11. September 2025
streiTWert – 2 von 73 Insights
Gewerberaummietverträge: Die neue Textform im Urkundenprozess
Die Modernisierung und Digitalisierung des Mietrechts schreitet voran. Mit dem Inkrafttreten des Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes (BEG IV) zum 1. Januar 2025 wurde eine wesentliche Hürde für den digitalen Vertragsabschluss im Gewerbemietrecht beseitigt. Für langfristige Gewerbemietverträge (Laufzeit über ein Jahr) genügt nun die Textform (§ 126b BGB) anstelle der bisherigen strengen Schriftform. Das bedeutet, dass Verträge und Nachträge wirksam per z.B. E-Mail geschlossen werden können, ohne dass eine eigenhändige Unterschrift erforderlich ist. In der Praxis lösen zunehmend elektronische Signaturen die klassische Unterschrift ab. In zwei weiteren Insights hatten wir bereits über die Details des Wechsels von der Schrift- zur Textform und die Auswirkungen auf Bestandsmietverträge informiert.
Diese Modernisierung des Gewerberaummietrechts steht jedoch im Kontrast zu den traditionellen Strukturen des Zivilprozessrechts. Insbesondere bei der prozessualen Durchsetzung von Ansprüchen, wie etwa rückständigem Mietzins aus einem elektronisch signierten Vertrag, lauern Fallstricke. Wählt der Vermieter den schnellen Weg des Urkundenprozesses (§§ 592 ff. ZPO), kann sich dieser bei einem strategisch agierenden Mieter als prozessuale Sackgasse erweisen.
Das Wesentliche auf einen Blick:
- Zweck des Urkundenprozesses: Schnelle Titulierung von Geldforderungen (z.B. Mietzins), bei denen alle anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Andere Beweismittel wie Zeugen- oder Sachverständigenbeweis sind im Urkundenprozess ausgeschlossen.
- Beweiskraft der QES: Ein mit qualifizierter elektronischer Signatur (QES) versehenes Dokument ersetzt die Schriftform (§ 126a BGB) und hat prozessual die Beweiskraft einer Privaturkunde (§ 371a ZPO). Es besteht der Anscheinsbeweis der Echtheit.
- Das Kernproblem: Ein rein elektronisch signiertes Dokument ist nach klassischem Verständnis keine „Urkunde“ im Sinne des Zivilprozessrechts, da ihm die physische Verkörperung fehlt. Es gilt als Augenscheinsobjekt.
- Praktische Lösung der Gerichte: In der Praxis wird es von den Gerichten oft so gehandhabt, dass der Ausdruck eines (elektronischen) Dokuments als Urkunde im Sinne des § 592 ZPO behandelt wird (so etwa OLG München, Urteil vom 21.11.2019, Az. 23 U 4170/18; OLG Nürnberg, Urteil vom 15.06.2021, Az. 3 U 3687/20 und KG Berlin, Urteil vom 1. Februar 2024, Az. 2 U 130/21, Rn. 60). Es fehlt hierzu allerdings noch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
- Die prozessuale Falle: Bestreitet der Mieter die Echtheit des Ausdrucks oder der zugrundeliegenden Signatur, muss der Vermieter die Authentizität beweisen. Dieser Beweis kann in der Regel nur durch ein IT-Sachverständigengutachten geführt werden.
- Der Knock-out: Der Sachverständigenbeweis ist im Urkundenprozess unzulässig. Der Kläger kann den ihm obliegenden Beweis nicht führen, was zwingend zur Abweisung der Klage als „im Urkundenprozess unstatthaft“ führt.
- Strategischer Ausweg: Der Kläger kann jederzeit vom Urkundenprozess Abstand nehmen und in das „normale“ Verfahren übergehen (§ 596 ZPO), in dem alle Beweismittel zulässig sind.
- Zukunftsausblick: Die Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ hat das Problem erkannt und die Einführung eines digitalen Urkundenverfahrens vorgeschlagen. Qualifiziert elektronisch signierte Erklärungen sollen wie Papierurkunden behandelt werden können. Auch wenn der Koalitionsvertrag eine Anpassung der Verfahrensordnung an das digitale Zeitalter verspricht, ist noch unklar, wann und ob ein digitales Urkundenverfahren eingeführt wird.
Unsere Handlungsempfehlung
Textform oder doch Beibehaltung der Schriftform?
Bei der Wahl der passenden Formvereinbarung für Mietverträge sollte beachtet werden, dass Mietforderungen aus einem rein elektronisch geschlossenen Mietvertrag nur eingeschränkt im Wege des schnellen Urkundenprozesses durchgesetzt werden können.
Einfache oder qualifizierte elektronische Signatur?
Wer sich für eine elektronische Signatur entscheidet, sollte berücksichtigen, dass die QES im Zivilprozess einen höheren Beweiswert genießt.
Hybride Prozessstrategie bei elektronisch signierten Verträgen:
Wir empfehlen bei elektronisch signierten Verträgen eine hybride Prozessstrategie. Die Mietzinsklage sollte zunächst im Urkundenprozess erhoben werden, um den Beschleunigungsvorteil zu nutzen. Bestreitet der Mieter jedoch die Echtheit des elektronisch signierten Vertrages, muss der Kläger sofort nach § 596 ZPO den Übergang ins ordentliche Verfahren erklären, um eine Klageabweisung aus rein prozessualen Gründen zu vermeiden und den Anspruch mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln durchsetzen zu können.
In dieser Serie
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