27. August 2021
streiTWert – 54 von 66 Insights
Wird die Erhebung einer Klage an den Zivilgerichten bald unkompliziert online erfolgen können? In einer Pressemitteilung vom 16. August 2021 teilt das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz mit, dass es in Kooperation mit Tech4Germany das Projekt „Digitale Klagewege“ gestartet hat. Im Rahmen dieses Projektes soll innerhalb weniger Wochen der Prototyp für ein Tool entwickelt werden, mit dessen Hilfe Ansprüche online und direkt bei den Gerichten geltend gemacht werden können.
Hintergrund der Entwicklung sind laut der Pressemitteilung die Ergebnisse von Umfragen, wonach bei Beträgen unter 2.000 Euro vielen Menschen der Aufwand und das Kostenrisiko der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Ansprüche zu hoch erscheint und die zur Verfügung stehenden Wege der Klageerhebung als umständlich empfunden würden. Gleichzeitig soll es das zu schaffende Tool Gerichten ermöglichen, gleichgelagerte Verfahren, die in größerer Zahl auftreten und eine gewisse Routineprüfung erfordern, effizienter und schneller zu bearbeiten. Zunächst sollen mietrechtliche Ansprüche die Vorlage für die Entwicklung des Tools bilden.
Unterstützt wird das Projekt nicht nur seitens des BMJV, vielmehr werden die Produktentwickler von Tech4Germany auch von Experten aus der Berliner Gerichtspraxis beraten. Leider bleibt im Rahmen der Pressemitteilung unklar, ob auch die Anwaltschaft mit Rat und Tat zur Seite steht. Dies wäre schon deswegen wünschenswert, um auch die Perspektive derjenigen miteinfließen zu lassen, deren tägliches „Handwerk“ bisher die Einreichung von Klagen als Interessenvertreter ihrer Mandanten ist. Auch für eine zukünftige Skalierbarkeit des Tools auf andere Rechtsgebiete und Fallgruppen könnte die Fachkenntnis der Anwältinnen und Anwälte wichtig sein.
Die Initiative des BMJV ist grundsätzlich begrüßenswert. Der Stand der Digitalisierung in der Justiz scheint nicht nur aus Sicht der Rechtssuchenden verbesserungswürdig. Als Beispiel sei an dieser Stelle nur auf die praktische Nutzung der Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung nach § 128a ZPO verwiesen, die in ihrer jetzigen Form zwar schon seit fast 20 Jahren in der ZPO vorgesehen, an einigen Gerichten aber bis heute mangels technischer Ausstattung nicht möglich ist. Auch die Odyssee bei der Einführung des elektronischen Anwaltspostfachs und der elektronischen Gerichtsakte (letztere wird flächendeckend erst bis zum Jahr 2026 eingeführt) zeigt den Nachholbedarf und status quo auf diesem Gebiet.
Vor diesem Hintergrund ist zu hoffen, dass der Anstoß in Richtung mehr Digitalisierung in der Justiz nicht nur ein „Papiertiger“ bzw. eine Machbarkeitsstudie ist. Es bleiben jedoch leise Zweifel, da für die Einführung eines solches Tools nicht nur die Entwicklung einer Software, sondern auch entsprechende Weichenstellungen im gesetzlichen Rahmen notwendig sind. Das Beispiel der elektronischen Gerichtsakte zeigt, dass die Einführung neuer Mechanismen ein langwieriger Prozess sein kann. Auch werden diverse Fragen unterschiedlicher Detailtiefe zu beantworten sein wie z.B. wer Betreiber eines Onlineklagetools sein wird, wer für etwaige Fehler – man denke hier z.B. an Ausfälle der Infrastruktur – haftet und für welche Rechtsgebiete und unter welchen Voraussetzungen eine digitale Klageeinreichung möglich sein wird.
Gerade der letztgenannte Aspekt, also der Anwendungsbereich eines entsprechenden Tools, sollte wohl bedacht sein, denn bereits nach geltendem Recht herrscht an den Amtsgerichten, in deren Zuständigkeit grundsätzlich Verfahren mit einem Streitwert von bis zu 5.000 Euro fallen, kein Anwaltszwang. Trotzdem wird der Rechtssuchende in vielen Fällen auch ohne „Zwang“ gut daran tun, sich über die Erfolgsaussichten seines Falles fachkundigen Rat einzuholen, bevor er den Gerichtsweg beschreitet. Zudem bedeutet die Einführung eines neuen Werkzeugs nicht zwangsläufig eine Erleichterung. Es ist anzunehmen, dass das geplante Onlinetool auf dem Prinzip einer standardisierten Maske bzw. eines Formulars aufbauen wird. Dass derartige Formulare für den „Laien“ nicht immer verständlich sind, zeigt das gerichtliche Mahnverfahren.
Auch sollte die Frage erlaubt sein, ob die Gerichte, deren zahlenmäßig schlechte personelle Ausstattung heute schon beklagt wird, auf eine eventuelle Klageflut, die mit der Einführung eines solchen Tools unter Umständen verbunden wäre, vorbereitet sind. Das beste Tool wird nur von geringem Nutzen sein, wenn die Zahl der zu bearbeitenden Verfahren plötzlich massiv in die Höhe schießt. Dies gilt umso mehr, wenn diese Verfahren dann ohne den vorherigen Filter „Rechtsanwalt“ bei Gericht landen.
Unklar ist auch die Frage der Kostenersparnis: Denkbar wären zwar neue und niedrigere Kostensätze für per Onlinetool eingereichte Klagen. Dies kann allerdings nur dann gelten, wenn die Bearbeitung dieser Klagen bei den Gerichten weniger Ressourcen verbraucht. Gleichzeitig sollte und darf dies nicht zu Einbußen bei der Qualität der Rechtsfindung führen.
Das Ziel, Prozesse einfacher und schneller zu gestalten, ist richtig und wichtig. Dabei darf aber nicht aus dem Blickfeld rücken, dass die Rechtsfindung für alle Beteiligten mehr beinhaltet, als die bloße Verkündung eines Zahlbetrages. Entsprechend sollten von vornherein auch keine falschen Hoffnungen geschürt werden: Eine Klage online über eine Software bei Gericht einzureichen heißt nicht automatisch, mit ebenjener Klage auch erfolgreich zu sein.
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