13. August 2021
streiTWert – 56 von 66 Insights
Fehler passieren und Druckfehler erst recht. Aber wer haftet, wenn eine Leserin aufgrund eines falschen Gesundheitstipps in einer Zeitung zu Schaden kommt? Haftet der Herausgeber der Zeitung verschuldensunabhängig nach den strengen Vorschriften des Produkthaftungsrechts, weil sein Produkt, die Zeitung, einen Fehler hatte? Trifft den Herausgeber also eine Garantiehaftung für etwaige „Informationsfehler“ in seiner Zeitung? Mit dieser Frage hat sich der EuGH nun in einem Vorlageverfahren aus Österreich befasst (Urteil vom 10. Juni 2021, C-65/20 – Krone). Sein Urteil wird zu Erleichterung in der Presselandschaft geführt haben.
Die Klägerin nahm den Zeitungsverlag wegen eines falschen Gesundheitstipps in der österreichischen „Kronen-Zeitung“ in Anspruch. Sie hatte auf einen Artikel vertraut, nach dem geriebener Kren (Meerrettich) bei Rheumaschmerzen helfe. Anstelle von „zwei bis fünf Minuten“ empfahl der Artikel jedoch fälschlicherweise, den Kren für „zwei bis fünf Stunden“ auf die Haut aufzutragen. Die Klägerin tat wie geheißen und hatte den Kren dementsprechend für etwa drei Stunden auf ihrem Fußgelenk belassen, was bei ihr zu einer Hautreaktion führte. Sie verlangte von dem Zeitungsverlag Schmerzensgeld. Nachdem ihre Klage in den ersten Instanzen erfolglos geblieben war, legte schließlich der Oberste Gerichtshof (Österreich) dem EuGH die Frage vor, ob ein Zeitungsverlag verschuldensunabhängig nach der Produkthaftungsrichtlinie (RL 85/374) für einen fehlerhaften Zeitungsartikel haften könne.
Der EuGH hat die Vorlagefrage verneint. Das Gericht prüfte, ob eine gedruckte Zeitung, die einen falschen Gesundheitstipp erteilt, ein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie sein kann. Nach Art. 2 der Richtlinie ist ein „Produkt“ jede bewegliche Sache sowie Elektrizität.
Der EuGH hielt zunächst fest, dass Dienstleistungen – wie also z.B. ein ärztlicher Rat oder eine Auskunft – nicht in den Anwendungsbereich der Produkthaftungsrichtlinie fallen. Der Wortlaut der Norm setze eine „bewegliche Sache“ voraus und sowohl die Systematik als auch die Erwägungsgründe der Richtlinie bestätigten dies.
Die Besonderheit lag hier jedoch darin, dass die Dienstleistung (der Gesundheitstipp) in eine körperliche Sache (die Zeitung) aufgenommen wurde. Der EuGH prüfte daher in einem weiteren Schritt, ob die Zeitung selbst durch den in ihr verkörperten falschen Gesundheitstipp fehlerhaft wurde. Der EuGH lehnte dies jedoch aus mehreren Gründen ab:
Nach alledem mache ein fehlerhafter Artikel eine Zeitung nicht zu einem fehlerhaften Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie.
Das Urteil des EuGH ist wenig überraschend, jede andere Entscheidung hätte allerdings dramatische Konsequenzen für die Printmedien, aber auch für Verleger von Sachbüchern usw. gehabt. Das Urteil überzeugt schon vor dem Hintergrund, dass bei einer falschen Empfehlung keine Verbindung zu einem Produkt besteht, selbst wenn sie in einem Produkt verkörpert sein sollte. Die strenge verschuldensunabhängige Produkthaftung kann nicht von dem Zufall abhängig sein, ob eine falsche Information etwa in einer gedruckten Zeitung oder lediglich über Radio oder Onlinemedien erteilt wird.
Das Urteil erinnert zugleich daran, dass nicht jeder Informationsfehler zugleich ein „Informationsfehler“ im Sinne des Produkthaftungsrechts ist. Im Produkthaftungsrecht wird mit einem Informationsfehler die unzureichende Aufklärung des Herstellers über die mit seinem Produkt verbundenen Risiken und die sichere Handhabung des Produkts in Bedienungsanleitungen oder der Kennzeichnung des Produktes beschrieben. Ein solcher Informationsfehler begründet nicht etwa einen Produktfehler der Bedienungsanleitung, sondern hat einen Produktfehler des Produkts selbst zur Folge. Denn infolge des Informationsfehlers bietet das Produkt nach seiner Darbietung (Bedienungsanleitung, Kennzeichnung etc.) gem. Art. 6 der Produkthaftungsrichtlinie nicht die Sicherheit, die ein Verbraucher berechtigter Weise erwarten darf.
Interessant ist das Urteil zudem für die Diskussion, ob Software zukünftig ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsrechts sein sollte. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei Software nicht um ein Produkt im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie, weil es sich nicht um ein körperliches Produkt handelt. Das Urteil des EuGH bestätigt diese Sicht nun. Etwas anderes gilt allerdings, wenn etwa ein Fehler in der Firmware eines Gerätes dazu führt, dass das Gerät selbst nicht mehr richtig funktioniert. Teilweise hat der Gesetzgeber Software zudem im Rahmen des öffentlichen Sicherheitsrechts ausdrücklich einem Produkt gleichgestellt, wie etwa in der seit Mai 2021 geltenden Medizinprodukte-Verordnung (Verordnung (EU) 2017/745, dort Art. 2 Nr. 1). Für die allgemeine Produkthaftung gilt dies jedoch nicht.
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