22. Oktober 2024
Digital Health 360° – 2 von 29 Insights
Der Rat der Europäischen Union hat am 10. Oktober 2024 die neue EU-Richtlinie zur Produkthaftung angenommen. Diese wird die aktuelle Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG, die noch aus dem Jahr 1985 stammt, vollständig ersetzen. Hintergrund ist, dass sich die Herstellung und der Vertrieb von Produkten seither erheblich verändert haben. Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie sieht daher eine Vielzahl von Neuerungen vor, um das Produkthaftungsrecht an das neue digitale Zeitalter anzupassen. Was sollten Hersteller und Anbieter von Digital Health Produkten dazu wissen? Und was ist der Unterschied zur möglichen KI-Haftungsrichtlinie?
Wichtig ist, dass Digital Health Produkte in den Anwendungsbereich der neuen Produkthaftungsrichtlinie fallen können.
Unter Digital Health Produkten versteht man technologische Lösungen, die im Gesundheitswesen eingesetzt werden, um die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen zu verbessern. Zu den Digital Health Produkten gehören unter anderem Mobile Apps, Wearables, Telemedizin Plattformen, KI-Tools und maschinelles Lernen, die elektronische Patientenakte („ePA“) sowie der elektronische Medikationsplan (eMP). Es handelt sich meist um Software/KI-basierte Anwendungen, die als App auf den Markt gebracht werden. Unter eine solche Digital Health App fallen sowohl die gemäß § 33a SGB V zugelassenen digitalen Gesundheitsanwendungen („DiGA“) als auch sonstige Apps, die zur medizinischen Versorgung eingesetzt werden (z.B. Symptomtracker-Apps). Dabei stellt Art. 2 Nr. 1 der Medizinprodukte-Verordnung (EU-Verordnung 2017/745, MDR) ausdrücklich klar, dass auch Software ein Medizinprodukt sein kann.
Ob Software ein Produkt im Sinne des Produkthaftungsrechtsrechts darstellt, war bislang allerdings umstritten. Diese Lücke soll die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie nun schließen. Der Anwendungsbereich der neuen Produkthaftungsrichtlinie wurde erweitert und erfasst nun ausdrücklich auch Software. Dies gilt sowohl für Software, die in einem anderen Produkt integriert (z.B. in einem Strahlentherapiegerät) oder mit einem anderen Produkt verbunden ist (z.B. digitale Gesundheitsüberwachungsdienste, die zur Datenerfassung auf die Sensoren eines physischen Produkts zurückgreifen, etwa EKG-App einer Smartwatch oder Messung der Vitalparameter über die Kameralinse des Smartphones). Darüber hinaus erfasst die neue Produkthaftungsrichtlinie auch eigenständige sog. standalone Software (z.B. KI-Diagnosetool), die selbst (unmittelbar oder mittelbar) Schäden verursachen kann.
Anders als nach Artikel 2 Nr. 1 MDR kommt es bei der neuen Produkthaftungsrichtlinie zudem nicht auf die subjektive Zweckbestimmung des Herstellers an. Vielmehr gilt eine objektive Sicht und auch die vorhersehbare Anwendung des Produkts muss beachtet werden. Eine Software kann also auch dann als „Produkt“ im Sinne der Produkthaftungsrichtlinie gelten, wenn sie vom Hersteller nicht zur Diagnose, Vorbeugung, Überwachung oder Therapie von Krankheiten vorgesehen ist. Der Anwendungsbereich der neuen Produkthaftungsrichtlinie ist damit im Hinblick auf Software weiter als bei der Medizinprodukte-Verordnung. Dies kann z.B. für Smartwatches mit EKG-Funktion relevant sein, die vom Hersteller selbst nicht für die genannten Zwecke (Diagnose, Vorbeugung, Überwachung oder Therapie von Krankheiten) vorgesehen sind. Führt ein Fehler in der EKG-App zu einem Schaden, kann dies bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen nach der neuen Produkthaftungsrichtlinie die verschuldensunabhängige Produkthaftung des Herstellers auslösen.
Die neue Produkthaftungsrichtlinie stellt zudem klar, dass Hersteller und Anbieter von Digital Health Produkten künftig auch für Schäden haften können, die durch ein fehlerhaftes Software-Update oder durch das Unterlassen eines erforderlichen Software-Updates entstehen. Der Fehlerbegriff der neuen Produktsicherheitsrichtlinie nimmt damit noch stärker die Anforderungen des Produktsicherheitsrechts in den Blick. Fehlen z.B. Software-Updates, um Schwachstellen bei der Cybersicherheit des Produktes zu beheben, kann dies einen Produktfehler begründen. Eingriffe von Regulierungsbehörden im Zusammenhang mit der Produktsicherheit (z.B. Produktrückrufe) sind zudem als Indiz für die Fehlerhaftigkeit des Produktes zu werten.
