Autor

Peter Bert, lic.oec.int.

Of Counsel

Read More
Autor

Peter Bert, lic.oec.int.

Of Counsel

Read More

13. Juni 2022

streiTWert – 33 von 61 Insights

Deutschland erlaubt „discovery of documents“ in grenzüberschreitenden Zivilverfahren

  • Briefing

Am 10. Juni 2022 hat das vom Bundestag bereits am 19. Mai 2022 beschlossene  Gesetz zur Durchführung der EU-Verordnungen über grenzüberschreitende Zustellungen und grenzüberschreitende Beweisaufnahmen in Zivil- oder Handelssachen auch den Bundesrat passiert. Damit wird nicht nur das nationale Recht an die Neufassungen der EuZVO und der EuBO angepasst, die zum 1. Juli 2022 in Kraft treten. Deutschland lässt damit auch erstmals Rechtshilfe für die „pre-trial discovery of documents“, also für die Verlangen auf Dokumentenherausgabe, wie sie insbesondere aus US-amerikanischen Verfahren bekannt  sind.

Vorgeschichte

Die Behandlung von Rechtshilfeersuchen, die die “pre-trial discovery of documents“ betreffen, ist ein Dauerthema, seit die Bundesrepublik 1977 das HBÜ ratifizierte (dazu näher auch hier). Deutschland erklärte einerseits wie etliche andere „civil law“-Rechtsordnungen den Vorbehalt nach Artikel 23 HBÜ, wonach Rechtshilfeersuchen nicht erledigt werden, „die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den Ländern des ‚Common Law‘ unter der Bezeichnung ‚pre-trial discovery of documents‘ bekannt ist.“

Andererseits sah § 14 HZÜ/HBÜ-AusfG bis zur nunmehr beschlossenen Änderung vor, dass Ersuchen, die ein Verfahren nach Artikel 23 HBÜ zum Gegenstand haben erledigt werden können, wenn weder „die tragenden Grundsätze des deutschen Verfahrensrechts“ noch „schutzwürdigen Interessen der Betroffenen“ entgegenstehen. Allerdings sollte dies nur gelten, nachdem Details in einer Verordnung geregelt wurden.

Von der Verordnungsermächtigung in § 15 HZÜ/HBÜ-AusfG wurde nie Gebrauch gemacht. Ein Anlauf aus dem Jahr 1989, eine solche Verordnung zu erlassen, scheiterte am Widerstand der Länder.  Eine Initiative des Bundesjustizministeriums mündete 2016 in einen Gesetzesvorschlag, der dem nunmehr beschlossenen Text weitgehend entsprach, aber im Rechtsausschuss des Bundestags scheiterte.

Neue Regelung

§ 14 HZÜ/HBÜ-AusfG sieht nunmehr vor, dass auf die „pre-trial discovery of documents“ gerichtete Rechtshilfeersuchen erledigt werden, wenn

„1. die vorzulegenden Dokumente im Einzelnen genau bezeichnet sind,

2. die vorzulegenden Dokumente für das jeweilige Verfahren und dessen Ausgang von unmittelbarer und eindeutig zu erkennender Bedeutung sind,

3. die vorzulegenden Dokumente sich im Besitz einer an dem Verfahren beteiligten Partei befinden,

4. das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts verstößt.“

Soweit personenbezogene Daten betroffen sind, müssen zudem die datenschutzrechtlichen Anforderungen an die Übermittlung in ein Drittland erfüllt sein.

Die Regierungsbegründung führt dazu aus, dass aufgrund des uneingeschränkten deutschen Vorbehalts nach Artikel 23 HBÜ bestimmte Dokumentenvorlagen für rein nationale deutsche Gerichtsverfahren zulässig seien, im Rahmen eines Rechtshilfeersuchens jedoch unzulässig. Diese Diskrepanz habe sich mit der Einführung von § 142 ZPO im Jahr 2001 verschärft.

