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14. März 2023

Digital Health 360° – 11 von 27 Insights

Ein Überblick: Die neue Digitalisierungsstrategie für das Gesundheitswesen und die Pflege

  • In-depth analysis

Die Vorteile der Digitalisierung sind uns spätestens mit der Corona-Pandemie vor Augen geführt worden: Home-Office war plötzlich normal, Ärzte boten Videosprechstunden an, im Auftrag der Politik wurde mehr oder minder schnell die Corona-Warn-App entwickelt und auf europäischer Ebene wurden digitale Impfzertifikate ermöglicht.

Eher unbeachtet blieb hingegen die retrospektive Betrachtung der Pandemie im Rahmen einer zu Beginn des Jahres veröffentlichten Studie des Sachverständigenrates Gesundheit & Pflege, in dem der Sachverständigenrat dem deutschen Gesundheitswesen mangelnde Resilienz bescheinigte und diesen Umstand unter anderem auf die mangelnde Nutzung digitaler Lösungen zurückführte.

Der Sachverständigenrat wurde zwischenzeitlich turnusgemäß neubesetzt, sodass die Aussagen des Gutachtens etwas untergegangen sind. Aber sie bleiben aktuell.

Die Studie spielte Ende letzte Woche im Haus der Bundespressekonferenz allerdings kaum eine Rolle, als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gemeinsam mit dem neuen Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Prof. Dr. Michael Hallek, die Digitalisierungsstrategie der Bundesregierung für das Gesundheitswesen und die Pflege vorstellte; nur am Rande erwähnte Prof. Dr. Hallek kurz, dass die Digitalisierungsstrategie die Kritikpunkte der Studie aufgreife.

„Gemeinsam Digital“ prangt auf dem Deckblatt der 44-seitigen Strategie, die schon mal durch ein ansprechendes digitales Outfit überzeugt. Was die Strategie darüber hinaus inhaltlich enthält und wie Karl Lauterbach den Gesundheitssektor weiterentwickeln will, erfahren Sie in diesem Briefing.

Die neue Digitalisierungsstrategie stellt den Patienten, der Zeit seines Lebens in unterschiedlichen Situationen dem Gesundheitssystem und seinen Leistungserbringern gegenübertritt, in den Mittelpunkt. Dabei obliegt ihm selbstverständlich immer die Hoheit über die eigenen Gesundheitsdaten. Die Versorgungsqualität soll durch digitale Anwendungen, die flächendeckend angeboten werden können, und durch Interoperabilität und Permeabilität der Gesundheitsdaten verbessert und vor allem durch maßgeschneiderte Versorgungsangebote auch wirtschaftlicher gemacht werden.

Die einzelnen geplanten Vorhaben der Digitalisierungsstrategie umfassen insbesondere:

