28. Mai 2021
streiTWert – 63 von 66 Insights
In größeren internationalen Wirtschaftsstreitigkeiten sieht sich der Rechtsstandort Deutschland schon seit längerer Zeit deutlichem Wettbewerb ausgesetzt. Streitbeilegung „made in Germany“ vor den ordentlichen Gerichten in Deutschland ist (trotz gewisser Vorteile) für die Parteien in internationalen Sachverhalten häufig nicht attraktiv genug, mit der Folge, dass die Streitigkeiten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten vorgelegt werden oder es werden alternative Streitbeilegungsmethoden gesucht, insbesondere Schiedsverfahren.
Um einer Abwanderung von Rechtsstreitigkeiten von den ordentlichen Gerichten in Deutschland in andere Rechtskreise oder in die Schiedsgerichtsbarkeit entgegenzuwirken, gab es schon verschiedene Bemühungen. Zuletzt hat der Bundesrat am 7. Mai 2021 beschlossen, den Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten in den Bundestag einzubringen. Der Entwurf sieht grundsätzlich zwei Instrumente vor, um die Position der staatlichen Gerichte in Wirtschaftssachen nachhaltig zu stärken und die Qualität und die Attraktivität der Ziviljustiz zu sichern – vorausgesetzt, der Entwurf wird vom Bundestag wie vorgeschlagen verabschiedet und vorausgesetzt, dass die Landesregierungen jeweils von den im Entwurf vorgesehenen Ermächtigungsgrundlagen Gebrauch machen.
Die Landesregierungen werden ermächtigt, an ihren Landgerichten Kammern für Handelssachen als Kammern für internationale Handelssachen einzurichten. Internationale Handelssachen sind Handelssachen, die einen internationalen Bezug haben und nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien in englischer Sprache durchgeführt werden sollen. Damit ist – neben der zu erwartenden Spezialisierung dieser internationalen Kammern für Handelssachen – die Durchführung des Verfahrens in englischer Sprache als wesentliche Besonderheit festgelegt, wobei die Durchführung in englischer Sprache vereinbart werden muss. Im Übrigen bleiben die Vorschriften für die Kammern für Handelssachen grundsätzlich entsprechend anwendbar.
Mit dem zweiten Instrument sind wesentlich invasivere Eingriffe in das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozessordnung verbunden. Den Landesregierungen wird die Möglichkeit eröffnet, für Streitigkeiten an einem Oberlandesgericht einen Senat als sog. Commercial Court einzurichten, vor denen Handelsverfahren mit internationalem Bezug und einem Streitwert von über zwei Millionen Euro – bei entsprechender ausdrücklicher Gerichtsstandvereinbarung – auch erstinstanzlich geführt werden können. Das heißt, diese Verfahren vor den Commercial Courts werden vor den Oberlandesgerichten als Eingangsinstanz geführt. Im Gegenzug ist die Revision unabhängig von einer Zulassung durch das Oberlandesgericht statthaft (das Revisionsgericht kann die Revision allerdings in entsprechender Anwendung von § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückweisen, wenn es davon überzeugt ist, dass diese keine Aussicht auf Erfolg hat). Ergänzend können die Landesregierungen den Zugang zu den Commercial Courts auch für rein nationale Handelssachen gestatten (eine ausdrückliche Gerichtsstandvereinbarung vorausgesetzt).
Der Gesetzesentwurf sieht für die Verfahren vor den Commercial Courts derzeit einige Bausteine vor, die in ihren prozessualen Besonderheiten durchaus mit Schiedsverfahren vergleichbar sind:
Im Übrigen gelten die Vorschriften der Zivilprozessordnung im Wesentlichen unverändert. Das kann mit einer wesentlichen Weichenstellung sogar zu Vorteilen gegenüber einem Schiedsverfahren führen, denn die Einbeziehung Dritter in den Rechtsstreit mit entsprechender Bindungswirkung kann, je nach Schiedsvereinbarung und Schiedsordnung, durchaus problematisch sein. Der deutsche Gesetzgeber hat die Möglichkeit ausdrücklich bedacht und sieht eine Ergänzung der Regelungen über die Streitverkündung ausdrücklich vor. Ein kleiner Haken, der die Vorteile des Commercial Courts (teilweise) wieder schmälern kann, ist damit allerdings auch verbunden: Die Rechtfertigung, dass das Verfahren vor den Commercial Courts in englischer Sprache durchgeführt wird, ergibt sich aus der ausdrücklichen Vereinbarungen und damit dem entsprechenden Willen der Parteien. Ein Dritter kann aber durch die Streitverkündung ohne bzw. sogar gegen seinen Willen in das Verfahren einbezogen werden. Er muss daher eine in englischer Sprache abgefasste Streitverkündungsschrift nicht gegen sich gelten lassen, wenn er das nicht will, um den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht zu gefährden. Der Streitverkündete wird daher die Annahme eines in englischer Sprache abgefassten Schriftsatzes verweigern können, der Streitverkünder muss den Schriftsatz dann übersetzen und es sind ggf. Dolmetscher hinzuzuziehen.
Ob der Bundestag den Gesetzesentwurf zeitnah verabschiedet und die Landesregierungen dann kurzfristig von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen werden, bleibt abzuwarten. Ähnliche Versuche in der Vergangenheit waren nicht von Erfolg gekrönt. Weitere Ausführungen dazu sowie ergänzende Hinweise finden sich in diesem Artikel von Peter Bert, auf zpoblog.de.
Werden die Commercial Courts eingeführt, wird es in der anwaltlichen Praxis bei der Gestaltung von Gerichtsstandvereinbarungen, (zumindest) im internationalen Kontext, immer eine Überlegung wert sein, ob die Parteien sich bei entsprechend großvolumigen Wirtschaftsstreitigkeiten schon im Voraus auf die Wahl des Commercial Courts verständigen.
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