Autor
Matthias Swiderski

Matthias Swiderski, LL.M.

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7. April 2022

streiTWert – 33 von 55 Insights

Staatliche Anti-COVID-19 Maßnahmen: Treibstoff für Investor-Staat-Schiedsverfahren?

  • Briefing

Seit Ausbruch der COVID-19 Pandemie haben Staaten auf der ganzen Welt diverse und teilweise sehr einschneidende Maßnahmen getroffen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen und die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen. In Deutschland sind u.a. Ein- und Ausreisebeschränkungen getroffen sowie Hygiene- und Schutzregeln verabschiedet worden. Ferner wurden bestimmte gesetzliche Pflichten (wie z.B. die Insolvenzantragspflicht) ausgesetzt, Steuersätze angepasst und Verbote für Wirtschaftszweige verhängt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob derartige staatliche Maßnahmen von betroffenen Wirtschaftsakteuren als Grundlage für Entschädigungsforderungen herangezogenen werden könnten. Um es vorweg zu nehmen: Gerade im Kontext des Investitionsschutzes und hierauf basierender Investor-Staat-Schiedsverfahren („ISDS“) scheint dies nicht unwahrscheinlich, wie bereits die ersten Fälle zeigen.

Keine Entschädigungen nach nationalem Recht

Die vorgenannten Verbote für Wirtschaftszweige, bei denen der jeweilige Gesetzgeber von einem besonders hohen Infektionsrisiko ausgeht, führen zum Teil zu existenzbedrohenden wirtschaftlichen Nachteilen. Entsprechend haben sich die nationalen Gerichte bereits mehrfach mit der Frage befasst, ob den von staatlichen Anti-COVID-Maßnahmen betroffenen Wirtschaftsakteuren Entschädigungsansprüche zustehen. Zuletzt hatte der BGH mit Urteil vom 17. März 2022 (zum Az.: III ZR 79/21) entschieden, dass einem Gastronomen und Hotelier eine Entschädigung weder aus dem Infektionsschutzgesetz noch aus den Vorschriften zur Amtshaftung nach einem verbindlich angeordneten Corona-Lockdown zusteht. Zuvor hatten auch die Landgerichte Hannover, Berlin und Heilbronn über Klagen sowie Anträge im einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden, in denen Entschädigungsansprüche gegen die jeweiligen Bundesländer in Zusammenhang mit COVID-bedingten Betriebsschließungen geltend gemacht wurden. Soweit ersichtlich, wurden derartige Verfahren – gerichtet auf den Ersatz von Verdienstausfall bzw. entgangenen Gewinn – bislang jedenfalls erfolglos durchgeführt. Die Gerichte wiesen die Klagen insbesondere mit der Begründung ab, dass kein „unzumutbares Sonderopfer“ vorliege bzw. keine gesetzliche Grundlage für einen derartigen Entschädigungsanspruch bestehe.

Entschädigungsverfahren auf der Grundlage von Investitionsschutzabkommen?

Während sich die Prüfung der ordentlichen Gerichte in Bezug auf Entschädigungsansprüche bisher auf nationale Sachverhalte beschränkt hat, könnten sich ausländische Investoren gegenüber staatlichen Anti-COVID-19 Maßnahmen dazu veranlasst sehen, Schiedsgerichte im Rahmen sog. Investor-Staat-Schiedsverfahren um Rechtsschutz – und damit um Entschädigungszahlungen – zu ersuchen. Je nach Investitionsschutzabkommen hätte ein Schiedsgericht in der Regel zu prüfen, ob die konkret angegriffene Anti-COVID-Maßnahme eine unbillige und ungerechte Behandlung gegenüber dem ausländischen Investor darstellt oder ob sie ihn gegenüber inländischen Investoren diskriminiert. Entschädigungspflichtig sind ferner auch Maßnahmen, durch die ausländische Investoren (indirekt) enteignet werden.  

Im Hinblick auf den vorgenannten Prüfungsumfang sind diverse Beispiele denkbar, in denen sich ein ausländischer Investor aufgrund einer staatlichen Corona-Maßnahme für die Einleitung eines Investor-Staat-Schiedsverfahren entscheiden könnte.

