20. März 2024
streiTWert – 5 von 65 Insights
Bislang haften Online-Marktplatz-Betreiber, die selbst keine Produkte verkaufen, nur in Ausnahmefällen für fehlerhafte Produkte, die sie vermittelt haben. Diese vermeintliche Lücke im EU-Produkthaftungsrecht soll nun durch die neue Produkthaftungsrichtlinie geschlossen werden.
Nach der derzeit geltenden Produkthaftungsrichtlinie (Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG, die "aktuelle Produkthaftungsrichtlinie", in Deutschland umgesetzt im Produkthaftungsgesetz) kommen grundsätzlich folgende Akteure als Haftende in Betracht:
Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass die fast 40 Jahre alte aktuelle Produkthaftungsrichtlinie nicht für die fortschreitende Digitalisierung geeignet ist. De lege lata haften Online-Marktplatz-Betreiber nur in Ausnahmefällen für mangelhafte Produkte, die über ihre Plattformen verkauft werden. In einer Welt, in der europäische Kunden Produkte aus aller Welt per Mausklick über Online-Marktplätze kaufen können, kann die Haftung nicht mehr nur auf die vor fast 40 Jahren vorherrschenden Marktteilnehmer beschränkt werden.
Um dieses Problem zu lösen und den eigentlichen Schutzzweck der Produkthaftungsrichtlinie wiederherzustellen und um den Geschädigten die schwierige und möglicherweise aussichtslose Durchsetzung ihrer Ansprüche in Nicht-EU/EWR-Ländern zu ersparen, hat die Europäische Kommission am 28.09.2022 einen Vorschlag für eine neue Produkthaftungsrichtlinie (die "neue Produkthaftungsrichtlinie") veröffentlicht, die die derzeitige Produkthaftungsrichtlinie ersetzen soll. Demnach sollen Online-Marktplatz-Betreiber sowie Fulfillment-Dienstleister leichter haftbar gemacht werden können.
In Bezug auf die Haftung von Online-Marktplatz-Betreibern (Anbieter eines Vermittlungsdienstes, der unter Einsatz einer Online-Schnittstelle, die es Verbrauchern ermöglicht, Fernabsatzverträge mit Unternehmern über den Verkauf von Produkten abzuschließen) baut der Vorschlag für die neue Produkthaftungsrichtlinie auf den Haftungsbestimmungen für Online-Plattformen nach dem Gesetz über digitale Dienste (DDG) auf, das am 16.11.2022 in Kraft trat und ab dem 17.02.2024 in allen EU-Staaten gelten wird. Nach dem DDG sollen Anbieter von Online-Plattformen, wenn sie die Rolle eines Herstellers, Importeurs oder Händlers für ein fehlerhaftes Produkt übernehmen, unter den gleichen Bedingungen haften wie diese Wirtschaftsakteure. In Fällen, in denen Anbietern von Online-Plattformen eine reine Vermittlerrolle beim Verkauf von Produkten zwischen Händlern und Verbrauchern spielen, sollen sie unter eine bedingte Haftungsbefreiung nach dem DDG fallen. Der DDG legt jedoch fest, dass Betreiber von Online-Plattformen, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen, dann nicht von der verbraucherschutzrechtlichen Haftung befreit sind, wenn sie das Produkt in einer Weise präsentieren oder die betreffende Transaktion in anderer Weise ermöglichen, die einen Durchschnittsverbraucher zu der Annahme veranlassen würde, dass das Produkt entweder von dem Betreiber der Online-Plattform selbst oder von einem Gewerbetreibenden angeboten wird, der unter ihrer Aufsicht oder Kontrolle handelt. In diesen Fällen soll es nach der neuen Produkthaftungsrichtlinie möglich sein, Betreiber von Online-Plattformen in gleicher Weise wie Händler haftbar zu machen.