  • Versorgungsprozesse sollen künftig digital unterstützt werden, indem beispielsweise digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), digitale Pflegeanwendungen (DiPA), die elektronische Patientenaktie (ePA) und ein digitales Medikatations-Management besser in die Versorgung eingebunden werden.
  • Alle Versicherten sollen eine ePA erhalten: Die geplante Nutzerquote soll bis zum Jahr 2025 bei 80 % liegen;bisher wird das ePA von nur rund 1 % der GKV-Versicherten genutzt. Langfristig soll die ePA als zentrale Gesundheitsplattform alle relevanten Gesundheits- und Pflegedaten aus der Behandlung, Versorgung und Versicherung, wie beispielsweise Diagnosen, Behandlungspläne, medizinische Hinweise und Erinnerungen, enthalten. Somit können Patienten und Leistungserbringer jederzeit niedrigschwellig auf Gesundheits- und Pflegedaten aus ihrer persönlichen Behandlungshistorie zugreifen und sie für maßgeschneiderte Versorgungsangebote nutzen. Zugleich können Gesundheits- und Pflegedaten zu Forschungszwecken nutzbar gemacht werden.
  • Zugleich sollen mit der ePA die Grundlagen dafür geschaffen werden, um das deutsche Gesundheits- und Pflegewesen an den entstehenden Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) anzuschließen und die medizinische Versorgung und Forschung auch über Grenzen hinweg zu erleichtern.
  • Die Nutzung der ePA ist für Patienten freiwillig, für eine Nichtnutzung muss allerdings explizit optiert werden (Opt-out-Lösung). Damit soll Patienten die Möglichkeit gegeben werden, über die Nutzung ihrer Gesundheits- und Pflegedaten (z.B. zu Forschungszwecken) frei zu entscheiden.
  • Das Angebot digitaler Anwendungen soll erweitert werden, indem DiGA und DiPA künftig auch telemedizinische Lösungen unter Einbeziehung von Ärzten abbilden dürfen. Außerdem sollen die digitalen Anwendungen stärker vernetzt werden und Daten in die ePA einspeisen, aber auch Daten des ePA ziehen können. Darüber hinaus werden DiGA auf Medizinprodukte der Risikoklasse 2b ausgeweitet, also jenen denen ein hohes Risiko beigemessen wird, weil es sich meist um chirurgisch-invasive oder aktive Produkte handelt, die teilweise oder vollständig in den Körper eingesetzt werden, beispielsweise Insulinpumpen. So sollen DiGA und DiPA integraler Bestandteil der Versorgung werden.
  • Der Ausbau telemedizinischer Angebote soll schnellstmöglich vorangetrieben werden und im Jahr 2026 bei 60 % in hausärztlich unterversorgten Regionen liegen, in denen Patienten dann assistierte Telemedizinangebote in Apotheken und Gesundheitskiosken in Anspruch nehmen können. Das Fallzahllimit in der Telemedizin, das Ärzte dahingehend beschränkt, dass sie nur 30 % ihrer Patienten mittels Telemedizin betreuen dürfen, soll – wie bereits in der Corona-Pandemie – nun dauerhaft gestrichen werden.
  • Sämtliche Prozesse und Kommunikationskanäle sollen digitalisiert werden. Zum Beispiel sollen ab 2026 bereits 80 % der Kommunikationsvorgänge papierlos erfolgen. Hinzu kommt ein Messenger-Dienst, mit dem Leistungserbringer und Patienten kurzfristig und unkompliziert Nachrichten austauschen können.
  • Die Nationale Agentur für Digitale Medizin, besser bekannt als die Gematik, soll verstaatlicht und in eine Digitale Gesundheitsagentur fortentwickelt werden.
  • Nachdem der Start des E-Rezepts holprig verlief und einige Testläufe abgebrochen wurden, soll das E-Rezept im Jahr 2024 bundesweit ausgerollt werden.
  • Ein einheitlicher Rechtsrahmen mit Standards und datenschutzrechtlichen Aspekten soll eine rechtssichere Nutzung von Gesundheits- und Pflegedaten für die Versorgung und Forschung ermöglichen. Dazu soll insbesondere eine einheitliche Auslegung des nationalen und europäischen Datenschutzrechts gefördert werden, die sich in anderen EU-Staaten mit bereits implementierten guten Praktiken orientieren soll (z.B. Findata in Finnland). Die Neuausrichtung des Rechtsrahmens soll zum Ziel haben, eine Balance zwischen Regulierung und Wettbewerb zu schaffen, um Innovationen zu fördern und bürokratische Hürden abzubauen.
  • Eine neue federführende Datenschutzaufsicht soll eine einheitliche Vorgehensweise bei der Überwachung des Datenschutzes im Gesundheits- und Pflegewesen ermöglichen, um die Datennutzung zu Versorgungs- und Forschungszwecken sicher und anwendbar zu gestalten.
  • Durch verbindliche Standards und Vorgaben zur Interoperabilität und IT-Sicherheit, die Akteure gleichermaßen erfüllen müssen, sollen Dateninfrastrukturen miteinander verbunden und harmonisiert werden. Register-, Versorgungs- und Forschungsdaten sollen dabei über eine vernetzte Gesundheitsdaten-Infrastruktur des Forschungsdatenzentrums Gesundheit (FDZ) zentral verknüpft und Forschungsvorhaben zweckgebunden zur Verfügung gestellt werden. Dabei können Daten mit einem sog. Forschungspseudonym versehen werden, um sie zu Forschungszwecken mit anderen Daten zu verknüpfen. Ziel ist es dabei, die Vielzahl und hohe Wertigkeit von Register-, Versorgungs- und Forschungsdaten besser nutzbar zu machen und so die deutsche Forschungsdatenlandschaft zu stärken, indem eine einheitliche und international anerkannte Dateninfrastruktur errichtet wird.
  • Vorhandene Register-, Versorgungs- und Forschungsdaten sollen nicht nur für öffentliche Forschungsvorhaben, sondern auch für die private Industrie verfügbar gemacht werden, sodass die Entwicklung neuer Technologien und maßgeschneiderte Versorgungsangebote datenbasiert vorangetrieben wird. Langfristig sollen insbesondere auch personalisierte Präventionsangebote aufgrund bevölkerungsweiter Datenanalysen möglich sein. Den Datenzugang soll eine zentrale Datenzugangs- und Koordinierungsstelle verwalten. Dabei soll allerdings und selbstverständlich der Patient im Mittelpunkt stehen und jederzeit über die Nutzung und den Verbleib seiner Daten entscheiden (Opt-out-Lösung) und sie auch einsehen können.