Denkbar wäre ein solches Schiedsverfahren zum Beispiel im Hinblick auf Ein- und Ausreisebeschränkungen. Diese könnten für ausländische Investoren im Transport- und/oder Beförderungssektor zu erheblichen finanziellen Verlusten führen. So könnten einem ausländischen Investor durch diese Form der Beschränkung faktisch die Abnehmer für seine Leistungen verloren gehen und er sich ggf. sogar Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sehen. Ob und inwieweit diese Umsatzeinbußen tatsächlich auf staatliche Anti-COVID-19 Maßnahmen – wie Ein- und Ausreisebeschränkungen – zurückzuführen sind und ob diese eine unbillige sowie ungerechte Behandlung unter einem Investitionsschutzabkommen darstellen, kann freilich nicht allgemein beantwortet werden. Bei der Beurteilung entsprechender Sachverhalte und Fragen sind zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen, z.B. ob sich bestimme Beschränkungen zielgerichtet gegen nur einen oder einige wenige ausländische Akteure richten, ob die Folgen der erlassenen Bestimmungen ggf. nur ein mittelbarer Effekt sind oder inwieweit derartigen Maßnahmen ein willkürliches Element beiwohnt.

Ein weiteres Szenario könnten staatliche Maßnahmen sein, mit denen die Wasser-, Gas- und Stromversorgung sichergestellt werden soll – und zwar unabhängig davon, ob die Bürger oder Bürgerinnen zeitweise ihre Rechnungen bezahlt haben. Ferner könnte auch die „Beschlagnahme“ medizinischer Ausrüstung eine entschädigungspflichtige (indirekte) Enteignung im Sinne eines bilateralen Investitionsschutzabkommens (kurz „BIT“) darstellen. Ein praktisches Beispiel in diesem Zusammenhang wäre der Exportstopp von Atemschutzmasken und Schutzkleidung. Schließlich sei an dieser Stelle auch auf die COVID-bedingten Hygiene- und Schutzregeln hingewiesen. Auch diese könnten zum Anknüpfungspunkt von Entschädigungsansprüchen ausländischer Investoren gemacht werden. Gerade der Gastronomiebereich hat erheblich mit derartigen staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Krise zu kämpfen. So hätten u.a. Filialschließungen bei der weltgrößten Café-Kette Starbucks innerhalb von drei Monaten bis Ende Juni 2020 zu Verkaufseinbußen von rund 578 Millionen Euro geführt. Ein ähnliches Bild zeichnet sich für den weltgrößten Fast-Food-Konzern McDonald´s ab, bei dem im zweiten Quartal des Jahres 2020 die Erlöse um gut 30 Prozent fielen.

Bereits erste Investor-Staats-Schiedsverfahren eingeleitet

Es existieren auch erste konkrete Beispiele für pandemiebedingte Entschädigungsverfahren: So wurde im September 2021 ein Verfahren gegen Peru (ICSID Case No. ARB/21/45) im Zusammenhang mit einem im Mai 2020 verabschiedeten Gesetz eingeleitet, das die Erhebung von Mautgebühren in einem an private Betreiber konzessionierten Straßennetz während des Ausnahmezustands aufgrund von COVID-19 aussetzte.

Auch Chile sieht sich nun als beklagter Staat Entschädigungsforderungen ausgesetzt, nachdem im August 2021 ein Verfahren auf Basis des chilenisch-französischem BIT bei der ICSID eingeleitet wurde (ICSID Case No. ARB/21/40). In diesem Verfahren geht es um Schadenersatzforderungen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Flughäfen; in Streit stehen dabei wohl unter anderem auch Hygienemaßnahmen zum Schutz vor der Verbreitung von COVID-19 auf chilenischen Flughäfen sowie die wiederholte Weigerung Chiles, einen Betreiber-Vertrag neu auszuhandeln. Dies wäre aus Sicht der Investoren aufgrund der durch die Pandemie veränderten Umstände und der langen Laufzeit für die Wiederherstellung des Äquivalenzverhältnisses notwendig gewesen.

Mögliche Einwände im Rahmen eines Investor-Staat-Schiedsverfahrens

Die Frage mit welchen Argumenten sich Staaten gegen derartige Entschädigungsklagen ausländischer Investoren in Millionen- bzw. Milliardenhöhe verteidigen könnten, dürfte gerade vor dem Hintergrund der Bewahrung staatlicher Handlungshoheit und durch die Pandemie angespannter Haushaltssituationen von Staaten von zentraler Bedeutung sein.

