15. November 2023
streiTWert – 8 von 64 Insights
Das LG Münster erteilt mit Urteil vom 14.09.2023 einem vermeintlichem „Widerrufsjoker“ eine klare Absage.
Mit Urteil vom 14.09.2023 hat das Landgericht Münster eine Klage eines Kfz-Käufers auf Rückabwicklung des Kaufvertrags nach Widerruf abgewiesen. Der Kläger hatte über ein Jahr nach Erwerb des Fahrzeugs den Widerruf gegenüber dem Verkäufer erklärt und verlangt, den vollen Kaufpreis für das Fahrzeug zurückzuerstatten. Zur Begründung trug der Kläger vor, dass die Widerrufsbelehrung zum Zeitpunkt im Erwerbszeitpunkt die Telefonnummer des Verkäufers nicht aufgeführt habe, sodass die 14-tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen habe. Ein Widerruf sei noch bis zu einem Jahr und 14 Tagen nach Übergabe des Fahrzeuges möglich. Wertersatz sei wegen des Belehrungsmangels ebenfalls nicht zu leisten.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen und die Abweisung streng-formal begründet. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass die Widerrufsbelehrung des Verkäufers den gesetzlichen Anforderungen genügt und der Widerruf des Klägers daher verfristet ist.
Entgegen der Auffassung des Klägers, sei für den Beginn der Widerrufsfrist nach § 356 Abs. 3 BGB auf die Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 1 Nr. 1 EGBGB a. F. abzustellen und gerade nicht auf Art. 246a § 1 Abs. 1 EGBGB, der die Angabe einer Telefonnummer vorsehe. Es sei daher ausreichend, wenn der Verkäufer über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über das Muster-Widerrufsformular nach Anlage 2 EGBGB unterrichte. Über die Form des Widerrufs sei hingegen nicht aufzuklären, so dass auch nicht über einen telefonischen Widerruf bzw. eine Telefonnummer zu informieren sei.
Das Gericht untermauert seine Ausführungen zudem mit dem systematischen Argument, dass der Gesetzgeber für den Fernabsatzvertrag ganz bewusst die Informationspflichten insbesondere zur Telefonnummer aus dem Verweis in § 356 Abs. 3 BGB herausgenommen hat und diese Information gerade nicht für den Beginn der Widerrufsfrist fordert. Nach Ansicht des Gerichtes wird dies auch durch den Vergleich zwischen den Regelungen zu Fernabsatzverträgen und den Regelungen zu Verträgen über Finanzdienstleistungen gestützt.
Der Entscheidung des Landgerichts Münster ist zuzustimmen. Der eingangs erwähnte „Widerrufsjoker“ – eine Bezeichnung, die immer wieder im Rechtsmarkt auftaucht, (wohl) um Verbrauchern zu signalisieren, dass ein Vertrag ohne große Umstände auch nach Ablauf der 14-Tage Frist widerrufen und rückabgewickelt werden könne – stach vor dem Landgericht Münster nicht. Diese Feststellung soll allerdings nicht davon ablenken, dass die Entscheidung mit der gebotenen Ernsthaftigkeit betrachtet werden sollte. Dabei dürfte die Rechtsansicht des Klägers dem Umstand geschuldet sein, dass er nicht trennscharf zwischen Musterwiderrufsformular und Musterwiderrufsbelehrung unterschieden hatte. Während das Musterwiderrufsformular für eine ordnungsgemäße Belehrung über das Widerrufsrecht notwendig ist und gerade keine Telefonnummer verlangt, ist die Musterwiderrufsbelehrung nicht zwingend zu verwenden. Eine fehlende Telefonnummer kann gegebenenfalls wettbewerbsrechtliche Auswirkungen haben, für den Beginn der Widerrufsfrist ist sie aber nach der vorliegenden Entscheidung bedeutungslos.
Neben den überzeugenden Argumenten des Gerichts, die sich streng am Gesetz selbst orientieren und damit aufzeigen, dass es gerade im Bereich der Verbraucher(-widerrufs-) rechte schon aufgrund der hohen Regelungsdichte und einer Vielzahl von unterschiedlichen Konstellationen einer sorgfältigen Analyse bedarf, ob im Einzelfall die Beschreitung des Klageweges aus Verbrauchersicht wirklich erfolgsversprechend ist, verdeutlicht das Urteil des Landgerichts Münster, dass es auch noch 10 Jahre nach Umsetzung der EU-Verbraucherrechte-Richtlinie (VRRL) in das nationale Recht zu Auslegungsfragen zu vermeintlich „wenig relevanten“ Einzelaspekten kommt. Hierbei sticht das Thema der Telefonnummer allerdings besonders hervor.