„Der Entwurf sieht daher vor, dass die Bundesrepublik Deutschland nunmehr dem Beispiel anderer Vertragsstaaten des HBÜ folgend Ersuchen um „pre-trial discovery of documents“ ausdrücklich unter engen Voraussetzungen zulässt, wie es auch schon mehrfach Spezialkommissionen der Haager Konferenz zum HBÜ empfohlen haben (so etwa im Jahre 2003 und zuletzt im Jahre 2014).

Die hier erneut vorgeschlagene Neufassung des § 14 HZÜ/HBÜ AusfG sichert die Rechte deutscher Prozessparteien in hinreichendem Umfang. Denn hiernach müssen Dokumentenvorlageersuchen ausreichend konkret sein, also vor allem die Urkunden angeben, die geprüft werden sollen (…). Insbesondere pauschale Ersuchen um Vorlage ganzer Dokumentensammlungen brauchen weiterhin nicht erledigt zu werden. Erledigungsfähig sind nur solche Ersuchen, die die vorzulegenden Dokumente und ihre Bedeutung für das konkrete Verfahren im Einzelnen bezeichnen.“

Die Max-Planck-Institute in Luxembourg und Hamburg hatten in ihrer Stellungnahme zum Gesetzentwurf vorgeschlagen, die in § 14 Nr.  3 HZÜ/HBÜ-AusfG enthaltene Beschränkung auf Dokumente im Besitz von Verfahrensbeteiligten zu streichen. Denn Dritte könnten in deutschen Verfahren nach § 142 Abs. 2 ZPO zur Vorlage verpflichtet werden, wenn ihnen diese zumutbar ist und sie sich nicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Diese Regelung lasse sich auch in den Kontext des HBÜ übertragen.  Diesem Vorschlag ist der Gesetzgeber nicht gefolgt. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber bei einer Evaluation der nunmehr beschlossenen Änderung diesen Aspekt in einigen Jahren nochmals überdenkt. 

Einschätzung

Die Modifikation des Vorbehalts gegen die „discovery of documents“ ist zu begrüßen. Zum einen handelt es sich um eine überfällige Modernisierung des Beweishilferechts. Sofern sich die Erwartung der deutschen Seite erfüllt, dass insbesondere US-Gerichte aufgrund dieser Änderung den Weg über das HBÜ gehen (siehe hier), schafft sie zum anderen mehr Rechtssicherheit für deutsche Parteien, die sich einem „discovery“-Ersuchen ausgesetzt sehen. Zwar überwiegen in der Praxis die Rechtshilfeersuchen aus den USA. In Folge des „Brexit“ ist das HBÜ aber auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich von neuer Bedeutung.

Bereits im Mai 2021 haben Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz erstmals eine unmittelbare Aufnahme eines Zeugenbeweises durch eine Beauftragte („Commissioner“) eines US-Bundesgerichts nach Art. 17 des HBÜ anstelle der Vernehmung durch die deutsche Rechtshilferichterin gestattet. Zugleich wurde die Videoübertragung der Zeugeneinvernahme in die USA erlaubt.

Zusammen mit der Neufassung von § 14 HZÜ/HBÜ-AusfG erfährt die Rechthilfe nach dem HBÜ damit in praktischer und in legislativer Hinsicht den größten Modernisierungsschub seit dem Beitritt Deutschlands zum HBÜ.

Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie auch auf zpoblog.de.

In dieser Serie

Technology, Media & Communications

AI product liability – moving ahead with a modernised legal regime

Katie Chandler, Philipp Behrendt and Christopher Bakier look at the EU's proposals to legislate for liability risks in AI products.

