1. Dezember 2023
Digital Health 360° – 8 von 28 Insights
Mehr Flexibilität, mehr Geschwindigkeit, mehr Digitalisierung: Mit dem „Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens“ (Digital-Gesetz, DigiG; in Form der Kabinettsvorlage der Bundesregierung vom 30.08.2023) will die Bundesregierung die dringend benötigte Aufholjagd starten. Doch der Entwurf enthält bei genauerer Betrachtung einige Schwachstellen. Wir haben 10 davon zusammengefasst.
Spätestens seit der Corona Pandemie ist das Homeoffice für viele Menschen zur Normalität geworden – jedoch nicht für Ärztinnen und Ärzte. Eine Ergänzung des § 24 Ärzte-ZV um Absatz 8 soll ihnen nun erstmals die Möglichkeit der Homeoffice-Videosprechstunde sowie die Abhaltung von Sprechstunden in ausgelagerten Praxisräumen eröffnen. Das ist grundsätzlich positiv. Allerdings bleibt es bei den Mindestsprechstundenzeiten, die am Vertragsarztsitz zu erbringen sind. Zudem lässt die Ergänzung Fragestellungen zur Erbringung der Videosprechstunden außerhalb der Praxisräumlichkeiten offen.
Ein weiterer Kritikpunkt: Die neue Regelung sieht vor, dass die vertragsärztliche Tätigkeit lediglich in Form von Videosprechstunden außerhalb des Vertragsarztsitzes erbracht werden darf. Dieser Wortlaut ist zu eng. Die Telemedizin geht erheblich weiter und umfasst alle Formen von synchronen und asynchronen telemedizinischen Leistungen. Die Regelung sollte daher auf die gesamte Telemedizin erweitert werden.
Bislang dürfen lediglich 30 Prozent der vertragsärztlichen Sprechstunden als Videosprechstunden durchgeführt und abgerechnet werden. Dass diese Obergrenze aufgehoben werden soll, ist begrüßenswert. Sofern man aber die Telemedizin auch als Lösung für den demografischen Wandel und den Ärztemangel betrachtet, hilft diese Aufhebung der Obergrenze allein nicht weiter.
Um dem demografischen Wandel und dem Ärztemangel zu begegnen, muss erst die Budgetierung telemedizinischer Leistungen überdacht werden; ansonsten werden die Sprechstunden ggf. nicht vergütet, weil Regelleistungsvolumina ausgeschöpft sind.
Wenn die Telemedizin auch in Unterversorgten Gebieten wirken soll, müssen Ärztinnen und Ärzte aus überversorgten Gebieten ihre Leistungen per Videosprechstunde in unterversorgten Gebieten erbringen können. Die Bedarfsplanungs-Richtlinie sollte entsprechend angepasst werden und könnte neben dem bisherigen Bedarf eine eigene Kategorie für die telemedizinische Leistungserbringung vorsehen. In der Folge sollte ebenfalls ein entsprechender Versorgungsauftrag beschränkt nur für die Telemedizin ausgestellt werden können. Um diese Zukunftsvision von dem ausschließlich telemedizinischen Primärarztmodell wahr werden zu lassen, braucht es jedoch eine gesetzliche Öffnung in den entsprechenden vertragsarztrechtlichen Regelungen (vor allem § 95 SGB V und § 13 BMV-Ä).
Um die Telemedizin weiter voranzutreiben, sollte das DigiG dazu genutzt werden, den § 140a SGB V anzupassen. Der Wortlaut der Norm lässt grundsätzlich zu, auch Verträge mit anderen als den genannten Herstellern zu schließen. Diese etablierte Praxis sollte klarstellend ins Gesetz aufgenommen werden. Änderungsbedürftig ist weiter der dazugehörige § 140a Abs. 4a S. 3 SGB V. Die dort vorgesehene Ausnahmeregelung zur Einbeziehung eines Vertragsarztes ist unklar formuliert und verhindert faktisch die Einbindung privatärztlicher Leistungen. In Hinblick auf die Stärkung digitaler Versorgungsformen sollten zumindest angestellte Ärztinnen und Ärzte mit in die Verträge einbezogen werden können.