Darüber hinaus sieht die Produkthaftungsrichtlinie unter anderem Beweiserleichterungen für Geschädigte und eine Pflicht zur Offenlegung von Beweismitteln vor. Für einen näheren Überblick über die Neuerungen der neuen EU-Produkthaftungsrichtlinie siehe das Briefing von Dr. Lena Niehoff und David Hilger hier: Neue Richtlinie zur Produkthaftung: Wo geht die Reise hin? . Ein Update folgt in Kürze.
Nein. Anspruchsberechtigt nach der neuen Produkthaftungsrichtlinie sind weiterhin nur Privatpersonen. Krankenkassen können bei fehlerhaften Produkten damit auch in Zukunft nicht direkt gegen den Hersteller klagen. Ein entsprechender Vorschlag des GKV-Spitzenverbandes, wonach auch juristische Personen in den Kreis der potenziellen Anspruchsberechtigten aufgenommen werden sollten, wurde vom europäischen Gesetzgeber abgelehnt.
Neben der neuen Produkthaftungsrichtlinie sollten Hersteller und Anbieter von Digital Health Produkten künftig die vorgeschlagene KI-Haftungsrichtlinie im Blick behalten. Diese befindet sich derzeit allerdings noch im Entwurfsstadium.
Die Europäische Kommission hat den Vorschlag für die KI-Haftungsrichtlinie im September 2022 als Teil eines Pakets mit der KI-Verordnung und der neuen Produkthaftungsrichtlinie veröffentlicht. Während die KI-Verordnung und die neue Produkthaftungsrichtlinie inzwischen verabschiedet wurden, ist das Gesetzgebungsverfahren zur KI-Haftungsrichtlinie ins Stocken geraten. Am 19. September 2024 hat der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments nun eine Studie zum bisherigen Entwurf der KI-Haftungsrichtlinie veröffentlicht. Die Studie empfiehlt mehrere Änderungen, die zeitnah im Europäischen Parlament diskutiert werden sollen. Wird die KI-Haftungsrichtlinie erlassen, bildet sie mit der Produkthaftungsrichtlinie ein zivilrechtliches Haftungssystem, um die Hersteller und Anbieter von KI-Systemen und Software umfassend in die Pflicht zu nehmen.
Nach bisherigem Stand besteht jedoch kein Grund zur Sorge für Hersteller und Anbieter von Digital Health Produkten, dass Geschädigte die Privilegien (insbesondere Beweislasterleichterungen und Haftungsverschärfungen) der neuen Produkthaftungsrichtlinie mit denen der vorgeschlagenen KI-Haftungsrichtlinie kombinieren könnten. Auch wenn die neue Produkthaftungsrichtlinie ebenfalls auf KI-Systeme Anwendung findet, soll es bisher keine Überschneidungen zwischen den beiden Richtlinien geben. Die Einbeziehung von KI-Systemen in den Anwendungsbereich der neuen Produkthaftungsrichtlinie soll sicherstellen, dass Hersteller oder Anbieter fehlerhafter KI-Systeme, die physische Schäden, Sachschäden oder Datenverluste von Einzelpersonen verursachen, verschuldensunabhängig haften. Der Entwurf der KI-Haftungsrichtlinie deckt dagegen die außervertragliche verschuldensabhängige Haftung ab, und zwar für jede Art von Schäden (auch reine Vermögensschäden und immaterielle Schäden) und zugunsten jeder Art von Geschädigten (auch juristische Personen).
Hersteller und Anbieter von Digital Health Produkten werden aber nicht herumkommen, sich künftig intensiver mit haftungsrechtlichen Fragen der Produktverantwortung zu befassen.
Die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie wird nach formeller Unterschrift im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt anschließend 20 Tage später in Kraft. Die Mitgliedstaaten müssen die Richtlinie dann innerhalb von zwei Jahren in ihr nationales Recht umsetzen, also bis 2026.
Anbieter und Hersteller von Digital Health Produkten sind daher gut beraten, die aktuellen Entwicklungen im Blick zu behalten und die Risiken möglicher Produkthaftungsszenarien zu minimieren. Die neue EU-Produkthaftungshaftungsrichtlinie dehnt die verschuldensunabhängige Schadenersatzhaftung für fehlerhafte Produkte auf neue digitale Technologien wie Software und Systeme künstlicher Intelligenz aus. Dies gilt auch für Digital Health Produkte.
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