12. September 2022
Digital Health 360° – 15 von 28 Insights
Seit dem 26. Mai 2021 müssen Medizinprodukte wie Health-Apps, Pflaster, Beatmungsgeräte oder Herzschrittmacher der Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) entsprechen, um weiterhin auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen zu werden, sofern keine Übergangsregelung Anwendung findet (vgl. Art. 120 MDR). Die MDR vermittelt keinen Bestandsschutz. Bevor Hersteller also ihre Medizinprodukte mit der CE-Kennzeichnung versehen und innerhalb der Europäischen Union in Verkehr bringen dürfen, müssen sie grundsätzlich ein Konformitätsbewertungsverfahren durchführen, wobei geprüft wird, ob das Medizinprodukt den vielfältigen Anforderungen der MDR entspricht. Jene Konformitätsbewertungsverfahren sind angesichts der verschärften Anforderungen der MDR aber zeitintensiv. Zudem müssen Hersteller – abgesehen von Niedrigrisikoprodukten der Risikoklasse I – auf sog. Benannte Stellen wie dem TÜV Süd oder der DEKRA zurückgreifen, von denen es auf europäischer Ebene aktuell aber viel zu wenige gibt. Die langen Wartezeiten und Kapazitätsengpässe bei den Benannten Stellen in Kombination mit dem im Wege der COVID-19-Pandemie generell erhöhten Bedarf an Medizinprodukten und pandemiebedingten Verzögerungen werfen somit die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen Hersteller ihre Medizinprodukte ausnahmsweise auch vor Abschluss eines Konformitätsbewertungsverfahrens jedenfalls auf deutschem Territorium in Verkehr bringen können. Die MDR hält hierzu zwei Möglichkeiten bereit: Zum einen kann eine befristete Ausnahme von den Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Art. 59 MDR gewährt werden. Zum anderen kommt eine vorrübergehende Duldung der Nichtkonformität gemäß Art. 97 MDR in Betracht.
Das BfArM kann gemäß Art. 59 Abs. 1 MDR im Ausnahmefall das Inverkehrbringen von Medizinprodukten auch ohne Konformitätsbewertungsverfahren befristet genehmigen. Daraus folgt, dass die Ausnahme grundsätzlich vorrübergehender Natur ist und auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland beschränkt ist. Grundvoraussetzung für eine solche Sonderzulassung ist, dass die Verwendung des spezifischen Medizinproduktes im Interesse der öffentlichen Gesundheit oder der Patientensicherheit oder -gesundheit liegt. Elementare Bedeutung kommt somit der Begründung des jeweiligen Antrags zu, mit dem substantiiert dargelegt werden muss, wieso der Abschluss eines Konformitätsbewertungsverfahrens eben nicht abgewartet werden kann. Ferner muss der Antrag zudem aufzeigen, dass keine medizinisch annähernd gleichwertigen Alternativen bestehen. Hilfreich kann insoweit die Stellungnahme einer medizinischen Fachgesellschaften sein. Dass die Erfolgsaussichten gut begründeter Anträge gemäß Art. 59 MDR trotz aller Anforderungen nicht bloß theoretischer Natur sind, zeigt die Genehmigungspraxis des BfArM. So wurden seit Geltungsbeginn der MDR bereits mehrere Medizinprodukte mit und ohne direkten Bezug zur COVID-19-Pandemie befristet zugelassen. Wir selbst konnten auf der Grundlage von Art. 59 MDR bereits Sonderzulassungen für verschiedene EU-Mitgliedstaaten erwirken, u.a. auch in Deutschland.
Neben dem Vorgehen auf Bundesebene bietet Art. 97 MDR die Möglichkeit, dass die auf Länderebene zuständigen Marktüberwachungsbehörden die Nichtkonformität von Medizinprodukten auf Antrag des Herstellers oder eines anderen Wirtschaftsakteurs (z.B. Importeur) vorübergehend dulden. Auch in diesem Zusammenhang kommt dem Antrag maßgebliches Gewicht bei, wenn es darum geht nachzuweisen, dass das betreffende Medizinprodukt kein unvertretbares Risiko aufweist und der Hersteller alle ihm möglichen Anstrengungen unternommen hat, ein reguläres Konformitätsbewertungsverfahren durchzuführen. Wenngleich in Sachen Zuständigkeit und Reichweite der Duldung auf nationaler Ebene noch nicht alle Unklarheiten ausgeräumt sind, stimmt der Blick auf die europäische Ebene zuversichtlich. So wurde in anderen Mitgliedstaaten bereits Ausnahmen gemäß Art. 97 MDR gewährt. Problematisch ist in Deutschland allerdings, dass das BfArM nicht zuständig ist und sich daher – gerade beim Sitz des Herstellers im Ausland – die Frage stellt, an welche deutsche Marktüberwachungsbehörde man sich wenden kann. Immerhin deutet die Arbeit der europäischen Koordinierungsgruppe Medizinprodukte sowie der Kommission zu Art. 97 MDR darauf hin, dass möglicherweise ein harmonisierter Ansatz naht.
Autoren: Dr. Daniel Tietjen, Christoph Behm
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