Autor

Matthias Swiderski, LL.M.

Senior Associate

Read More
Autor

Matthias Swiderski, LL.M.

Senior Associate

Read More

20. Januar 2023

streiTWert – 18 von 61 Insights

Betriebsschließungsversicherung: BGH sieht Versicherer in der Einstandspflicht

  • Briefing

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 18.01.2023 - IV ZR 465/21) hat entschieden, dass einem Versicherungsnehmer Ansprüche aus einer Betriebsschließungspolice wegen coronabedingter Betriebsschließung zustehen können. Nur auf den ersten Blick steht diese Entscheidung im Widerspruch zum Urteil des BGH aus dem Januar 2022 (BGH, Urteil vom 26.01.2022 - IV ZR 144/21) in dem Ansprüche des Versicherungsnehmers abgelehnt wurden.
Die maßgeblichen Erwägungen in der aktuellen Entscheidung betreffen dabei einen Aspekt, der auch außerhalb versicherungsvertraglicher Konstellationen von Bedeutung ist.

Sachverhalt

Eine Hotelbetreiberin konnte wegen der entsprechenden pandemiebedingten Allgemeinverfügungen des Landkreises, die es untersagten, Personen zu touristischen Zwecken in der Zeit vom 18. März bis zum 25. Mai 2020 (erster Lockdown) und ab dem 02. November 2020 (zweiter Lockdown) zu beherbergen, entsprechende Übernachtungen während der Lockdowns nicht anbieten. Sie begehrte auf Grundlage ihrer Betriebschließungspolice im Verfahren gegen den Versicherer aufgrund der teilweisen Einstellung des Hotelbetriebs während des ersten Lockdowns Entschädigungsleistungen sowie die Feststellung, dass der Versicherer verpflichtet ist, ihr den aus der erneuten Schließung ab dem 2. November 2020 entstandenen Schaden zu ersetzen.
Die in diesem Fall maßgeblichen "Bedingungen für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)" verwiesen dabei im Rahmen der Leistungsbeschreibung mehrfach auf §§ 6, 7 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) und die dort namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, allerdings ohne dabei eine bestimmte Gesetzesfassung des IfSG zu nennen.

Entscheidung

Der BGH stellte fest, dass die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen aus Sicht des Versicherungsnehmers mit Blick auf die Bezugnahme auf das IfSG mangels Angabe einer konkreten Gesetzesfassung oder eines Zeitpunkts einerseits eine Auslegung dahingehend zuließen, dass der Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles maßgeblich wäre.
Andererseits könne die Bezugnahme auch derart verstanden werden, dass es auf die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende Fassung der §§ 6 und 7 IfSG und die dort aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger ankomme.
Da die Krankheit COVID-19 und der Krankheitserreger SARS-CoV-2 erst mit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom seit dem 23. Mai 2020 im IfSG namentlich genannt werden, stehe der Versicherungsnehmerhin damit zwar für den ersten Lockdown eine Entschädigungsleistung nicht zu. Im Zeitpunkt der ersten Betriebsschließung durch die Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 fehlte es an der in den Versicherungsbedingungen vorausgesetzten namentlichen Nennung der Krankheit oder des Krankheitserregers in den §§ 6 und 7 IfSG.
Die von der Versicherungsnehmerhin begehrte Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers während des zweiten Lockdowns sei hingegen begründet, denn in Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB könne eine Beschränkung des Leistungsversprechens des Versicherers auf den Rechtszustand im Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu Lasten der Versicherungsnehmerin gerade nicht angenommen werden. Die Unklarheit der Vertragsbedingung gehe vielmehr zu Lasten des Verwenders. Auf Grund der Tatsache, dass zum Zeitpunkt der zweiten Betriebsschließung COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 im Katalog der §§ 6, 7 IfSG aufgeführt waren, erstrecke sich das Leistungsversprechen des Versicherers für den zweiten Lockdown auch auf ebenjene Krankheiten und Erreger.

Bedeutung

Wie bereits angemerkt, steht die aktuelle Entscheidung nicht im Widerspruch zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Januar des vergangenen Jahres. Dort hatte der BGH geurteilt, dass jedenfalls in den Fällen, in denen die Versicherungsbedingungen einen abschließenden Katalog meldepflichtiger Krankheiten beinhalten, der COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht aufführt, auch keine Leistungspflicht des Versicherers im Fall von coronabedingter Betriebsschließungen bestehe. Es kommt also – eine juristische Binsenweisheit – regelmäßig auf das konkrete Vertragswerk an.

