Autor

Matthias Swiderski, LL.M.

Senior Associate

Read More
Autor

Matthias Swiderski, LL.M.

Senior Associate

Read More

24. Januar 2022

streiTWert – 42 von 61 Insights

LG Frankfurt: Keine Haftung der BaFin für Verluste von Wirecard-Aktionären

  • Briefing

 Das Landgericht Frankfurt hat entschieden, dass Wirecard-Aktionäre keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wegen der erlittenen Verluste haben.

Die Richter der für Amtshaftungsansprüche zuständigen 4. Kammer sind in den vier entschiedenen Verfahren (zu den Az.: 2-04 O 65/21, 2-04 O 531/20, 2-04 O 561/20, 2-04 O 563/20) damit zum gleichen Ergebnis gekommen, wie zuvor bereits die 8. Kammer des Landgerichts Frankfurt (Urt. v. 5.11.2021; Az.: 2-08 O 98/21) sowie das Landgericht Wuppertal (Urteil v. 10.09.2021 Az. 2 O 441/20).

Kein individueller Anlegerschutz durch BaFin-Aufsicht

Die Urteilsgründe der aktuellen Entscheidungen liegen zwar noch nicht vor, der Pressemitteilung lässt sich jedoch entnehmen, dass das Gericht einen Amtshaftungsanspruch der jeweiligen Kläger mit der Begründung abgelehnt hat, die BaFin nehme ihre Aufgaben nicht im Interesse einzelner Anleger wahr. Es bestehe demnach kein Drittschutz. Dies ergebe sich unmittelbar aus § 4 Abs. 4 des Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetzes (FinDAG). Dieser bestimmt, dass die Bundesanstalt Aufgaben und Befugnisse ausschließlich im öffentlichen Interesse wahrnimmt. Damit folgt das Gericht auch inhaltlich den zuvor im Jahr 2021 ergangen Entscheidungen, die wohl noch nicht rechtskräftig sind.

Auch das Gutachten „Amtshaftungsansprüche gegen die BaFin im Fall Wirecard AG?“ des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hatte bereits im Jahr 2020 die Frage der Drittbezogenheit der Amtspflichten untersucht. Zwar kommt das Gutachten zu keinem abschießenden Ergebnis und ordnet die Frage als in der Literatur strittig ein, rekurriert in diesem Zusammenhang allerdings auch auf die Gesetzesbegründung zu § 4 Abs. 4 FinDAG in der es u.a. heißt, dass „die Aufgabenwahrnehmung durch die Bundesanstalt nur im öffentlichen Interesse erfolgt. Privatrechtliche Ansprüche werden von der Bundesanstalt nicht geprüft. Die Durchsetzung individueller Ansprüche gehört nicht zu den Aufgaben der Bundesanstalt. Die Regelung entspricht dem früheren § 6 Abs. 4 KWG bzw. § 4 Abs. 2 WpHG.“ Diese legislatorische Erwägung scheint damit die bisherige Linie in der Rechtsprechung zu stützen.

Auch das im letzten Jahr in Kraft getretene Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG), das zum Zwecke der Stärkung der Bilanzkontrolle und strengerer Regulierung der Abschlussprüfung umfangreiche Änderungen u.a. auch am FinDAG vorgenommen hat, lässt den § 4 Abs. 4 FinDAG unberührt.

Versäumnisse bei Umsetzung von EU-Recht?

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Ansicht, die Bundesrepublik Deutschland habe mit der Ausgestaltung des Bilanzkontrollsystems durch die BaFin und DPR gegen die Pflicht aus Art. 24 zur (korrekten) Umsetzung der Vorgaben der europäischen Transparenzrichtlinie verstoßen, bisher in der Rechtsprechung wohl nicht durchsetzen konnte. So stellt das LG Wuppertal in o.g. Entscheidung u.a. fest: „Eine andere Wertung folge auch nicht aufgrund von europarechtlichen Erwägungen. Mithin findet § 4 Abs. 4 FinDAG sowohl im Rahmen des nationalen Amtshaftungsanspruch Anwendung und schließt zudem einen gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch aus. (..) Dem Kapitalmarktaufsichtsrechts sind keine Normen zu entnehmen, deren Wertungsspielraum durch den Anlegerschutz tangiert wird. Im Unterschied zum Einlegerschutz sind hinsichtlich des Anlegerschutzes keine ausdrücklichen Vorgaben des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf einen Mindestschutz vorhanden.“

Im Ergebnis nimmt das Landgericht Wuppertal in diesem Zusammenhang an, dass die Voraussetzungen eines - vom EuGH entwickelten - gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch nicht vorliegen, da es an einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen Unionsrecht, fehle.

Ausblick

Legislative und Judikative scheinen sich einig zu sein, dass Amtshaftungsansprüche gegen die BaFin wg. (vermeintlicher) Verletzung von Amtspflichten bei der Ausübung der Aufsicht im Zusammenhang mit der Bilanzkontrolle nicht bestehen, weil es an einem entsprechenden Drittschutz zugunsten der Anleger fehlt. Es bleibt insofern abzuwarten, ob sich die Obergerichte und der Bundesgerichtshof noch mit dieser Frage beschäftigen werden. Allerdings besteht auch vor dem Hintergrund, dass der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität keinen Anlass gesehen hat, § 4 Abs. 4 FinDAG zu überarbeiten, nicht unbedingt viel Anlass für eine abweichende Bewertung. Gerade die mit dem FISG überarbeiteten Regelungen zur Haftung von Abschlussprüfern sprechen vielmehr dafür, dass jedenfalls der Gesetzgeber hier die primären Anspruchsgegner sieht.

