16. Juli 2021

Gender Pay Gap und Entgelttransparenz – Droht nach der Rechtsprechung des BAG nun die Klagewelle?

  • Briefing

Das bereinigte Gender Pay Gap stagniert in Deutschland auf 6%. Daran konnten bisher weder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, noch das Entgelttransparenzgesetz viel ändern. Ein zahnloser Tiger sei letzteres und zur Begründung einer Klage auf Lohngleichheit ungeeignet, so die vernichtende Kritik. Nach einer brandneuen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (21. Januar 2021 - 8 AZR 488/19) sollte diese Einschätzung jedoch revidiert werden.

Sachverhalt

Die bei der Beklagten als Abteilungsleiterin beschäftigte Klägerin erhielt ein Grundgehalt i.H.v. EUR 5.385,40 sowie eine übertarifliche Zulage i.H.v. EUR 500,00 brutto pro Monat, als sie bei der Beklagten einen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft gem. § 10 Entgelttransparenzgesetz geltend machte. Der daraufhin an die Klägerin mitgeteilte Median des Grundgehalts und der übertariflichen Zulage der männlichen Abteilungsleiter mit gleicher Betriebszugehörigkeit lag ca. EUR 600,00 (Grundgehalt) bzw. ca. EUR 50,00 (übertarifliche Zulage) über den Werten der Klägerin. Auf Nachfrage nach dem Median des Gehalts aller männlichen Abteilungsleiter unabhängig von deren Betriebszugehörigkeit teilte die Beklagte Werte mit, die sogar fast EUR 900,00 (Grundgehalt) bzw. EUR 100,00 (übertarifliche Zulage) über dem Gehalt der Klägerin lagen. Die Klägerin erhob daraufhin eine Klage auf Zahlung der Vergütungsdifferenz für die Vergangenheit und Anpassung ihres Gehalts für die Zukunft.
Innerhalb des Verfahrens trug die Beklagte vor, dass die Differenz von Gehältern sich aus objektiven Gründen ergebe. Eine längere Betriebszugehörigkeit führe bei regelmäßig alle 2 bis 3 Jahre stattfindenden Entscheidungen über Lohnerhöhungen automatisch zu einer höheren Vergütung. Quereinsteiger verdienten meist mehr, um diese für das Unternehmen zu gewinnen. Das höchste Gehalt aller Abteilungsleiter erhalte eine Frau. Das Durchschnittsgehalt der männlichen Abteilungsleiter läge jedoch 8% über dem der weiblichen Abteilungsleiter.

Abweisung durch das LAG Niedersachsen

Das LAG Hannover erteilte dem Gesetzgeber eine schallende Ohrfeige und argumentierte, dass sich allein aus dem Median des Gehalts der Arbeitnehmer des anderen Geschlechts in gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit ein Indiz für eine Benachteiligung nicht ergebe.
Der Median – oder auch Mittelwert – des Gehalts vergleichbarer Arbeitnehmer ist das Gehalt, das in der Mitte zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Gehalt der Arbeitnehmer des anderen Geschlechts in gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit liegt. Durch die Mitteilung des Mittelwertes des Gehalts des jeweils anderen Geschlechts ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich die Arbeitnehmerin selbst am unteren Rand der Vergütungsspanne bewegt, diese jedoch für Arbeitnehmer beider Geschlechter gleich ausfällt. Aus diesen Gründen konnte das LAG Niedersachsen denklogisch kein Indiz für eine Benachteiligung der Klägerin erkennen. Für dieses Ergebnis spräche schließlich auch, dass der Median der Dauer der Betriebszugehörigkeit der männlichen Abteilungsleiter über der Dauer der Betriebszugehörigkeit der Klägerin läge. Auch die durchschnittlich bessere Vergütung der männlichen Abteilungsleiter allein vermöge keine Benachteiligung zu indizieren.

Zurückverweisung durch das BAG

Dem widersprach das BAG in seiner Pressemitteilung zur Entscheidung vom 21. Januar 2021 - 8 AZR 488/19 – in aller Deutlichkeit. Wenn das Ergebnis einer Auskunft nach § 10 Entgelttransparenzgesetz zutage fördert, dass das eigene Gehalt unter dem Median des anderen Geschlechts liegt, so muss es zumindest einen (hypothetischen) Arbeitnehmer des anderen Geschlechts geben, der für die vergleichbare Tätigkeit mehr verdient. Dies begründe die Vermutung, dass die Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts vorliegt. Die Beklagte trägt nun die Darlegungs- und Beweislast für dafür, dass die Ungleichbehandlung nicht wegen des Geschlechts der Klägerin erfolgte. Aufgrund der Zurückverweisung des BAG ist jedoch bereits klar: die bisher festgestellten Tatsachen zur längeren Betriebszugehörigkeit des Medians der männlichen Abteilungsleiter und zu männlichen Quereinsteigern ist wohl unzureichend, um eine Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers zu verhindern.

Praxistipp

Nach dieser Entscheidung dürften Arbeitgeber, die zur Auskunft nach dem Entgelttransparenzgesetz verpflichtet sind, relativ schnell in die Verlegenheit kommen, die Vergütungsstruktur und deren Auswirkungen im Einzelfall rechtfertigen zu müssen.
Bei jedem Auskunftsanspruch aus dem Entgelttransparenzgesetz sollte deshalb zunächst geprüft werden, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht. Betroffen sind nur Arbeitgeber, die mehr als 200 Personen beschäftigen. Der Anspruch entfällt, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten des jeweils anderen Geschlechts ausgeübt wird.
Anspruchsinhaber können allerdings nicht nur Arbeitnehmer im engeren Sinne sein. Vielmehr ist der Arbeitnehmerbegriff entsprechend der europäischen Richtlinie RL 2006/54/EG auszulegen und kann auch arbeitnehmerähnliche Personen einschließen. Hierüber haben wir bereits berichtet.

Zur Widerlegung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts sollten Vergütungsentscheidungen, dessen Gründe und ein ggf. zugrundeliegendes, rechtmäßiges System dokumentiert werden.


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