7. Juli 2022
streiTWert – 33 von 63 Insights
In der vergangenen Woche hat der US Supreme Court ein Urteil gefällt, das sich auf die Beweisbeschaffung in internationale Schiedsverfahren auswirkt. Die Verfahren vor dem Supreme Court wurde auch hierzulande aufmerksam verfolgt, da ihm ein von der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) administriertes Schiedsverfahren mit Sitz in Deutschland zugrunde lag.
US-amerikanische Rechtsanwendung wird von deutschen Juristen gerne als übergriffig empfunden kritisiert, auch und gerade, wenn es um die "discovery of documents" geht. Das zeigt auch die jüngst hier thematisierte Geschichte des deutschen Vorbehalts gegen "discovery of documents" nach dem HBÜ.
In Sachen "discovery" stellen die USA allerdings ihr Rechts- und Gerichtssystem auch fremden Rechtsordnungen freizügig zur Verfügung. Nach 28 U.S. Code § 1782 können US-Gerichte anordnen, dass sich in ihrem Bezirk ansässige Personen für ausländische Gerichtsverfahren ("proceeding in a foreign or international tribunal") als Zeugen befragen lassen und Dokumente vorlegen müssen. Von diesem Instrument zur Beschaffung von Beweismitteln machen ausländische Parteien gerne Gebrauch.
Ob auch private Schiedsgerichte als "foreign or international tribunals" zu qualifizieren sind, hatten verschiedene Bundesberufungsgerichte (U.S. Circuit Courts of Appeal) unterschiedlich entschieden. Diese Rechtsprechungsdivergenz ("circuit split") hat der US Supreme Court nunmehr beseitigt.
Der US Supreme Court hatte zwei Verfahren, je eines aus der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit und aus der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, ausgewählt und zur Entscheidung verbunden.
Im ersten Verfahren, ZF Automotive US, Inc., et al. v. Luxshare Ltd., machte die Schiedsklägerin Luxshare, aus Hongkong, Post-M&A-Ansprüche gegen ZF Automotive, einen in Michigan ansässigen Automobilzulieferer und Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens, geltend. Der Unternehmenskaufvertrag sah vor, dass alle Streitigkeiten nach der Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) beizulegen waren. Um ein DIS-Schiedsverfahren gegen ZF vorzubereiten, reichte Luxshare beim zuständigen US-Bundesgericht einen Antrag nach §1782 ein und verlangte Auskünfte von ZF und seinen Verantwortlichen.
Der zweite Fall, AlixPartners, LLP, et al. v. Fund for Protection of Investors’ Rights in Foreign States, betrifft Snoras, eine insolvente litauische Bank, die von den litauischen Behörden verstaatlicht wurde. Der Schiedskläger, ein russisches Unternehmen, machte die Ansprüche eines russischen Investors an Snoras wegen Enteignung nach dem bilateralen Investitionsabkommens (BIT) zwischen Litauen und Russland geltend. Der Schiedskläger leitete in Übereinstimmung mit diesem BIT ein Ad-hoc-Schiedsverfahren nach der UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung. Nach Einleitung des Schiedsverfahrens reichte der Schiedskläger einen §1782-Antrag beim Bundesgericht ein, um Informationen von AlixPartners, einer in New York ansässigen Beratungsfirma und deren CEO zu erhalten, der als vorläufigen Verwalter von Snoras tätig war.
In beiden Fällen gaben die Bundesgerichts dem Antrag statt und wurde vom zuständigen Berufungsgericht, einmal vom Second Circuit, einmal vom Sixth Circuit, bestätigt. Gegen diese Entscheidungen gingen ZF und Alix Partners vor.
Mit einem einstimmig ergangenen Urteil aus der Feder von Richterin Barrett entschied der US Supreme Court, dass weder ein privates Handelsschiedsgericht noch ein Investitionsschiedsgericht auf der Grundlage eines BIT als „foreign tribunal“ zu qualifizieren sind. Das Gericht legte seiner Entscheidung im Wesentlichen eine am Wortlaut orientierte Auslegung von 28 U.S.C. § 1782 zugrunde:
“Foreign tribunal” more naturally refers to a tribunal belonging to a foreign nation than to a tribunal that is simply located in a foreign nation. And for a tribunal to belong to a foreign nation, the tribunal must possess sovereign authority conferred by that nation.
Auf dieser Grundlage tat sich das Gericht leicht damit, dem private DIS-Schiedsgericht den Charakter eines „foreign tribunal“ abzusprechen. Staatliche Stellen seien weder an der Konstituierung des DIS-Schiedsgerichts noch an der Gestaltung seines Verfahrens beteiligt. Um ein Handelsschiedsgericht wie das DIS-Schiedsgericht als staatlich zu qualifizieren, reiche es nicht aus, dass das Recht des Sitzstaates einige Aspekte der Schiedsgerichtsbarkeit regele und dessen Gerichte eine Rolle bei der Durchsetzung der Schiedsgerichtsvereinbarung spielten.
Etwas schwieriger läge die Sache im Fall des Investitionsschiedsgerichts. Hier sei mit Litauen ein Staat Partei eines Schiedsverfahrens, das wiederum seine Grundlage nicht in einem Vertrag unter Privaten, sondern in einem völkerrechtlichen Vertrag, nämlich dem BIT zwischen Russland und Litauen habe. Aber weder die Parteirolle Litauens noch der völkerrechtliche Charakter des Vertrags seien entscheidend. Entscheidend sei, ob die beiden Staaten beabsichtigten hätten, einem nach dem BIT gebildeten Ad-hoc-Schiedsgericht staatliche Befugnisse zu übertragen. Das sei nicht der Fall gewesen:
“Nothing in the treaty reflects Russia and Lithuania’s intent that an ad hoc panel exercise governmental authority. The ad hoc panel has authority because Lithuania and the Fund consented to the arbitration, not because Russia and Lithuania clothed the panel with governmental authority.”
Mit dieser Entscheidung ist der Weg der Beweisbeschaffung für internationale Schiedsverfahren in den USA über 28 U.S.C. § 1782 künftig verschlossen. Auf die die Beweisbeschaffung in Verfahren vor ausländischen staatlichen Gerichten nach 28 U.S.C. § 1782 hat die Entscheidung keine Auswirkungen. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Praxis mit Regelungen in den Schiedsvereinbarungen reagieren kann und wird, um auch weiterhin eine "discovery" für internationale Schiedsverfahren zu ermöglichen.
Obwohl 28 U.S.C. § 1782(a) es einem Bezirksgericht erlaubt, die Offenlegung "zur Verwendung in einem Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht" anzuordnen, kann nur ein staatliches oder zwischenstaatliches Rechtsprechungsorgan als ein solches Gericht gelten, und Schiedsgerichte in diesen Fällen sind keine solchen Rechtsprechungsorgane.
Die Entscheidung einschließlich der Schriftsätze der Parteien und der amicus curiae briefs ist zugänglich z.B. über den SCOTUS-Blog.
Fall Sie, liebe Leserinnen und Leser, dieses Thema interessiert und Sie mehr erfahren wollen: "Lunch DIScussions", die neue online-Veranstaltungsreihe der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, wird sich am 14. Juli 2022 von 13:00 bis 14:00 Uhr mit dieser Entscheidung des US Supreme Court und seinen Auswirkungen auf die internationale Schiedsgerichtsbarkeit befassen. Details zur Veranstaltung und zur kostenfreien Anmeldung finden Sie hier.
Diesen und weitere Beiträge von Peter Bert finden Sie auch auf zpoblog.de.
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