10. November 2022
streiTWert – 27 von 65 Insights
Das von Bayern, Niedersachsen und der Universität Regensburg getragene Forschungsprojekt "Reallabor Strukturvorgaben für den Parteivortrag im Zivilprozess" präsentiert sich und den Projektstand jetzt auf einer eigenen Homepage.
Über dieses Projekt hatten wir im ZPO-Blog bereits berichtet - seit kurzem sind alle wesentlichen Informationen auch für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich. Die Projekt-Homepage dokumentiert die bisherigen Vorarbeiten und den aktuellen Stand des Projekts, der im Projekt-Log fortgeschrieben wird. Das Projekt soll Aufschluss darüber bringen, ob sich die insbesondere von Greger entwickelten Vorschläge zum Basisdokument als Instrument zur Strukturierung des Parteivortrags (dazu Greger NJW 2019, 3429, sowie hier und hier im Blog) in der gerichtlichen Praxis bewähren.
Der Vorschlag von Greger ist in der rechtspolitischen Diskussion gleich mehrfach auf fruchtbaren Boden gefallen: Die Arbeitsgruppe der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs hat ihn in ihrem Thesenpapier zur Modernisierung des Zivilprozesses aus dem Januar 2021 aufgegriffen, ebenso das Arbeitspapier des Richterbundes zu Massenverfahren aus dem Mai 2022 (dort unter 5.3.1.). und die Justizministerkonferenz mit ihrem Beschlüssen vom Juni 2022.
Das Forschungsprojekt entwickelt einen Software-Prototypen zur digitalen Unterstützung der Strukturierung. Im nächsten Schritt wird dieser Prototyp in einem Reallabor erprobt werden. Unter einem „Reallabor“ versteht man in diesem Kontext, dass in einem rechtlich abgesicherten Rahmen veränderte Regeln und/oder digitale Innovationen zeitlich und räumlich begrenzt in einem realen Umfeld erprobt werden - hier also der Einsatz dieser Software in realen Zivilprozessen (siehe auch hier im Blog).
Das heißt also: Die Software kommt in echten Zivilverfahren an verschiedenen Landgerichten in Bayern und Niedersachsen zum Einsatz. Da es an einer gesetzlichen Grundlage fehlt, auf der das Gericht die Parteien zur Verwendung verpflichten könnte, wird die Teilnahme nur auf freiwilliger Grundlage erfolgen. Um so wichtiger ist es daher, dass das Forschungsprojekt und die beteiligten Gerichte Überzeugungsarbeit leisten. Nur so wird es gelingen, den Prototypen an den Testgerichten oft genug zu erproben, um valide Aussagen ableiten zu können.
Auf dem Zivilrichtertag 2021 gab sich Bettina Limperg, die Präsidentin des Bundesgerichtshofes, als entschiedene Gegnerin des Vorschlages zu erkennen. Die notwendigen Instrumentarien zur Strukturierung seien in der ZPO bereits angelegt, das Gericht müsse frühzeitig aktiv werden. Soweit es dort Defizite gebe, müsse man bei den Ursachen ansetzen wie Ausstattung, Zeitmanagement und der Ausbildung. Die Richterschaft dürfe sich an dieser Stelle "nicht selbst entmündigen". Ganz ähnlich klingt das bei der Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins, Edith Kindermann. Sie findet, dass die Technik nicht vorgeben dürfe, "was wir schreiben und wie wir es schreiben“. Die Strukturierung des Parteivortrags sei „ureigenste anwaltliche Aufgabe“.
Diese Skepsis spiegelt sich in den Ergebnissen unserer Umfrage zu den verschiedenen Reformideen hier im Blog. Das Basisdokument kam bei unseren Leserinnen und Lesern auf den vorletzten Platz - ebenso wie bei der Abstimmung auf dem Zivilrichtertag; gerade einmal 16% der Leserinnen und Leser hielten es für eines der drei relevantesten Reformvorhaben. Das Forschungsprojekt wird also Überzeugungsarbeit leisten müssen, um den Prototypen an den Testgerichten oft genug zu erproben, um valide Aussagen ableiten zu können.
Diese Skepsis teile ich persönlich als anwaltliches Mitglied der Arbeitsgruppe ein Stück weit: So halte ich wenig davon, den Tatbestand durch das Basisdokument zu ersetzen, wie es die Arbeitsgruppe der Präsidentinnen und Präsidenten der Oberlandesgerichte und des Bundesgerichtshofs vorschlägt. Das ist in der Tat ureigenste Aufgabe der Richterschaft.
Auch glaube ich nicht, dass die Strukturierung mittels des Basisdokuments in allen Fällen sinn- und hilfreich ist - durchaus aber, dass es richtig eingesetzt in den passenden Fällen eine große Hilfe sein kann. Vor allem aber glaube ich, dass die Strukturierung des Parteivortrags alleine zu kurz greift. Er muss in eine Strukturierung des gesamten Verfahrens eingebunden sein, um wirksam zu werden. Die Forschungsgruppe wird sich aber auch mit diesem Thema befassen.
Der Diskussion über die ZPO-Reform fehlt es an allen Ecken und Enden an Empirie. Das Reallabor bietet eine Chance, das für das Basisdokument zu ändern. Und daher der Appell an alle Leserinnen und Leser: Wenn Sie im kommenden Jahr die Chance haben, sich am Reallabor zu beteiligen, dann tun Sie das bitte! Geben Sie sich als Richterinnen und Richter an den Testgerichten die Mühe, die Parteivertreter davon zu überzeugen, sich auf den Versuch einzulassen - vielleicht greifen Sie sogar zum Telefon? Und als Anwältin oder Anwalt - tun Sie bitte das Gleiche, holen Sie die Parteien mit ins Boot, wenn Sie mit einem Ihrer Verfahren bei einem Testgericht landen.
Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie auch auf zpoblog.de.
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