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Peter Bert, lic.oec.int.

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8. Juni 2021

streiTWert – 57 von 61 Insights

BGH: Impressum einer Webseite kann Gerichtsstand in Deutschland begründen

  • Briefing
Werden Verträge über das Internet abgeschlossen, so fehlt es mitunter an einem eindeutigen Bezug zu einer Rechtsordnung. Dann kann auch die Bestimmung des zuständigen Gerichts Probleme aufwerfen.

In diesem Fall schuf erst der Bundesgerichtshof Klarheit (Urteil vom 16. März 2021 – X ZR 9/20). Er bejahte in einem deutsch-französischen Rechtsstreit die Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt.


Sachverhalt

Der Kläger nahm Air France vor dem Landgericht Frankfurt auf Schadenersatz wegen der Stornierung eines Flugs in Anspruch. Er hatte im Dezember 2017 für den Sommer 2018 über die Webseite „airfrance.de“ ein Ticket für einen Flug von San Francisco nach Paris in der First-Class und einen Weiterflug von Paris nach London in der Business-Class für insgesamt knapp EUR 600 gebucht. Nach Zahlung des Betrags bestätigte Air France die Buchung. Der Kläger erhielt ein elektronisches Ticket mit einem Reservierungscode. Als Ausstellungsort wies das Ticket unter anderem „DIR – WEB Allemagne, Frankfurt am Main“ aus. Als Kontakt vor Reiseantritt wurde eine Telefonnummer mit der Frankfurter Vorwahl „069“ angegeben. Im Impressum der Homepage heißt es: „Air France in Deutschland: Air France Direktion für Deutschland, Zeil 5, 60613 Frankfurt am Main“.

Einen Tag nach der Buchung teilte Air France dem Kläger von der E-Mail-Adresse „Customer Care Europe“ in englischer Sprache mit, dass das Ticket wegen eines Systemfehlers storniert worden sei. Der gezahlte Betrag wurde erstattet. Ende Januar 2018 hätte ein vergleichbarer Flug EUR 10.578,86 gekostet. Der Kläger meinte, die Beklagte habe das Ticket nicht wirksam stornieren können. Er verlangte Schadenersatz in Höhe des objektiven Flugpreises von EUR 10.578,86.


Entscheidung der Vorinstanzen

Das Landgericht Frankfurt am Main wies die Klage als unzulässig ab, da es nicht international zuständig sei (Urteil vom 24. Oktober 2018, 2-24 O 22/18). Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main schloss sich der Auffassung des Landgerichts an (Urteil vom 16. Januar 2020 – 16 U 208/18).

Das Landgericht habe seine internationale Zuständigkeit zu Recht verneint; sie folge insbesondere nicht aus Art. 7 Nr. 5 EuGVVO. Nach dieser Bestimmung könne zwar eine französische Partei in Deutschland verklagt werden, wenn es sich um Streitigkeiten aus dem Betrieb ihrer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung in Deutschland handele, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an dem sich diese befinde. In Frankfurt am Main befänden sich zwar die Marketingabteilung und der Sitz des Geschäftsführers für Deutschland. Bestätigung und Ticket seien aber nicht von dortigen Mitarbeitern ausgestellt worden, auch werde die Website komplett von Frankreich aus betrieben.

Der durch die Angaben im Impressum der Beklagten erweckte Rechtsschein einer Beteiligung der Niederlassung sei nicht ausreichend, um die Zuständigkeit nach Art. 7 Nr. 5 EuGVVO zu eröffnen.


Hintergrund

Die Besonderheit dieses Falles ist, dass es an einem unmittelbaren Bezug der Dienstleistung zu Deutschland fehlt, da keiner der gebuchten Flüge einen deutschen Start- oder Landeort hatte –  anders als beispielsweise in dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12. Mai 2020 – X ZR 10/19 zugrunde lag. In diesem Fall sollten die gebuchten Flüge von Frankfurt über London nach Boston und von New York über London nach Wien führen. Der Bundesgerichtshof entschied, dass Art. 7 Nr. 1 Buchst. b Brüssel-Ia-VO einen einheitlichen Gerichtsstand für sämtliche Klagen aus dem Dienstleistungsvertrag begründe. In dieser Konstellation sei daher an allen drei Orten der Gerichtsstand des Erfüllungsorts für alle nach dem Vertrag geschuldeten Leistungen begründet. Hin- und Rückflug müssten nicht gesondert betrachtet werden.


Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof sah das anders, und bejaht die Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Bei zutreffender Wertung des Sachverhalts unterhalte Air France in Frankfurt eine Zweigniederlassung im Sinne von Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO:

„Eine Zweigniederlassung in diesem Sinne setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass sich Dritte zum Betreiben von Geschäften nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen.“

Diese Voraussetzungen erfülle die Präsenz von Air France in Deutschland. Dabei könne dahingestellt bleiben, inwieweit die Mitarbeiter in Frankfurt für den Vertragsabschluss intern der Zustimmung durch Mitarbeiter am Hauptsitz bedürfen. Denn ausschlaggebend seien nicht die internen Abläufe, sondern die Art und Weise, in der die Niederlassung gegenüber Dritten im Geschäftsverkehr auftrete.

Besonderes Gewicht legte der Bundesgerichthof dabei auf das Impressum.

„Im Streitfall ist die Zweigniederlassung der Beklagten gegenüber Kunden, die Buchungen über die Website „a[irfrance].de“ vorgenommen haben, als diejenige Stelle aufgetreten, die die Buchungen anbietet, das in der Vornahme einer Buchung liegende Vertragsangebot entgegennimmt und gegebenenfalls dessen Annahme erklärt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zweigniederlassung im Impressum der Website als „A[ir France]. in Deutschland“ bezeichnet wird.

Angaben im Impressum einer Website dienen der Erfüllung der Informationspflichten aus § 5 TMG. (…) Sie [dienen] dem Zweck, für den Nutzer ein Mindestmaß an Transparenz und Information über die Person oder Personengruppe sicherzustellen, die ihm einen Teledienst anbietet; auf diese Weise soll insbesondere im Konfliktfall auch ein Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverfolgung bestehen (…).

Angesichts dieser Zwecksetzung ist die im Impressum angegebene Stelle im Geschäftsverkehr grundsätzlich als diejenige Stelle anzusehen, die die beworbene Dienstleistung anbietet und die maßgeblichen Vertragserklärungen abgibt oder entgegennimmt.

Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die Angaben zum Anbieter ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn der angesprochene Nutzer sich darauf verlassen kann, dass ihm die angegebene Stelle als Anbieter und Vertragspartner gegenübertritt. Im Streitfall sei die Air France-Zweigniederlassung als Anbieter in diesem Sinne aufgetreten:

„Die Verwendung der Toplevel-Domain „.de“ und der deutschen Sprache deutet aus Sicht des Kunden darauf hin, dass sich das Angebot auf der genannten Website an Interessenten in Deutschland richtet. Wenn vor diesem Hintergrund eine vorhandene Betriebsstätte als „A[ir France] in Deutschland“ bezeichnet wird, darf ein Kunde dies dahin verstehen, dass diese Betriebsstätte die Stelle ist, die die Buchungen anbietet.“

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hielt der Bundesgerichtshof nicht für nötig. Die für die Entscheidung erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 7 Abs. 5 Brüssel-Ia-VO seien durch die zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits geklärt.

Anmerkung

Der Bundesgerichtshof führt seine eigene verbraucherfreundliche Rechtsprechung und die des Europäischen Gerichtshofs konsequent fort. Für ausländische Anbieter gilt: „Augen auf bei der Gestaltung des Impressums!“ Je nach Gestaltung des Webshops kann die Zuständigkeit des deutschen Gerichts auch für Streitigkeiten aus Verträgen begründet sein, die sonst keinerlei Bezug zu Deutschland aufweisen.

tl;dr: Die Angabe einer vom Hauptsitz abweichenden Betriebsstätte im Impressum einer Website darf ein Kunde, der über diese Website ein Vertragsangebot abgibt, in der Regel dahin verstehen, dass die angegebene Stelle im Namen des Stammhauses die Leistungen anbietet, Vertragsangebote entgegennimmt und gegebenenfalls deren Annahme erklärt.

Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. März 2021 – X ZR 9/20.

Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie auch unter zpoblog.de.

 

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