Gegen entsprechende Investitionsschutzklagen sind die Staaten grundsätzlich nicht völlig schutzlos. Zunächst enthalten Investitionsschutzverträge häufig selbst Ausnahme- bzw. Rechtfertigungsgründe. Danach könnten staatliche COVID-19-Maßnahmen z.B. dann als gerechtfertigt angesehen werden, wenn sie aus wesentlichen Sicherheitsgründen, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Menschen getroffen werden. Gerade im Fall einer globalen Pandemie mit derart massiven Auswirkungen, wie sie zuletzt der Fall waren, besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass solche – auf den Bevölkerungsschutz gerichtete – vertragliche Ausnahmen greifen könnten. Voraussetzung wäre dabei allerdings, dass derartige Bestimmungen überhaupt auch im operativen Teil eines Investitionsschutzvertrages beinhaltet sind.

Darüber hinaus können sich Staaten auch auf (allgemeinere) völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze und Rechtsinstitute wie z.B. höhere Gewalt berufen. Auch die sog. Police-Powers-Doktrin, der zufolge ein Staat das inhärente Recht hat, zum Schutz des öffentlichen Interesses Vorschriften zu erlassen und jedenfalls dann nicht rechtswidrig handelt, wenn er in Ausübung dieser Befugnis gutgläubige, nichtdiskriminierende und verhältnismäßige Vorschriften in Übereinstimmung mit einem ordnungsgemäßen Verfahren erlässt. Diese Doktrin wurde nicht nur in historischen Fällen angenommen, auch in „modernen“ Verfahren haben Schiedsgerichte sie bereits diskutiert, so z.B. in einem Verfahren gegen Mexiko (ICSID Case No. ARB (AF)/00/2).

Die International Law Commission’s Articles (ILC) on State Responsibility sehen weiterhin in Art. 25 den Rechtfertigungsgrund der “necessity” vor: Ein Staat kann sich danach bei Ergreifen einer Maßnahme, die gegen eine internationale Verpflichtung verstößt, auf diesen Rechtfertigungsgrund berufen, indem er nachweist, dass die streitgegenständliche Maßnahme die einzige Möglichkeit war, ein wesentliches Interesse des Staates vor einer schweren und unmittelbar bevorstehenden Gefahr zu schützen. Angesichts des Ausmaßes der COVID19-Pandemie erscheint es jedenfalls nicht unwahrscheinlich, dass die Anforderungen, die an die Gefahr gestellt werden müssen, erfüllt oder sogar „überschritten“ ist.

Eine weitere Möglichkeit für Staaten, sich Ansprüchen ausländischer Investoren zu entziehen, könnte darin bestehen, eine zwischenstaatliche Vereinbarung zur Aussetzung solcher Entschädigungsansprüche gegenüber COVID-19-Maßnahmen zu treffen. Einen Vorschlag für eine solche Vereinbarung hat das International Institute for Sustainable Development gemacht und entsprechende Konsultationen vorangetrieben.

Ausblick

Staaten auf der ganzen Welt ergreifen außergewöhnliche Maßnahmen, um die Verbreitung von COVID-19 zu verhindern. Sicher ist, dass einige dieser Maßnahmen Investor-Staat-Schiedsgerichte beschäftigen werden oder sogar bereits beschäftigen. Der ganz große „Run“ scheint allerdings auszubleiben. Dies mag auch daran liegen, dass einige Staaten, z.B. Südafrika, Indonesien und Indien in jüngster Vergangenheit ihrer bilateralen Investitionsabkommen gekündigt haben. Darüber hinaus haben erst kürzlich 23 EU-Mitgliedstaaten einen Vertrag unterzeichnet, durch den rund 130 bilaterale Verträge zwischen ihnen beendet worden sind. Wie dies in den größeren Kontext der in den letzten Jahren verstärkt geführten öffentlichen Diskussion über die grundsätzliche Bedeutung und Berechtigung von ISDS einzuordnen ist, wird sich zeigen müssen. Die Signalwirkung in und für die öffentlichen Diskussion, die von entsprechenden Schiedsentscheidungen im Kontext von hoheitlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung und dem Gesundheitsschutz, ausgehen wird, ist allerdings nicht zu unterschätzen.

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