Darüber hinaus soll nach dem Vorschlag der neuen Produkthaftungsrichtlinie ein Online-Marktplatz-Betreiber, der Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Händlern ermöglicht, in den Fällen haften, in denen kein Hersteller ermittelt werden kann oder dieser keinen Sitz innerhalb der Union hat und kein anderer Wirtschaftsakteuer ermittelt werden kann, wenn (i) der Kläger den Online-Marktplatz-Betreiber auffordert, den Wirtschaftsakteur zu identifizieren und (ii) der Online-Marktplatz-Betreiber den Wirtschaftsakteur nicht innerhalb eines Monats nach Erhalt der Aufforderung benennt.
Die neue Produkthaftungsrichtlinie führt auch die Haftung des so genannten "Fulfillment-Dienstleisters" ein. Laut Definition handelt es sich dabei um jede natürliche oder juristische Person, die im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit mindestens zwei der folgenden Dienstleistungen anbietet: Lagerhaltung, Verpackung, Adressierung und Versand eines Produkts, an dem sie kein Eigentumsrecht hat. Die neue Produkthaftungsrichtlinie weist darauf hin, dass die Fulfillment-Dienstleister eine immer wichtigere Rolle als Wirtschaftsakteure spielen, indem sie den Zugang zum Unionsmarkt für Produkte aus Drittländern ermöglichen und erleichtern. Daher sollte es möglich sein, sie haftbar zu machen, aber aufgrund des sekundären Charakters dieser Rolle sollten sie nur dann haftbar gemacht werden können, wenn kein Einführer oder Bevollmächtigter in der Union ansässig ist.
Nach der neuen Produkthaftungsrichtlinie soll der Fulfillment-Dienstleister verschuldensunabhängig haften, wenn weder der Hersteller, der Importeur noch der Beauftragte in der Union ansässig ist. Betrachtet man das Geschäftsmodell vieler Online-Marktplatzbetreiber, so wird dies häufig zu einer erheblichen Erhöhung der Haftungsrisiken für die Geschäftsmodelle der Online-Marktplatzbetreiber führen. In rein innereuropäischen Fällen bleibt es jedoch dabei, dass der Fulfillment-Dienstleister nicht haftbar gemacht werden kann - auch dann nicht, wenn kein anderer Wirtschaftsakteur gefunden werden kann.
Ja. Die Produkthaftungsrichtlinie gilt, wenn ein Produkt in der EU auf dem Markt bereitgestellt wird. Dies ist der Fall, wenn das Produkt online oder über eine andere Form des Fernabsatzes zum Verkauf angeboten wird und das Angebot an Verbraucher in der EU gerichtet ist. Ein Verkaufsangebot gilt dann als an Verbraucher in der EU gerichtet, wenn der Online-Händler seine (Verkaufs-)Aktivitäten in irgendeiner Weise auf einen oder mehrere EU-Mitgliedstaaten ausrichtet.
Der Text der neuen Produkthaftungsrichtlinie wurde Ende letzten Jahres vorläufig angenommen und im Januar 2024 veröffentlicht. Sodann hat das Europäische Parlament die neue Produkthaftungsrichtlinie im März 2024 angenommen. Damit steht der formellen Verabschiedung durch den Rat nichts mehr im Wege. Die neue Produkthaftungsrichtlinie könnte mithin bereits Mitte 2024 in Kraft treten. Es wurde eine zweijährige Übergangsfrist vorgeschlagen, was bedeutet, dass die Richtlinie bis 2026 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müsste.
Nichtsdestotrotz sind Betreiber von Online-Marktplätzen gut beraten, ihre internen Prozesse bereits jetzt an die zu erwartenden Änderungen anzupassen, insbesondere im Hinblick auf die Produktüberwachung und -dokumentation, um auf diese Weise die Risiken möglicher Produkthaftungsszenarien zu minimieren - oder bestenfalls auszuschließen. Wir von Taylor Wessing unterstützen Sie gern bei der Einrichtung und Unterhaltung dieser Prozesse.
Einen Überblick über die wichtigsten Neuerungen der EU-Produkthaftungsrichtlinie liefern auch Dr. Lena Niehoff und David Hilger in ihrem Briefing vom 23. Februar 2024: Neue Richtlinie zur Produkthaftung: Wo geht die Reise hin?
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