17. Mai 2021
streiTWert – 72 von 73 Insights
Mit dem Schlagwort „Commercial Courts“ werden spezialisierte staatliche Gerichte für größere, auch internationale wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten beschrieben. Sie standen am 26. März 2021 auf Antrag von Nordrhein-Westfalen und Hamburg mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten auf der Tagesordnung des Bundesrates. Justizsenatorin Gallina (Grüne) aus Hamburg und Justizminister Biesenbach (CDU) aus Nordrhein-Westfalen hielten weitgehend gleichlautende Reden, danach wurde der Gesetzentwurf in die Ausschüsse verwiesen. Am vergangenen Freitag hat der Bundesrat den Entwurf nun beschlossen und ihn gemäß Artikel 76 Abs. 1 GG beim Deutschen Bundestag eingebracht.
Der Gesetzesantrag übernimmt die Regelungen des am 2. März 2018 im Bundesrat beschlossenen Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen. Zählt man die vorhergehenden Anläufe der Jahre 2010 und 2014 mit, ein Gesetz zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen auf den Weg zu bringen, handelt es sich um den vierten Versuch, in Deutschland „Commercial Courts“ einzuführen. Der aktuelle Gesetzentwurf hat also eine Vorgeschichte, die mehr als zehn Jahre zurückreicht: Schon 2010 waren „Commercial Courts“ oder Kammern für internationale Handelssachen ein Thema. Sie sollten die deutsche Justiz für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver machen und insbesondere Verfahren in englischer Sprache ermöglichen.
2010 startete in Nordrhein-Westfalen ein Modellversuch mit englischsprachigen Zivilkammern an den Landgerichten Aachen, Bonn und Köln. Das Angebot fand in der juristischen Fachöffentlichkeit einige Aufmerksamkeit, traf aber in der Praxis auf eine äußerst überschaubare Nachfrage. Im gleichen Jahr legten Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen einen ersten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen vor.
Der heraufziehende Brexit gab dem Thema wieder neuen Schwung, so wurde ein „Düsseldorf Commercial Court‘ als Antwort auf den Brexit“ vorgeschlagen. Der Gesetzgeber handelte bislang aber nicht, die Initiativen gingen von der Justiz(verwaltung) aus, so 2018 in Frankfurt und Hamburg mit der Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen und zuletzt in Baden-Württemberg, wo im Oktober 2020 die „Commercial Courts“ von Stuttgart und Mannheim an den Start gingen – das bisher ambitionierteste dieser Projekte.
Andere Rechtsordnungen schritten voran, insbesondere die Niederlande mit dem Netherlands Commercial Court in Amsterdam und Frankreich mit der International Chamber of the Paris Commercial Court. London wird in seine Stellung nicht kampflos ausgeben und bewirbt seinen Business Court und das Rolls Building als „the centre of international dispute resolution“.
Der letzte Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen ist in dem am 7. Mai 2021 beschlossenen Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten aufgegangen. Bei den Gesetzentwürfen zu den Kammern für internationale Handelssachen bei den Landgerichten stand stets die Möglichkeit im Vordergrund, Verfahren in englischer Sprache zu führen. Der neue Entwurf hat einen weiteren Ansatz.
Der Bundesrat beginnt seinen Gesetzesentwurf mit der Aussage, dass das deutsche Recht und die deutsche Justiz international anerkannt seien, um dann festzustellen:
„Der Wandel der Lebensverhältnisse, insbesondere die zunehmende Globalisierung, die wachsende Komplexität der Rechtsbeziehungen sowie die veränderten Erwartungen der Rechtssuchenden an die Justiz erfordern jedoch Anpassungen des Gerichtsverfassungs- und Prozessrechts, um auch künftig die hohe Qualität und Attraktivität der Ziviljustiz insbesondere in Wirtschaftsstreitverfahren zu sichern und ein zunehmendes Abwandern wirtschaftlich bedeutsamer Rechtsmaterien in andere Rechtskreise oder die Schiedsgerichtsbarkeit zu vermeiden.“
Die Wettbewerber sind also klar benannt. Der neue Gesetzentwurf greift über die englische Sprache hinaus, um die staatliche Gerichtsbarkeit auf Augenhöhe, insbesondere mit der als Wettbewerberin gesehenen Schiedsgerichtsbarkeit, zu bringen:
Sind nun aller guten Dinge vier, und klappt es in diesem Anlauf mit den Kammern für internationale Handelssachen und den „Commercial Courts“? Zunächst bleibt abzuwarten, ob der Bundestag sich anders als in den vorhergegangenen Anläufen mit dem Gesetzesentwurf befasst. Angesichts des nahenden Endes der Legislaturperiode ist die Zeit knapp, und die Liste der Themen, die noch den Weg ins Bundesgesetzblatt finden soll, lang.
