28. Juli 2021
streiTWert – 58 von 66 Insights
Auf dem Gebiet des Internationalen Zivilprozessrechts setzte die Europäische Kommission in diesem Monat einige angekündigte Schritte um. Das betraf zum einen die formell noch offene Frage des Beitritts des Vereinigten Königreiches zum Luganer Abkommen, also die Brexit-Vergangenheitsbewältigung, zum anderen, in die Zukunft gerichtet, das Haager Anerkennungs‐ und Vollstreckungsübereinkommen von 2019.
Anfang dieses Monats teilte das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten förmlich mit, was alle erwartet hatten (lesen Sie hierzu auch diesen Artikel von Peter Bert auf zpoblog.de), nämlich das endgültige Nein der Europäischen Union zu einem britischen Beitritt zum Luganer Abkommen.
„With reference to its notification of 14 April 2020, the depositary informs that, by communication received on 28 June 2021, the European Union notified not to be in a position to give its consent to invite the United Kingdom to accede to the Lugano Convention (see enclosed note verbale of 22 June 2021).“
Die „Note verbale“ der Europäischen Kommission begründet diese Entscheidung nicht weiter. Die EU-Kommission hatte in ihrer „Bewertung des Ersuchens des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland um Beitritt zum Lugano-Übereinkommen von 2007“ ausgeführt:
„Für die Europäische Union ist das Lugano-Übereinkommen eine flankierende Maßnahme zum Binnenmarkt im Kontext der Beziehungen zwischen der EU und den EFTA-/EWR-Staaten. Im Verhältnis zu allen übrigen Drittstaaten besteht die konsequente Politik der Europäischen Union darin, die Zusammenarbeit im Rahmen der multilateralen Haager Übereinkommen zu fördern. Das Vereinigte Königreich ist ein Drittstaat ohne besondere Verbindung zum Binnenmarkt. Für die Europäische Union besteht deshalb kein Grund, im Verhältnis zum Vereinigten Königreich von ihrem allgemeinen Ansatz abzuweichen.“
In ihrer Bewertung des Beitrittsersuchens vom 4. Mai 2021 hatte die Kommission angekündigt, in naher Zukunft den Abschluss des Haager Anerkennungs‐ und Vollstreckungsübereinkommens von 2019 (Judgments Convention) durch die EU vorzuschlagen. Das ist mit dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Beitritt der Europäischen Union zum Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. Juli 2021 geschehen.
In ihrem Vorschlag berichtet die Kommission über die Konsultationen, die der Entscheidung für die Beitrittsempfehlung vorangingen. Diese hätten ergeben,
„dass der Beitritt zum Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen sowohl von den Mitgliedstaaten als auch von der weit überwiegenden Mehrheit der Interessenträger (zum Beispiel von Angehörigen der Rechtsberufe, Unternehmen, Anwalts- und Gerichtsvollzieherkammern, Wissenschaftlern) befürwortet wird.“
Die Kommission teilt weiter mit, dass sie für ihre Folgenabschätzung unterstellt habe, dass acht ausgewählte Drittstaaten dem Übereinkommen beitreten würden. Die ausgewählten Drittstaaten waren Australien, Argentinien, Brasilien, Kanada, China, Japan, Südkorea und USA. Ein Beitritt der USA hätte in der Tat, angesichts der intensiven Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und den USA und der schieren Größe der USA, einen enormen Effekt.
Allerdings erscheint gerade deren Beitritt eher unwahrscheinlich. Ted Folkman, der auf „Letters Blogatory“ die Judgments Convention aus US-amerikanischer Sicht verfolgt, bleibt skeptisch, was deren Beitritt angeht, zumal die USA bisher noch nicht einmal das weniger weitreichende Haager Gerichtsstandsübereinkommen ratifiziert haben:
„What are the barriers to US action? There is the general dysfunction in the Senate, of course, and the general dislike of treaties among many Republicans. Also, perhaps the Biden administration’s agenda has a lot of higher-priority items. But there is another issue, namely, the issue of the roles of federal versus state law in judgment enforcement. This was an important reason why the United States was unable—at least until now—to ratify the more modest Convention on Choice of Court Agreements.
Eine realistische Folgenabschätzung durch die Kommission hätte die USA meines Erachtens nicht einbeziehen dürfen.
Der Vorschlag der Kommission diskutiert kurz die verschiedenen Erklärungen, die Vertragsstaaten nach Artikel 18 und 19 des Abkommens abgeben können, um dessen Anwendungsbereich für ihr Gebiet einzuschränken. Die Kommission spricht sich dafür aus, die Anerkennung und Vollstreckung von in Drittstaaten ergangenen Entscheidungen, die die gewerbliche Miete oder Pacht von in der EU belegenen unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, auszuschließen.
Auch dieses Mal wäre Dänemark nicht dabei. Tritt die EU bei, so umfasst der Begriff „Europäische Union“ nicht das Königreich Dänemark (siehe Artikel 1 und Artikel 2 des dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls Nr. 22 über die Position Dänemarks).
Unterdessen gewöhnt sich die Praxis an die Post-Brexit-Regeln und behandelt das Vereinigte Königreich als Drittstaat. Das musste ein ehemaliger deutscher Tennisspieler mit Wohnsitz in London erfahren. In seinem Rechtsstreit mit einem deutschen „Fernsehmoderator“ verpflichtete ihn das Landgericht Offenburg zur Sicherheitsleistung nach § 110 ZPO (Zwischenurteil vom 11. Mai 2021 – 2 O 20/21). Auch sein Einwand, er sei deutscher Staatsbürger und in Deutschland sei gegen ihn kein Insolvenzverfahren anhängig, half ihm nicht weiter. Die Staatsbürgerschaft und die Vermögensverhältnisse des Klägers seien für die Stellung der Prozesskostensicherheit irrelevant; entscheidend sei alleine, dass der Klägerin seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht mehr in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union hat.
Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie auch auf zpoblog.de.
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