Die jüngste Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist jedoch auch abseits des Themenfeldes „Betriebsschließungsversicherung“ von Interesse. Allgemeine Geschäftsbedingungen enthalten nicht selten Verweise auf gesetzliche Regelungen und Bestimmungen. Derartige Verweise beinhalten dabei häufig gerade keine eindeutige Bezugnahme auf eine bestimmte (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltende) Fassung der in Bezug genommenen gesetzlichen Regelung. Vor dem Hintergrund der Entscheidung des BGH könnte es sich – jedenfalls soweit ein solcher Verweis mittelbar das Leistungsversprechen des Klauselverwenders betrifft – anbieten zu prüfen, ob diese Praxis im konkreten Fall aufrechterhalten werden soll. Es besteht jedenfalls ein Risiko, dass es ohne entsprechende Konkretisierung zu einer „dynamischen“, den Leistungsumfang des Verwenders unter Umständen ausdehnenden, Auslegung kommt.

In dieser Serie

Technology, Media & Communications

AI product liability – moving ahead with a modernised legal regime

Katie Chandler, Philipp Behrendt and Christopher Bakier look at the EU's proposals to legislate for liability risks in AI products.

9. May 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Richtlinie über die Reparatur von Waren

13. April 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorsicht, Lerngefahr!

Beratung zur Streitvermeidung und Streitlösung

28. March 2023

von Dr. Frank Koch

Disputes & Investigations

BGH: Uneingeschränkte Kontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche

24. January 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bauproduktenverordnung – Es muss nachgebessert werden!

Hinweis zum Aufsatz von Christine Simon-Wiehl in Zeitschrift für Product Compliance (ZfPC) 05/2022, 198 ff.

13. January 2023

Disputes & Investigations

Gerichtsverhandlung per Videokonferenz soll Standard werden

13. December 2022

Disputes & Investigations

BGH zur Ausländersicherheit nach dem Brexit

9. December 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

Produktsicherheit & Produkthaftung

Entwurf der EU-Kommission für eine neue Produkthaftungsrichtlinie in der EU

Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 neben dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung ihren mit Spannung erwarteten Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Diese Neuerungen gibt es.

25. November 2022

von David Hilger, LL.M. (Bilbao)

Disputes & Investigations

Moderner streiten!

Experimente beim digitalen Zivilprozess sind schön und gut – doch es fehlt ein System

29. September 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

eCommerce & Marketplaces

eCommerce: Muss ein Händler stets über Herstellergarantien informieren? – EuGH mit klarem „Jein“

Unstrittig: Herstellergarantien können den Abverkauf von Waren erhöhen und zur Kundenbindung beitragen. Aber sind Online-Händler auch verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn es solche Garantien gibt?

5. October 2022

von Johannes Raue, Henry Richard Lauf

Disputes & Investigations

Der BGH und die Business Judgement Rule

streiTWert

19. May 2022

von Dr. Dirk Lorenz

Disputes & Investigations

Schmerzensgeld: BGH verwirft die sog. taggenaue Berechnung

streiTWert

5. May 2022

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

EU-Richtlinie über Verbandsklagen: Offene Fragen und Umsetzungsspielräume

streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten

18. November 2021

von Matthias Swiderski, LL.M.

Coronavirus

Wenn Corona dazwischenkommt: Wer bleibt auf den Kosten sitzen?

streiTWert – Entscheidung des LG Hamburg über Stornierungskosten bei Veranstaltungen

22. September 2021

von Donata Freiin von Enzberg, LL.M., Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK)

Disputes & Investigations

BGH: Wie viel Arzthaftung steckt in der Produkthaftung?

streiTWert

9. September 2021

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

BGH – Keine Verwechslungsgefahr bei der Firmenbezeichnung „partners“

streiTWert

23. August 2021

von Kolja Helms

Disputes & Investigations

EuGH: Keine Produkthaftung für falsche Gesundheitstipps in einer Zeitung

streiTWert

13. August 2021

von Dr. Lena Niehoff

Disputes & Investigations

Newsflash – Neues Produktsicherheitsgesetz in Kraft

streiTWert

5. August 2021

Disputes & Investigations

Neues aus Brüssel zu Lugano und Den Haag

streiTWert

28. July 2021

von Peter Bert, lic.oec.int.

Disputes & Investigations

Kommen die „Commercial Courts“ in Deutschland?

streiTWert

28. May 2021

von Jan Andresen

Disputes & Investigations

Die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO

streiTWert – Ein vielfach unterschätzter Kostenpunkt für im Ausland ansässige Klageparteien?

1. September 2021

von Frank J. Weck, LL.M.

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Disputes & Investigations

Staatliche Anti-COVID-19 Maßnahmen: Treibstoff für Investor-Staat-Schiedsverfahren?

streiTWert

7. April 2022
Briefing

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details
Disputes & Investigations

LG Frankfurt: Keine Haftung der BaFin für Verluste von Wirecard-Aktionären

streiTWert

24. Januar 2022
Briefing

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details
Disputes & Investigations

EU-Richtlinie über Verbandsklagen: Offene Fragen und Umsetzungsspielräume

streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten

18. November 2021
Briefing

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details