Nimmt man die zurückhaltenden Ausführungen von Gabriele Nieradzik, der zuständigen Ministerialdirektorin im BMJV, während eines Symposiums zu den Commercial Courts in Baden-Württemberg vom 27. Januar 2021 (in voller Länge auf Youtube; z.B. ab 1:54:10) als Anhaltspunkt, dann scheint das Thema im BMJV nicht allzu hohe Priorität zu genießen. Es wird also eher auf die Koalitionsvereinbarung der künftigen Bundesregierung und auf das politische Programm der nächsten Bundesjustizministerin zu warten sein
Darin liegt aber vielleicht auch eine Chance: So sehr ich grundsätzlich „Commercial Courts“ begrüße, so hielte ich es für wünschenswert, wenn sich der Gesetzgeber noch stärker dafür interessierte, was denn die Parteien und die Parteivertreter brauchen, um sich für die Commercial Courts in Deutschland zu entscheiden.
Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie ebenfalls unter www.zpoblog.de
16. September 2025
22. August 2025
von Johannes Raue
11. Juli 2025
23. Mai 2025
von mehreren Autoren
14. Januar 2025
14. November 2024
von mehreren Autoren
7. Oktober 2024
25. Juni 2024
3. Mai 2024
Current framework and future developments
20. März 2024
von Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK), Dr. Philipp Behrendt, LL.M. (UNSW)
23. Februar 2024
1. Februar 2024
1. Februar 2024
15. November 2023
19. Oktober 2023
25. Mai 2023
von Johannes Raue
Katie Chandler, Philipp Behrendt and Christopher Bakier look at the EU's proposals to legislate for liability risks in AI products.
9. Mai 2023
von mehreren Autoren
2. Mai 2023
von Johannes Raue
13. April 2023
von mehreren Autoren
Beratung zur Streitvermeidung und Streitlösung
28. März 2023
von Dr. Frank Koch
27. Januar 2023
24. Januar 2023
20. Januar 2023
Hinweis zum Aufsatz von Christine Simon-Wiehl in Zeitschrift für Product Compliance (ZfPC) 05/2022, 198 ff.
13. Januar 2023
13. Dezember 2022
Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 neben dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung ihren mit Spannung erwarteten Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Diese Neuerungen gibt es.
25. November 2022
Experimente beim digitalen Zivilprozess sind schön und gut – doch es fehlt ein System
29. September 2022
22. September 2022
24. August 2022
22. August 2022
von Dr. Lena Niehoff
Unstrittig: Herstellergarantien können den Abverkauf von Waren erhöhen und zur Kundenbindung beitragen. Aber sind Online-Händler auch verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn es solche Garantien gibt?
5. Oktober 2022
7. Juli 2022
streiTWert
30. Juni 2022
von Johannes Raue
13. Juni 2022
streiTWert
9. Juni 2022
von Harald Bechteler
streiTWert
5. Mai 2022
22. April 2022
13. April 2022
streiTWert
7. April 2022
streiTWert
31. März 2022
streiTWert
16. Februar 2022
streiTWert
24. Januar 2022
streiTWert
7. Dezember 2021
streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten
18. November 2021
streiTWert – Entscheidung des LG Hamburg über Stornierungskosten bei Veranstaltungen
22. September 2021
von Donata Freiin von Enzberg, LL.M., Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK)
streiTWert
11. Oktober 2021
von Dr. Lena Niehoff
streiTWert
13. September 2021
streiTWert
9. September 2021
streiTWert
27. August 2021
streiTWert
23. August 2021
streiTWert
13. August 2021
von Dr. Lena Niehoff
streiTWert
5. August 2021
streiTWert
15. Juli 2021
streiTWert
8. Juli 2021
von Harald Bechteler
streiTWert
2. Juni 2021
streiTWert
8. Juni 2021
streiTWert
21. Mai 2021
streiTWert
17. Mai 2021
streiTWert – Ein vielfach unterschätzter Kostenpunkt für im Ausland ansässige Klageparteien?
1. September 2021
von mehreren Autoren