9. May 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Richtlinie über die Reparatur von Waren

13. April 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorsicht, Lerngefahr!

Beratung zur Streitvermeidung und Streitlösung

28. March 2023

von Dr. Frank Koch

Disputes & Investigations

BGH: Uneingeschränkte Kontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche

24. January 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bauproduktenverordnung – Es muss nachgebessert werden!

Hinweis zum Aufsatz von Christine Simon-Wiehl in Zeitschrift für Product Compliance (ZfPC) 05/2022, 198 ff.

13. January 2023

Disputes & Investigations

Gerichtsverhandlung per Videokonferenz soll Standard werden

13. December 2022

Disputes & Investigations

BGH zur Ausländersicherheit nach dem Brexit

9. December 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

Produktsicherheit & Produkthaftung

Entwurf der EU-Kommission für eine neue Produkthaftungsrichtlinie in der EU

Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 neben dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung ihren mit Spannung erwarteten Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Diese Neuerungen gibt es.

25. November 2022

von David Hilger, LL.M. (Bilbao)

Disputes & Investigations

Moderner streiten!

Experimente beim digitalen Zivilprozess sind schön und gut – doch es fehlt ein System

29. September 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

eCommerce & Marketplaces

eCommerce: Muss ein Händler stets über Herstellergarantien informieren? – EuGH mit klarem „Jein“

Unstrittig: Herstellergarantien können den Abverkauf von Waren erhöhen und zur Kundenbindung beitragen. Aber sind Online-Händler auch verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn es solche Garantien gibt?

5. October 2022

von Johannes Raue, Henry Richard Lauf

Disputes & Investigations

Der BGH und die Business Judgement Rule

streiTWert

19. May 2022

von Dr. Dirk Lorenz

Disputes & Investigations

Schmerzensgeld: BGH verwirft die sog. taggenaue Berechnung

streiTWert

5. May 2022

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

EU-Richtlinie über Verbandsklagen: Offene Fragen und Umsetzungsspielräume

streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten

18. November 2021

von Matthias Swiderski, LL.M.

Coronavirus

Wenn Corona dazwischenkommt: Wer bleibt auf den Kosten sitzen?

streiTWert – Entscheidung des LG Hamburg über Stornierungskosten bei Veranstaltungen

22. September 2021

von Donata Freiin von Enzberg, LL.M., Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK)

Disputes & Investigations

BGH: Wie viel Arzthaftung steckt in der Produkthaftung?

streiTWert

9. September 2021

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

BGH – Keine Verwechslungsgefahr bei der Firmenbezeichnung „partners“

streiTWert

23. August 2021

von Kolja Helms

Disputes & Investigations

EuGH: Keine Produkthaftung für falsche Gesundheitstipps in einer Zeitung

streiTWert

13. August 2021

von Dr. Lena Niehoff

Disputes & Investigations

Newsflash – Neues Produktsicherheitsgesetz in Kraft

streiTWert

5. August 2021

Disputes & Investigations

Neues aus Brüssel zu Lugano und Den Haag

streiTWert

28. July 2021

von Peter Bert, lic.oec.int.

Disputes & Investigations

Kommen die „Commercial Courts“ in Deutschland?

streiTWert

28. May 2021

von Jan Andresen

Disputes & Investigations

Die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO

streiTWert – Ein vielfach unterschätzter Kostenpunkt für im Ausland ansässige Klageparteien?

1. September 2021

von Frank J. Weck, LL.M.

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Disputes & Investigations

BGH zum Verhältnis von selbstständigem Beweisverfahren und Schiedsgutachten

streiTWert

31. März 2022
Briefing

von Peter Bert, lic.oec.int.

Klicken Sie hier für Details
Disputes & Investigations

BGH: Schiedsvereinbarung und anwendbares Recht

10. Januar 2021
In-depth analysis

von Peter Bert, lic.oec.int.

Klicken Sie hier für Details

OLG Frankfurt: Dissenting opinion eines Schiedsrichters führt zur Aufhebung des Schiedsspruchs

5. Juni 2020

von Peter Bert, lic.oec.int.

Klicken Sie hier für Details