Weshalb wissen viele Menschen nichts von den Möglichkeiten der Telemedizin? Weil Werbung dafür im Grundsatz immer noch verboten ist. Leider versäumt es die Kabinettsvorlage, das Verbot in § 9 HWG zu kippen. Die Ausnahmeregelung des § 9 S. 2 HWG wird von Ärztinnen und Ärzten nicht genutzt, weil große Rechtsunsicherheit darüber besteht, bei welchen Krankheitsbildern „nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Damit Versicherte die Telemedizin nutzen können, müssen sie zunächst überhaupt auf das telemedizinische Angebot aufmerksam gemacht werden.
Die freie Preisgestaltung für DiGAs soll gesetzlich reguliert und an Erfolgskriterien ausgerichtet werden. Der Anteil erfolgsabhängiger Preisbestandteile muss künftig mindestens zwanzig Prozent des Vergütungsbetrags betragen. Alte Vereinbarungen müssen spätestens zwölf Monaten nach Vertragsschluss angepasst werden. Diese Übergangszeit erscheint willkürlich und nicht praktikabel. Zudem ist seitens des Gesetzgebers ein konzeptionell und methodologisch klares Rahmenwerk nötig. Darin sollte definiert werden, was eine erfolgreiche Behandlung ist. Darüber hinaus sind Vorgaben zur konkreten Umsetzung der anwendungsbegleitenden Erfolgsmessung unter Berücksichtigung der Unterschiede der DiGAs nötig. Jedenfalls scheint es impraktikabel, dass Patienten anwendungsbegleitend Fragebögen ausfüllen müssen.
Bei einigen digitalen Gesundheitsanwendungen benötigen die Patientinnen und Patienten zusätzliche Technik, wie beispielsweise Sensoren. Die Kabinettsvorlage sieht vor, dass der Hersteller den Versicherten diese Geräte ausleiht. Die Verpflichtung ist jedoch in vielerlei Hinsicht unspezifisch und missverständlich ausgestaltet. Die Kosten für die Gebrauchsüberlassung sowie Ausnahmen sollten in einer Rahmenvereinbarung festgelegt werden.
Ausprobieren ohne finanzielles Risiko: Die Kabinettsvorlage sieht ein kostenloses Probierrecht der Versicherten vor. Danach entfällt der Vergütungsanspruch der Hersteller, wenn Versicherte innerhalb von 14 Tagen nach erstmaliger Nutzung der DiGA gegenüber dem Hersteller erklären, diese nicht dauerhaft zu nutzen. Der Hersteller erhält auch keine Abbruchprämie. Ein solches Probeabo ist im Leistungsbereich SGB V nicht vorgesehen und belastet DiGAs einseitig als neue Versorgungsform. Es stellt eine unangemessene Härte für die DiGA-Hersteller dar und schwächt die Therapieadhärenz der Versicherten.
Gesundheits-Apps sollen schnell auf den Markt gebracht werden, im sogenannten Fast-Track-Verfahren. Für die Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis ist ein gesetzlich vorgeschriebener Prüfzeitraum von drei Monaten vorgesehen. In begründeten Einzelfällen kann das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) diese Frist um bis zu weitere drei Monate verlängern (Ermessen). Insgesamt könnte dies eine Antragbearbeitungszeit von bis zu neun Monaten bedeuten. Dieser Zeitraum ist für ein Fast-Track-Verfahren nicht sachgerecht. Zudem wird Antragablehnung und Antragsrücknahme gleichgesetzt und löst jeweils eine 12-monatige Sperrfrist aus. Dies verlangsamt die Einführung von DiGAs.
Besonders bei sensiblen Gesundheitsdaten ist es wichtig, das Recht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung zu wahren. Deswegen räumt die Kabinettsvorlage Versicherten die Möglichkeit ein, die Dauer der Zugriffsberechtigungen auf die ePA selbst festzulegen. Es entstehen für die Leistungserbringer für jeden Versicherten individuelle Fristen und der Versicherte könnten durch kurze Zugriffsdauern die beschleunigte und bevorzugte Befüllung seiner ePA erzwingen.
Das Gesetzgebungsverfahren schreitet voran. Die erste Lesung Im Bundestag fand am 09.11.2023 statt. Am 15.11.2023 gab es eine Anhörung. Das Gesetz soll voraussichtlich im Februar 2024 verabschiedet werden.
Co-Autorin: Janne Pramschiefer
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