8. Juni 2021
streiTWert – 53 von 57 Insights
Der Bundesgerichtshof sah das anders, und bejaht die Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Bei zutreffender Wertung des Sachverhalts unterhalte Air France in Frankfurt eine Zweigniederlassung im Sinne von Art. 7 Nr. 5 Brüssel-Ia-VO:
„Eine Zweigniederlassung in diesem Sinne setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle des Stammhauses hervortritt, eine Geschäftsführung hat und sachlich so ausgestattet ist, dass sich Dritte zum Betreiben von Geschäften nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen.“
Diese Voraussetzungen erfülle die Präsenz von Air France in Deutschland. Dabei könne dahingestellt bleiben, inwieweit die Mitarbeiter in Frankfurt für den Vertragsabschluss intern der Zustimmung durch Mitarbeiter am Hauptsitz bedürfen. Denn ausschlaggebend seien nicht die internen Abläufe, sondern die Art und Weise, in der die Niederlassung gegenüber Dritten im Geschäftsverkehr auftrete.
Besonderes Gewicht legte der Bundesgerichthof dabei auf das Impressum.
„Im Streitfall ist die Zweigniederlassung der Beklagten gegenüber Kunden, die Buchungen über die Website „a[irfrance].de“ vorgenommen haben, als diejenige Stelle aufgetreten, die die Buchungen anbietet, das in der Vornahme einer Buchung liegende Vertragsangebot entgegennimmt und gegebenenfalls dessen Annahme erklärt. Dies ergibt sich aus dem Umstand, dass die Zweigniederlassung im Impressum der Website als „A[ir France]. in Deutschland“ bezeichnet wird.
Angaben im Impressum einer Website dienen der Erfüllung der Informationspflichten aus § 5 TMG. (…) Sie [dienen] dem Zweck, für den Nutzer ein Mindestmaß an Transparenz und Information über die Person oder Personengruppe sicherzustellen, die ihm einen Teledienst anbietet; auf diese Weise soll insbesondere im Konfliktfall auch ein Anknüpfungspunkt für eine Rechtsverfolgung bestehen (…).
Angesichts dieser Zwecksetzung ist die im Impressum angegebene Stelle im Geschäftsverkehr grundsätzlich als diejenige Stelle anzusehen, die die beworbene Dienstleistung anbietet und die maßgeblichen Vertragserklärungen abgibt oder entgegennimmt.
Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die Angaben zum Anbieter ihren Zweck nur dann erfüllen, wenn der angesprochene Nutzer sich darauf verlassen kann, dass ihm die angegebene Stelle als Anbieter und Vertragspartner gegenübertritt. Im Streitfall sei die Air France-Zweigniederlassung als Anbieter in diesem Sinne aufgetreten:
„Die Verwendung der Toplevel-Domain „.de“ und der deutschen Sprache deutet aus Sicht des Kunden darauf hin, dass sich das Angebot auf der genannten Website an Interessenten in Deutschland richtet. Wenn vor diesem Hintergrund eine vorhandene Betriebsstätte als „A[ir France] in Deutschland“ bezeichnet wird, darf ein Kunde dies dahin verstehen, dass diese Betriebsstätte die Stelle ist, die die Buchungen anbietet.“
Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hielt der Bundesgerichtshof nicht für nötig. Die für die Entscheidung erheblichen Fragen zur Auslegung von Art. 7 Abs. 5 Brüssel-Ia-VO seien durch die zitierte Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits geklärt.
Der Bundesgerichtshof führt seine eigene verbraucherfreundliche Rechtsprechung und die des Europäischen Gerichtshofs konsequent fort. Für ausländische Anbieter gilt: „Augen auf bei der Gestaltung des Impressums!“ Je nach Gestaltung des Webshops kann die Zuständigkeit des deutschen Gerichts auch für Streitigkeiten aus Verträgen begründet sein, die sonst keinerlei Bezug zu Deutschland aufweisen.
tl;dr: Die Angabe einer vom Hauptsitz abweichenden Betriebsstätte im Impressum einer Website darf ein Kunde, der über diese Website ein Vertragsangebot abgibt, in der Regel dahin verstehen, dass die angegebene Stelle im Namen des Stammhauses die Leistungen anbietet, Vertragsangebote entgegennimmt und gegebenenfalls deren Annahme erklärt.
Anmerkung/Besprechung, Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. März 2021 – X ZR 9/20.
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