondere Sorgfalt bei der Formulierung gerichtlicher Vergleiche oder Aufhebungsverträge. Eine pauschale Erklärung, wonach Urlaubsansprüche „in natura“ gewährt wurden, ist im laufenden Arbeitsverhältnis unzulässig, wenn der Urlaub tatsächlich nicht genommen wurde – insbesondere bei Krankheit. Solche Regelungen bieten keine rechtssichere Grundlage, um spätere Ansprüche auszuschließen. Arbeitgeber laufen dadurch Gefahr, trotz vermeintlich abschließender Regelungen mit weiteren Zahlungsforderungen konfrontiert zu werden.
Bei Vergleichen oder Aufhebungsverträgen sollte stets klar dokumentiert werden, ob und in welchem Umfang Urlaub tatsächlich genommen wurde. Nur so lässt sich eine spätere Urlaubsabgeltung vermeiden. Eine Abgeltung des Resturlaubs ist zulässig – aber ausschließlich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Entsprechende Klauseln sollten daher mit besonderer Sorgfalt geprüft werden.
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