So hatte sich der EuGH (EuGH, 10.7.2019, C-649/17 – vzbv/Amazon EU Sàrl sowie EuGH, 14.5.2020, C-266/19 – EIS GmbH/TO) bereits zweimal mit Vorlagefragen hinsichtlich der Notwendigkeit der Angabe einer Telefonnummer im wettbewerbsrechtlichen Kontext zu beschäftigen. Auch im Bereich des Versicherungsrechts war dieser Aspekt bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Februar 2023 – IV ZR 353/21 lange umstritten. Naturgemäß sind die in den genannten Verfahren getroffenen Entscheidungen nicht direkt übertragbar, wenn es um die Beurteilung der konkreten durch das Landgericht Münster zu beurteilenden Rechtsfrage geht, die in den Kontext des Widerrufsrechts im Fernabsatz eingebettet ist.
Zusätzlich zu den die Entscheidung des Landgerichts tragenden Argumenten, die gegen eine Verlängerung der Widerrufsfrist bei Nichtangabe der Telefonnummer im Rahmen der Widerrufsbelehrung sprechen, sollten auch die folgenden grundsätzlichen Erwägungen in die Betrachtung einbezogen werden:
Die Thematik der Widerrufsbelehrungen, -informationen und -fristen bleibt ein „Evergreen“ in der Rechtsprechung. Verbrauchern ist anzuraten, pauschalen Aussagen zu sog. „Widerrufsjokern“ mit der nötigen Skepsis zu begegnen. Gleichzeitig sollten Unternehmen die von ihnen bereitgestellten Informationen und Belehrungen mit der notwendigen Sorgfalt und maßgeschneidert für ihre individuellen Geschäftsbereiche im Rechtsverkehr mit Verbrauchern entwerfen und verwenden, um keine unnötigen Angriffspunkte zu bieten.
7. October 2024
25. June 2024
3. May 2024
Current framework and future developments
20. March 2024
von Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK), Dr. Philipp Behrendt, LL.M. (UNSW)
23. February 2024
1. February 2024
von Torben Heuser
1. February 2024
15. November 2023
19. October 2023
von Dr. Dirk Lorenz
25. May 2023
von Johannes Raue
Katie Chandler, Philipp Behrendt and Christopher Bakier look at the EU's proposals to legislate for liability risks in AI products.
9. May 2023
von mehreren Autoren
2. May 2023
von Johannes Raue
13. April 2023
von mehreren Autoren
Beratung zur Streitvermeidung und Streitlösung
28. March 2023
von Dr. Frank Koch
13. February 2023
von Dr. Dirk Lorenz
27. January 2023
24. January 2023
20. January 2023
Hinweis zum Aufsatz von Christine Simon-Wiehl in Zeitschrift für Product Compliance (ZfPC) 05/2022, 198 ff.
13. January 2023
13. December 2022
Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 neben dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung ihren mit Spannung erwarteten Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Diese Neuerungen gibt es.
25. November 2022
Experimente beim digitalen Zivilprozess sind schön und gut – doch es fehlt ein System
29. September 2022
22. September 2022
von Dr. Dirk Lorenz
24. August 2022
22. August 2022
von Dr. Lena Niehoff
Unstrittig: Herstellergarantien können den Abverkauf von Waren erhöhen und zur Kundenbindung beitragen. Aber sind Online-Händler auch verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn es solche Garantien gibt?
5. October 2022
7. July 2022
streiTWert
30. June 2022
von Johannes Raue
13. June 2022
streiTWert
9. June 2022
von Harald Bechteler
streiTWert
19. May 2022
von Dr. Dirk Lorenz
streiTWert
5. May 2022
22. April 2022
13. April 2022
streiTWert
7. April 2022
streiTWert
31. March 2022
streiTWert
16. February 2022
streiTWert
24. January 2022
streiTWert
7. December 2021
streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten
18. November 2021
streiTWert – Entscheidung des LG Hamburg über Stornierungskosten bei Veranstaltungen
22. September 2021
von Donata Freiin von Enzberg, LL.M., Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK)
streiTWert
11. October 2021
von Dr. Lena Niehoff
streiTWert
13. September 2021
streiTWert
9. September 2021
streiTWert
27. August 2021
streiTWert
23. August 2021
streiTWert
13. August 2021
von Dr. Lena Niehoff
streiTWert
5. August 2021
streiTWert
15. July 2021
streiTWert
8. July 2021
von Harald Bechteler
streiTWert
2. June 2021
streiTWert
8. June 2021
streiTWert
21. May 2021
streiTWert
17. May 2021
streiTWert – Ein vielfach unterschätzter Kostenpunkt für im Ausland ansässige Klageparteien?
1. September 2021