Unser Fazit

Es ist bezeichnend für den Status quo unseres Gesundheitssystems, dass eines der ersten Beispiele für eine Verbesserung der Prozesse der Austausch des Papierversandes von Dokumenten durch elektronische Kommunikation und die Ausweitung telemedizinischer Angebote ist. Das zeigt, wie überfällig die vorliegende Digitalisierungsstrategie ist. Es ist ein großer Fortschritt , dass die 30-Prozent-Limitierung für telemedizinischer Leistungen endlich aufgehoben werden soll. So wird eine Grundlage geschaffen, dass telemedizinische Angebote eine ernstzunehmende Ergänzung der Gesundheitsvor- und -versorgung werden. Ebenso sind die Pläne der flächendeckenden Einführung der ePA zu begrüßen, wenngleich die bis zum Jahr 2025 geplante 80-prozentige Nutzungsquote vor dem Hintergrund, dass die Grundlage für das ePA Anfang der 2000er gelegt wurde und seitdem nicht sonderlich viel passiert ist, ambitioniert erscheint. Gut ist weiterhin, dass der Minister nach einem holprigen Testlauf die verpflichtende Einführung des E-Rezepts wieder aufgenommen hat. Darüber hinaus ist auch das zentrale Pooling der eigenen Gesundheitsdaten mit niedrigschwelligem Einsichts- und Nutzungsrecht richtig und wichtig. Es dient nicht nur der eigenen Datensouveränität, sondern wird auch zu einem deutlich effizienteren Zusammenwirken der Leistungserbringer führen. Die Gematik soll verstaatlicht werden und bisherige Stakeholder (Ärzte, Spitzenverbände etc.) können dadurch naturgemäß weniger mitwirken als bisher. Darüber hinaus ist die Errichtung eines Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit und eines Kompetenzzentrums Digitalisierung und Pflege geplant. Fraglich bleibt, ob die strukturell-behördlichen Umgestaltungen wirklich alle sinnvoll sind oder ob auf die bestehenden Institutionen aufgebaut werden sollte.

Insbesondere die Öffnung der Datenverwendung für die Industrie ist ein Paradigmenwechsel, wenngleich – jedenfalls wenn datenschutzrechtliche Bestimmungen eingehalten werden – eine überfällige Lösung zu passgenauen Angeboten und Lösungen. Denn der Gesundheitsdatenschutz wurde in der Vergangenheit im Hinblick auf die nötige Digitalisierung in Deutschland viel zu restriktiv ausgelegt. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass die zersplitterte Gesetzgebung zum Gesundheitsdatenschutz nun abgebaut und die Datenschutzaufsicht zentralisiert werden soll. Es besteht berechtigte Hoffnung, dass datenschutzrechtliche Regelungen mit der neuen Digitalisierungsstrategie künftig deutlich innovationsfreundlicher ausgestaltet und ausgelegt werden. Andere EU-Länder, wie Finnland und Frankreich, gehen hier schon seit langem mit gutem Beispiel voran. Dies hat auch Minister Karl Lauterbach erkannt und betont die Notwendigkeit, über die nationalen Grenzen hinaus zu schauen. Mit Blick auf den EHDS werden wir ohnehin nicht umhinkommen, einen einheitlichen Rechtsrahmen im europäischen Kontext zu definieren. Dabei muss eine Balance zwischen praktischem Datenschutz und notwendiger Innovation zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung gefunden werden.

Die Digitalisierungsstrategie ist eine mutige Ankündigung einer digitalen Umwälzung des Gesundheitssektors. Sie hat das Potenzial, den Gesundheitssektor endlich in die Gegenwart zu holen. Minister Lauterbach möchte den Wandel mittels zweier großer Gesetzgebungsverfahren erreichen, nämlich das Digitalgesetz und das Gesundheitsdatennutzungsgesetz, die sich wohl beide in der Feinabstimmung befinden und kurzfristig vorgelegt werden sollen. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht bei Ankündigungen bleibt, sondern die Gesetzentwürfe den positiven Spirit der Strategie ausstrahlen. Das würde zu einer deutlichen Attraktivierung des Gesundheitsmarktes für Leistungserbringer und Anbieter digitaler Lösungen führen.

In dieser Serie

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