26. Juni 2025
streiTWert – 6 von 73 Insights
Mit Wirkung zum 1. April 2025 hat der Bundesgesetzgeber die Errichtung der sogenannten Commercial Courts, also von spezialisierten durch die Landesregierung bzw. die Landesjustizverwaltungen bestimmten Senaten an Oberlandesgerichten, durch die Bundesländer ermöglicht. Von der dadurch gegebenen Möglichkeit zur Einrichtung von Commercial Courts für bestimmte Sachgebiete haben die Bundesländer, die bislang einen Commercial Court eingerichtet haben, in sehr unterschiedlichem Maß Gebrauch gemacht, was sich entsprechend auf die Möglichkeiten, Vereinbarungen zur Zuständigkeit von Commercial Courts, abzuschließen oder diese ohne explizite Vereinbarung anzurufen, auswirkt.
Durch die Errichtung von Commercial Courts können – neben der Möglichkeit der Zuordnung von Berufungsverfahren – erstmals erstinstanzliche Verfahren in bestimmten Sachgebieten unmittelbar bei den Oberlandesgerichten eingeleitet werden, womit eine zeitliche Straffung der Verfahren bei unmittelbarer Befassung durch einen besonders kompetenten Senat ermöglicht werden soll. Zudem können diese Verfahren auch in englischer Sprache geführt werden. Außerdem wird – ähnlich wie in Schiedsverfahren – ermöglicht, durch eine Verfahrenskonferenz das Verfahren zu strukturieren sowie Wortprotokolle zu führen. Ferner ist bei erstinstanzlich vor dem Commercial Court geführten Verfahren die Revision zum Bundesgerichtshof ohne gesonderte Zulassung durch den Commercial Court zulässig.
Aufgrund dieser Abweichungen von einem gewöhnlichen bei dem Landgericht eingeleiteten Verfahren kann es ein Interesse geben, ein Verfahren bei dem Commercial Court statt bei dem Landgericht einzuleiten bzw. eine Verweisung an den Commercial Court zu beantragen.
Hierfür gibt es, wenn ein entsprechender Commercial Court eingerichtet worden und zuständig ist, verschiedene Möglichkeiten:
All diese Möglichkeiten bestehen allerdings selbstverständlich nur, wenn ein entsprechender Commercial Court überhaupt eingerichtet worden ist.
Die Bundesländer haben – soweit sie überhaupt einen Commercial Court eingerichtet haben – von der durch § 119b GVG eingeräumten Möglichkeit zur Errichtung eines Commercial Court in sehr unterschiedlichem Maße Gebrauch gemacht.
Nachdem die Einrichtung von Commercial Courts jetzt zu einem gewissen Abschluss gekommen ist – zuletzt hat Hessen im Juni 2025 zum 1. Juli 2025 einen Commercial Court eingerichtet –, besteht jetzt für die Vereinbarung entsprechender vertraglicher Zuständigkeitsregelungen oder die Erhebung von Klagen auch ohne eine solche Vereinbarung zum Commercial Court bzw. einen Verweisungsantrag bei dem Landgericht eine ausreichende Grundlage, auch wenn künftige Anpassungen selbstverständlich nicht ausgeschlossen sind. So soll wohl auch in Niedersachsen und Sachsen jeweils noch ein Commercial Court eingerichtet werden.
Nach der bundesgesetzlichen Regelung in § 119b Abs. 1 GVG kann die Zuständigkeit der Commercial Courts für folgende Sachgebiete bei einem Streitwert ab EUR 500.000 vorgesehen werden:
Wie sich aus § 119b Abs. 1 S. 2 ergibt, kann die Zuständigkeit des Commercial Court auf bestimmte Sachgebiete beschränkt werden.
Dies hat dazu geführt, dass die Bundesländer in sehr unterschiedlichem Maße eine Zuständigkeit der von ihnen eingerichteten Commercial Courts vorgesehen haben.
Eingerichtet haben Commercial Courts bislang die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen.
Zuständig sind die Commercial Courts, deren Zuständigkeit sich jeweils auf das gesamte Gebiet des jeweiligen Bundeslandes erstreckt, in folgenden Bereichen, wobei für die Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 3 GVG jeweils auch die in § 119b GVG genannten Ausnahmen für die Zuständigkeit Anwendung finden:
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Nur auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Erwerb eines Unternehmens oder von mindestens drei Prozent der Anteile an einem Unternehmen
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Ja
Besonderheiten:
Ausgenommen sind allgemein Streitigkeiten nach § 87 GWB.
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Nur für Lieferkettenstreitigkeiten zwischen Unternehmern. Lieferkettenstreitigkeiten sind dabei bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen dem Hersteller eines körperlichen Endprodukts und einem unmittelbaren oder mittelbaren Zulieferer sowie zwischen den Zulieferern untereinander.
