22. September 2021
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Zur Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 haben die einzelnen Bundesländer in der Vergangenheit zahlreiche Verordnungen erlassen. Danach waren die Durchführung von öffentlichen und nicht-öffentlichen Veranstaltungen in einigen Monaten grundsätzlich untersagt, was unter anderem zu einer Reihe von Stornierungen geplanter Veranstaltungen führte. So kündigte auch eine internationale Vereinigung ihren Vertrag mit einem Hamburger Hotel, in dem sie im Mai 2020 ihren Jahreskongress durchführen wollte. Taylor Wessing erstritt nun vor dem Landgericht Hamburg ein Urteil, wonach das Kostenrisiko bei Stornierung das Hotel als Veranstalter zu tragen hat.
Die Klägerin, eine internationale Organisation, deren Zweck die Förderung der Wissenschaft der Masseneigenschaften ist, plante für Mai 2020 die Durchführung ihrer Jahreskonferenz mit ca. 150 Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern. Die Beklagte, ein Hamburger Hotel, sollte hierfür nicht nur die Räumlichkeiten (Hotelzimmer und Konferenzräume) zur Verfügung stellen, sondern war auch für die logistische Organisation vor Ort samt Verpflegung verantwortlich. Die Klägerin überwies der Beklagten vorab die vereinbarte Anzahlung von einem Drittel des Gesamtpreises.
Im Zuge der sich ausbreitenden Corona-Pandemie erließ die Freie und Hansestadt Hamburg am 2. April 2020 die Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 („Eindämmungsverordnung“). Entsprechend der Eindämmungsverordnung wurden neben öffentlichen und nicht-öffentlichen Veranstaltungen auch die Beherbergung von Personen zu touristischen Zwecken untersagt. Eine Ausnahme des Veranstaltungsverbots war dabei nur für Veranstaltungen zum Zwecke der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG vorgesehen.
Die Klägerin trat daraufhin von dem Vertrag mit der Beklagten zurück und forderte sie zur Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auf. Die Beklagte behauptete, bei der Jahreskonferenz handele es sich um eine Veranstaltung zum Zwecke der Berufsausübung, die von dem Veranstaltungsverbot der Eindämmungsverordnung ausgenommen sei. Sie verweigerte daher die Rückzahlung der Anzahlung und machte im Wege der Widerklage gleichzeitig den restlichen Zahlungsanspruch geltend.
Das Landgericht Hamburg hat dem Rückzahlungsanspruch der Klägerin zugesprochen und die Widerklage abgewiesen. Es bestätigte die Auffassung der Klägerin, wonach der Beklagten die Erbringung der vertraglich geschuldeten Leistung infolge des Erlasses der Eindämmungsverordnung vollständig rechtlich unmöglich geworden war. Dies sei immer dann anzunehmen, wenn der geschuldete Erfolg zwar theoretisch noch herbeigeführt werden könnte, dafür aber gegen die Rechtsordnung, wie hier die Eindämmungsverordnung, verstoßen würde.
Die Anwendbarkeit der Ausnahmevorschrift, wonach Veranstaltungen zum Zwecke der Berufsausübung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG möglich waren, lehnte das Gericht in diesem Fall ab. In Anlehnung an den Beschluss des VG Bremen vom 27. August 2020 (5 V 167/20) und des FG Hamburg (Urteil vom 23.08.2005 – VII 135/04) bestätigte das Gericht die Rechtsauffassung der Klägerin, wonach bereits nach dem Sinn und Zweck der Eindämmungsverordnung, die Kontakte zum Schutz der Bevölkerung weitestgehend einschränken sollte, eine enge Auslegung der Ausnahmevorschrift geboten ist. Das Gericht betonte, dass nur solche Tätigkeiten ausnahmsweise erlaubt sein sollen, die der unmittelbaren Ausübung des Berufs dienen. Hierunter fällt zum Beispiel die Arbeit in großen Produktionshallen. Weist die Veranstaltung hingegen nur einen beruflichen Kontext auf, ohne dass die Anwesenden aber ihrer beruflichen Tätigkeit unmittelbar nachkommen, so fallen derartige Zusammenkünfte nicht unter die Ausnahmevorschrift und waren im Sinne des Gesundheitsschutzes verboten.
Der Fall hat gezeigt, dass die Corona-Eindämmungsverordnungen der einzelnen Bundesländer – bedingt durch die Eilbedürftigkeit ihres Erlasses – in großen Teilen unpräzise und lückenhaft formuliert wurden. Naturgemäß birgt dies eine erhebliche Streitanfälligkeit. Zudem ist stets genau auf die konkrete Fallkonstellation zu achten. Hier war für das Ergebnis entscheidend, dass die Beklagte ihre Räumlichkeiten nicht nur zur Übernachtung für die Besucher einer externen Veranstaltung zur Verfügung gestellt hat, sondern vielmehr als Veranstalter für die gesamte organisatorische Durchführung der Jahrestagung vor Ort verantwortlich war. Darf die Veranstaltung aufgrund behördlicher Untersagung nicht stattfinden, hat dann das Hotel als Veranstalter das Risiko zu tragen. Die Gäste können sich auf Unmöglichkeit der geschuldeten Leistung berufen und eine Rückabwicklung des Vertrages verlangen. Anders wäre dies gewesen, wenn die Veranstaltung selbst in einer anderen Location stattgefunden und das Hotel lediglich der Beherbergung gedient hätte.
In der konkreten Konstellation ist der Entscheidung des Landgerichts zuzustimmen. Die Durchführung einer Veranstaltung mit gut 150 internationalen Teilnehmern zum fachlichen Austausch zu einer Zeit, zu welcher sich das gesamte Land im strikten Lockdown befand, kann nicht als Veranstaltung „zum Zwecke der Berufsausübung“ qualifiziert werden. Die enge Ausnahmeregelung diente der Aufrechterhaltung der Produktion und ähnlich wichtigen Arbeitsvorgängen in Unternehmen, nicht aber dem aufschiebbaren Wissensaustausch im Rahmen einer Konferenz.
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