In dieser Serie

Technology, Media & Communications

AI product liability – moving ahead with a modernised legal regime

Katie Chandler, Philipp Behrendt and Christopher Bakier look at the EU's proposals to legislate for liability risks in AI products.

9. May 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorschlag der Europäischen Kommission für eine neue Richtlinie über die Reparatur von Waren

13. April 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Vorsicht, Lerngefahr!

Beratung zur Streitvermeidung und Streitlösung

28. March 2023

von Dr. Frank Koch

Disputes & Investigations

BGH: Uneingeschränkte Kontrolle kartellrechtlicher Schiedssprüche

24. January 2023

von mehreren Autoren

Disputes & Investigations

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Bauproduktenverordnung – Es muss nachgebessert werden!

Hinweis zum Aufsatz von Christine Simon-Wiehl in Zeitschrift für Product Compliance (ZfPC) 05/2022, 198 ff.

13. January 2023

Disputes & Investigations

Gerichtsverhandlung per Videokonferenz soll Standard werden

13. December 2022

Disputes & Investigations

BGH zur Ausländersicherheit nach dem Brexit

9. December 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

Produktsicherheit & Produkthaftung

Entwurf der EU-Kommission für eine neue Produkthaftungsrichtlinie in der EU

Die Europäische Kommission hat am 28. September 2022 neben dem Vorschlag für eine Richtlinie über KI-Haftung ihren mit Spannung erwarteten Entwurf für eine neue Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Diese Neuerungen gibt es.

25. November 2022

von David Hilger, LL.M. (Bilbao)

Disputes & Investigations

Moderner streiten!

Experimente beim digitalen Zivilprozess sind schön und gut – doch es fehlt ein System

29. September 2022

von Peter Bert, lic.oec.int.

eCommerce & Marketplaces

eCommerce: Muss ein Händler stets über Herstellergarantien informieren? – EuGH mit klarem „Jein“

Unstrittig: Herstellergarantien können den Abverkauf von Waren erhöhen und zur Kundenbindung beitragen. Aber sind Online-Händler auch verpflichtet, ihre Kunden darüber zu informieren, wenn es solche Garantien gibt?

5. October 2022

von Johannes Raue, Henry Richard Lauf

Disputes & Investigations

Der BGH und die Business Judgement Rule

streiTWert

19. May 2022

von Dr. Dirk Lorenz

Disputes & Investigations

Schmerzensgeld: BGH verwirft die sog. taggenaue Berechnung

streiTWert

5. May 2022

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

EU-Richtlinie über Verbandsklagen: Offene Fragen und Umsetzungsspielräume

streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten

18. November 2021

von Matthias Swiderski, LL.M.

Coronavirus

Wenn Corona dazwischenkommt: Wer bleibt auf den Kosten sitzen?

streiTWert – Entscheidung des LG Hamburg über Stornierungskosten bei Veranstaltungen

22. September 2021

von Donata Freiin von Enzberg, LL.M., Kerstin Bär, LL.M. (Bristol, UK)

Disputes & Investigations

BGH: Wie viel Arzthaftung steckt in der Produkthaftung?

streiTWert

9. September 2021

von Florian Lambracht

Disputes & Investigations

BGH – Keine Verwechslungsgefahr bei der Firmenbezeichnung „partners“

streiTWert

23. August 2021

von Kolja Helms

Disputes & Investigations

EuGH: Keine Produkthaftung für falsche Gesundheitstipps in einer Zeitung

streiTWert

13. August 2021

von Dr. Lena Niehoff

Disputes & Investigations

Newsflash – Neues Produktsicherheitsgesetz in Kraft

streiTWert

5. August 2021

Disputes & Investigations

Neues aus Brüssel zu Lugano und Den Haag

streiTWert

28. July 2021

von Peter Bert, lic.oec.int.

Disputes & Investigations

Kommen die „Commercial Courts“ in Deutschland?

streiTWert

28. May 2021

von Jan Andresen

Disputes & Investigations

Die Verpflichtung zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nach § 110 ZPO

streiTWert – Ein vielfach unterschätzter Kostenpunkt für im Ausland ansässige Klageparteien?

1. September 2021

von Frank J. Weck, LL.M.

Call To Action Arrow Image

Newsletter-Anmeldung

Wählen Sie aus unserem Angebot Ihre Interessen aus!

Jetzt abonnieren
Jetzt abonnieren

Related Insights

Disputes & Investigations

Staatliche Anti-COVID-19 Maßnahmen: Treibstoff für Investor-Staat-Schiedsverfahren?

streiTWert

7. April 2022
Briefing

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details
Disputes & Investigations

EU-Richtlinie über Verbandsklagen: Offene Fragen und Umsetzungsspielräume

streiTWert – Am 24.12.2020 ist die Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten

18. November 2021
Briefing

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details
Disputes & Investigations

Entwicklung eines Online-Klagetools: BMJV möchte Digitalisierung in der Justiz weiter vorantreiben

streiTWert

27. August 2021
In-depth analysis

von Matthias Swiderski, LL.M.

Klicken Sie hier für Details