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Nein
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Nur für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Nein
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Nein
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Nur für Rechtsstreitigkeiten,
1. in denen Ansprüche aus Fracht-, Speditions- oder Lagergeschäften im Sinne des Vierten Buchs des Handelsgesetzbuchs sowie den im Fünften Buch des Handelsgesetzbuchs geregelten Vertragstypen geltend gemacht werden
oder
2. die folgende Vertragsgegenstände betreffen:
a) Anlagen zur Herstellung von Wasserstoff oder deren Komponenten. Dies umfasst insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Veräußerung, Installation, Wartung, Reparatur, Gebrauchsüberlassung oder Beschädigung solcher Anlagen;
b) Bezug oder Veräußerung von Wasserstoff;
c) Zivile Luftfahrttechnologie. Hierzu zählen insbesondere die Entwicklung, Herstellung, Wartung, der Betrieb oder die Regulierung von Technologien, Systemen, Komponenten oder Dienstleistungen im Bereich der zivilen Luftfahrt. Dies umfasst insbesondere Streitigkeiten
aa) betreffend Entwicklungs-, Produktions- oder Lieferverträge für Luftfahrzeuge, Triebwerke, Avionik oder andere luftfahrtspezifische Komponenten;
bb) mit Bezug zu Haftungsfragen bei technischen Mängeln oder Fehlfunktionen von Luftfahrzeugen oder deren Komponenten;
cc) über die Bereitstellung oder Nutzung von luftfahrtspezifischen Daten, Software oder Kommunikationssystemen;
d) Technologien, Geräte, Fahrzeuge oder Infrastrukturen, die für Aktivitäten im Weltraum, in der Erdumlaufbahn oder auf Himmelskörpern bestimmt sind oder dort eingesetzt werden (Weltraumtechnologien). Dies umfasst insbesondere Streitigkeiten
aa) betreffend die Entwicklung, Herstellung, Veräußerung, Wartung, Reparatur, Gebrauchsüberlassung, Nutzung oder Beschädigung von Weltraumtechnologien;
bb) über Schäden durch Weltraumaktivitäten oder -objekte;
cc) im Zusammenhang mit der Weltraumforschung und kommerziellen Weltraumaktivitäten.
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Nein
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Nein
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Rechtsstreitigkeiten, soweit es sich um Handelssachen im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 4 Buchst. a, b und d des Gerichtsverfassungsgesetzes handelt; ausgenommen sind:
a) Streitigkeiten aus dem Kapitalanlagerecht,
b) Streitigkeiten im Sinne des § 119a Abs. 1 Nr. 2 bis 7 des Gerichtsverfassungsgesetzes (also insbesondere aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen, Versicherungsvertragsverhältnissen, Veröffentlichungen und insolvenzrechtlichen Streitigkeiten),
c) durch Rechtsverordnung nach § 119a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes bestimmte Streitigkeiten für weitere Zivilsenate
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GVG:
Rechtsstreitigkeiten
a) aus Bau- und Architektenverträgen sowie aus Ingenieurverträgen, soweit sie im Zusammenhang mit Bauleistungen stehen,
b) aus Versicherungsvertragsverhältnissen, insbesondere soweit sie Vermögensschadenhaftpflichtversicherungen (D&O-Versicherungen) zum Gegenstand haben,
und
c) aus gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GVG:
Ja
Zuständigkeit nach § 119b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GVG:
Ja
Es gibt also sehr unterschiedliche Zuständigkeiten. Während Hamburg umfassend von der Ermächtigung Gebrauch gemacht hat, haben andere Bundesländer hiervon nur sehr eingeschränkt Gebrauch gemacht und dies teilweise auch genau konträr. Während Hessen Baustreitigkeiten und Versicherungsstreitgkeiten aus der Zuständigkeit des Commercial Court herausnimmt, hat Nordrhein-Westfalen gerade diese aufgenommen.
Vor diesem Hintergrund ist bei der Vertragsgestaltung künftig sehr genau darauf zu achten, ob, wenn aus Sicht der Beteiligten die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Commercial Court grundsätzlich in Betracht kommt, hierfür ein Commercial Court mit einer entsprechenden Zuständigkeit überhaupt zur Verfügung steht und ob dafür in Kauf genommen werden soll, dass dieser gegebenenfalls weiter entfernt ist. Zu beachten ist dabei auch, dass die Zuständigkeit des Commercial Court nur für Streitwerte ab EUR 500.000 gegeben ist, häufig ja aber bei der Vereinbarung einer Zuständigkeit noch nicht feststeht, welchen Streitwert eine spätere Streitigkeit haben wird. Insoweit müsste dann gegebenenfalls eine gespaltene örtliche Zuständigkeit für Streitwerte ab EUR 500.000 und darunter vorgesehen werden. Auch die Verweisungsmöglichkeit nach § 611 Abs. 2 ZPO bei späterer Erhöhung des Streitwerts ist zu berücksichtigen.
Insgesamt sollte also sehr sorgfältig überlegt überprüft werden, ob und wenn ja die Zuständigkeit welchen Commercial Courts vereinbart werden soll.
Einfacher sind die Überlegungen, wenn sich bereits ein Rechtsstreit abzeichnet. In diesem Fall wird meist der Streitwert schon feststehen, so dass über eine Zuständigkeit des Commercial Court gegebenenfalls noch mit der Gegenseite gesprochen werden kann, wenn ein beiderseitiges Interesse an einer Klärung vor dem Commercial Court besteht. Zudem besteht sonst auch die Möglichkeit, das Verfahren vor dem Landgericht einzuleiten und den Antrag nach § 611 Abs. 1 ZPO zu stellen. Stimmt die Gegenseite dem dann zu, kommt es zur Verweisung, sonst nicht. Eine relevante Verzögerung wird sich daraus im Allgemeinen nicht ergeben, so dass dieser Antrag stets zu erwägen sein wird, wenn ein Commercial Court für das betroffene Sachgebiet im jeweiligen Bundesland besteht. Gleiches gilt auch auf Beklagtenseite für einen eigenen Antrag.
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