Autor

Dr. Lena Niehoff

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11. Oktober 2021

streiTWert – 42 von 57 Insights

OLG Frankfurt am Main: Keine Aufhebung eines Schiedsspruchs weil Schiedsgericht langsam arbeitet

  • Briefing

Parteien wählen Schiedsverfahren häufig auch deshalb, weil sie sich dadurch eine effiziente und schnelle(re) Streitbeilegung erhoffen. Gegen Schiedssprüche sind keine Rechtsmittel möglich und sie können nur in Ausnahmefällen aufgehoben werden. Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 17. Mai 2021, Az. 26 Sch 1/21) hatte sich nun mit der Frage zu befassen: Ist ein Schiedsspruch aufzuheben, wenn das Schiedsgericht für den Erlass des Schiedsspruches ein Jahr benötigt?

Sachverhalt

Das Schiedsverfahren betraf Schadensersatzansprüche wegen einer unterbliebenen Darlehensauskehrung. Die Parteien hatten sich in dem zugrundeliegenden Vertrag auf die Durchführung eines Ad hoc-Schiedsverfahrens geeinigt. Schiedsort war Frankfurt am Main. Die mündliche Verhandlung fand im November 2019 statt. Der Schiedsspruch wurde im November 2020 erlassen und die Schiedsbeklagte (die Antragstellerin) zu umfangreichen Schadensersatzzahlungen verurteilt.

Die Antragstellerin beantragte in der Folge die Aufhebung des Schiedsspruchs vor dem OLG Frankfurt am Main. Die Antragstellerin argumentierte, der Schiedsspruch verstoße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public und sei deshalb aufzuheben (§1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d ZPO). Konkret berief sich die Antragstellerin unter anderem darauf, dass der Schiedsspruch außerhalb der für ordentliche Gerichte regelmäßig bestehenden Dreiwochenfrist des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO erlassen wurde. Denn das Schiedsgericht hatte den Schiedsspruch erst ein Jahr nach der mündlichen Verhandlung erlassen.

Entscheidung

Das OLG Frankfurt am Main wies den Aufhebungsantrag ab und erklärte den Schiedsspruch für vollstreckbar. Der Schiedsspruch habe den verfahrensrechtlichen ordre public nicht verletzt. Das OLG führte aus:

  • Die Dreiwochenfrist des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO sei auf Ad hoc-Schiedsverfahren weder direkt noch analog anwendbar und die Parteien hätten die Anwendbarkeit der Norm auch nicht vereinbart.
  • Selbst wenn man § 310 ZPO anwenden wollte, würde dies nicht zwangsläufig zu einer Aufhebung des Schiedsspruchs führen. Denn der späte Erlass eines Schiedsspruchs betreffe beide Parteien in gleicher Weise. Es erscheine nicht gerechtfertigt, eine Aufhebungsmöglichkeit zu eröffnen, die typischerweise nur der unterlegenen Partei des Schiedsverfahrens zugutekomme. Auch sei es regelmäßig nicht aufklärbar, ob sich fehlende Erinnerungen der Schiedsrichter an die mündliche Verhandlung auf den Schiedsspruch ausgewirkt haben oder dies bei einem Schiedsspruch innerhalb der Frist nicht ebenso passiert wäre.
  • Die Parteien seien einer Verzögerung des Schiedsverfahrens im Übrigen auch nicht rechtsschutzlos ausgeliefert, sondern sie könnten das Schiedsrichteramt für beendet erklären lassen, wenn ein Schiedsrichter seine Aufgaben nicht in angemessener Frist erfülle.

Anmerkung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main überzeugt. Das OLG hat bestätigt, dass die Zeitspanne zwischen mündlicher Verhandlung und Erlass des Schiedsspruchs regelmäßig keinen Aufhebungsgrund darstellt. Das gilt für Ad hoc-Schiedsverfahren schon deshalb, weil die Dreiwochenfrist der ZPO keine Anwendung findet und es im 10. Buch der ZPO keine eigenständige Regelung dazu gibt.

Institutionelle Schiedsregelungen sehen zwar mitunter eine Frist für den Schiedsspruch vor. Beispielsweise soll nach Art. 37 DIS-Schiedsgerichtsordnung der Schiedsspruch in der Regel innerhalb von drei Monaten nach mündlicher Verhandlung an die DIS übermittelt werden. Verstöße gegen die Frist können durch Herabsetzung des Honorars des Schiedsrichters sanktioniert werden. Gleichwohl wird es der unterlegenen Partei nicht gelingen, aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 37 DIS-Schiedsgerichtsordnung die Aufhebung des Schiedsspruches zu erwirken. Auch in einem staatlichen Gerichtsverfahren würde ein Verstoß gegen die Dreiwochenfrist der ZPO nicht dazu führen, dass ein Urteil unwirksam wird.

Etwas anderes mag dann gelten, wenn die Parteien in ihrer Schiedsklausel oder der verfahrensleitenden Verfügung (procedural order) ausdrücklich eine verbindliche Frist für den Erlass des Schiedsspruches vereinbart haben. In einem solchen Fall wird die unterlegene Partei argumentieren, dass das Schiedsverfahren gegen eine Parteivereinbarung verstoßen hat (§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d ZPO). In der Schiedsklausel ist eine solche Frist jedoch nicht unbedingt zu empfehlen, weil bei Abschluss der Vereinbarung unklar ist, welche Streitigkeiten sich später ergeben können.


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