24. August 2022
streiTWert – 31 von 64 Insights
In den letzten Jahren wurden vor den deutschen Gerichten vermehrt „Klimaklagen“ von Privatpersonen und Umweltverbänden gegen große deutsche Unternehmen anhängig gemacht.
Bei sog. Klimaklagen handelt es sich um das Phänomen, dass Verbände oder Privatpersonen Klagen erheben, um klimaschützende Maßnahmen zu erreichen. Bislang vorzufinden waren Klagen gegen Staaten bzw. staatliche Einrichtungen vor Verwaltungsgerichten oder Verfassungsgerichten. Neuerdings gibt es auch Versuche von privaten Verbänden oder Privatpersonen, vor Zivilgerichten Unternehmen zu verklagen, um diese zu klimaschützendem Verhalten zu zwingen.
Zuletzt wurden im Jahr 2021 von Greenpeace und der deutschen Umwelthilfe Klagen gegen Volkswagen vor dem Landgericht Braunschweig gegen Mercedes-Benz vor dem Landgericht Stuttgart und BMW vor dem Landgericht München I eingereicht. Die Klägerseite fordert in allen Klagen von den Autobauern die Unterlassung der Herstellung von Autos mit Verbrennermotoren bis zum Jahre 2030. Das Landgericht Stuttgart hat in der mündlichen Verhandlung bereits Zweifel an der Klage geäußert, weil es Aufgabe des Gesetzgebers sei, die Fahrzeugproduktion zu regulieren. Die Kammer hält zudem eine Vorlage an den EuGH für möglich.
Von besonderer praktischer Relevanz und daher näher zu beleuchten ist jedoch ein aktuell beim OLG Hamm anhängiges Verfahren.
Dieses Verfahren sorgte in Deutschland zunächst im Jahr 2017 für Aufsehen, als der Energiekonzern RWE von einem peruanischen Bauern vor dem Landgericht Essen verklagt wurde. Der Kläger ist Miteigentümer eines Wohnhauses in der Stadt Huaraz in Peru. Die Stadt liegt am Fuße der Anden unterhalb eines Gletschersees. Vor dem Landgericht Essen verlangte der Kläger unter anderem die Feststellung, dass die RWE AG sich aufgrund der von ihr verursachten Treibhausgasemissionen anteilig mit 0,47 % an den Kosten von Schutzmaßnahmen für das klägerische Hausgrundstück oder unmittelbar am Gletschersee beteiligen müsse. Ziel ist es, dieses gegen eine Flutwelle oder Schlammlawine zu sichern, die dem Haus infolge des Abschmelzens des Gletschers drohe. Der Erstattungsanspruch des Klägers gegen die RWE AG wird hier auf den Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit einer Geschäftsführung ohne Auftrag gestützt. Das Landgericht Essen hat die Klage mit Urteil vom 15. Dezember 2016 abgewiesen und dabei unter anderem angenommen, dass die vom Kläger behauptete Flutgefahr der Beklagten angesichts der Vielzahl an Emittenten von Treibhausgasen weltweit nicht – auch nicht anteilig – individuell zugeordnet werden könne. Das OLG Hamm als Berufungsgericht hält die Klage dagegen für schlüssig, d.h. das Gericht sieht den Anspruch des Kläger nach dessen Vortrag als begründet an. Daher ist es in die Beweisaufnahme eingetreten. Das erfolgt in Berufungsverfahren, wenn das Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel daran hat, dass die erstinstanzlichen Feststellungen richtig bzw. vollständig sind. Durch Sachverständigengutachten soll der Verursachungsbeitrag der RWE AG am Klimawandel und die Gefahr einer Überflutung des Grundstücks des Klägers geklärt werden (OLG Hamm, Beschluss vom 30. November 2017 – I-5 U 15/17). Am 25. Mai 2022 haben Vertreter des Gerichts und Sachverständige zusammen mit weiteren Verfahrensbeteiligten eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Die entsprechenden Sachverständigengutachten sollen bis Ende 2022 vorgelegt werden. Die nächste mündliche Verhandlung soll in der ersten Jahreshälfte 2023 stattfinden (Pressemitteilung des OLG Hamm vom 17. Juni 2022).
In Folge immer häufiger auftretender Naturkatastrophen wie die Flutkatastrophe im Ahrtal oder die Waldbrände in Brandenburg und fehlender aktueller obergerichtlicher Rechtsprechung muss in Zukunft mit weiteren Klimaklagen vor den deutschen Zivilgerichten gerechnet werden. Die Flut im Ahrtal hat alleine Schäden von 40 Milliarden Euro verursacht. Die Frage nach den Verantwortlichen für klimawandelbedingte Schäden wird daher immer lauter.
Wie das Verfahren vor dem OLG Hamm zeigt, erscheint eine Haftung von Unternehmen, welche besonders viel CO2 ausstoßen, nicht ausgeschlossen. Dabei sei ferner darauf hingewiesen, dass der exotische Sachverhalt im oben genannten Verfahren keinen Einzelfall darstellt. Auch in Deutschland kann es zu vergleichbaren Geschehnissen kommen. Eine Haftung für bereits eingetretene Eigentumsverletzungen käme aus § 823 Abs. 1 BGB in Betracht.
Beispielsweise könnte jede Privatperson in Deutschland, welche durch klimawandelbedingte Katastrophen oder Umweltveränderungen eine Eigentumsverletzung erleidet, die großen ausländischen CO2-Emittenten wie z.B. die ExxonMobil Corp. (Anteil von 1.98% am weltweiten CO2-Ausstoß) oder die Dutch Shell (Anteil von 1.67% am weltweiten CO2-Ausstoß) vor deutschen Gerichten verklagen. Grundlage dafür bieten der ausschließliche dingliche Gerichtsstand gemäß § 24 Abs. 1 ZPO und der besondere deliktische Gerichtsstand gemäß § 32 ZPO. Durch immer genauer werdende wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich der Klimaforschung wird es den Klägern zudem in Zukunft auch leichter fallen, ihre Ansprüche zu begründen.
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