8. Mai 2025
Digital Health 360° – 5 von 38 Insights
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat am 20. Februar 2025 unter dem Aktenzeichen L 4 KR 196/23 KL erstmalig zur Preisermittlung bei digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) entschieden.
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), wie Software oder Apps zur Behandlung von Depressionen oder chronischen Schmerzen, wurden 2019 als neue Leistungsart in das Fünfte Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB V) aufgenommen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entscheidet über die Aufnahme einer DiGA in das DiGA-Verzeichnis, was einer Zulassung gleichkommt. In der Erprobungsphase erfolgt die Vergütung mittels eines vom Hersteller vorgegebenen Preises (= Herstellerpreis). Ab dem 13. Monat erfolgt die Vergütung nach der Vereinbarung zwischen dem Hersteller und dem Spitzenverband Bund für Krankenkassen (=Vergütungsbetrag). Bei Uneinigkeit entscheidet eine hierfür gebildete Schiedsstelle. Die Schiedsstelle entscheidet unter freier Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des jeweiligen Anwendungsgebietes (§ 134 Abs. 2 S. 3 SGB V).
Die Schiedsstelle agiert als neutrales Gremium, das dann eingreift, wenn die Preisverhandlungen zwischen dem DiGA-Hersteller und dem GKV-Spitzenverband scheitern. Die Schiedsstelle bildet sich aus dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Hersteller von digitalen Gesundheitsanwendungen auf Bundesebene. Sie besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden und zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern sowie aus jeweils zwei Vertretern der Krankenkassen und der DiGA-Hersteller.
Das Ziel der Schiedsstelle ist es, einen fairen und angemessenen Preis zu bestimmen, wobei sie alle relevanten Informationen und Argumente von allen Seiten berücksichtigt.
Das vorgenannte Urteil betrifft eine DiGA zur Behandlung von Adipositas, für die ein Vergütungsbetrag von 218 Euro für eine Anwendungsdauer von 90 Tagen festgesetzt wurde. Die Herstellerin der DiGA wandte sich gegen den festgesetzten Vergütungsbetrag mit der Begründung, dass sie nur mit einem höheren Preis wirtschaftlich überlebensfähig sei. Das Landessozialgericht (LSG) wies jedoch die Klage weitgehend ab und bestätigte den Schiedsspruch. Dieser war durch den weitreichenden Ermessensspielraum der Schiedsstelle gedeckt und auch die teilweise offengelegten Rechenschritte zur Herleitung des Betrags gingen nicht zu ihren Lasten, selbst wenn einige Annahmen möglicherweise nicht zutreffend waren.
Die Klage hatte lediglich Erfolg für einen Zeitraum, in dem die DiGA nur zur Erprobung im DiGA-Verzeichnis aufgenommen war. Da die Schiedsstelle für diesen Zeitraum einen Betrag von etwa 185 Euro festgesetzt und dabei einen unzutreffender Sachverhalt zugrunde gelegt hatte, hat das LSG den Schiedsspruch aufgehoben und die Schiedsstelle zur erneuten Entscheidung verpflichtet. Das Ergebnis des erneuten Schiedsspruchs bleibt abzuwarten.
Die Entscheidungen der Schiedsstelle können zwar gerichtlich überprüft werden. Der Schiedsstelle ist aber nach § 134 Abs. 2 S. 3 SGB V ein weiter Entscheidungsspielraum eingeräumt, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Prüfung unterliegt, die im Regelfall über eine Willkürprüfung nicht hinausgeht.
Es ist dabei ausreichend, wenn die Schiedsstelle bei Festlegung des Schiedsspruchs ein Modell für die Preisfindung wählt, das nur andeutungsweise erläutert und nachvollziehbar ist. Eine detaillierte Begründung des Modells ist nicht erforderlich. Die Möglichkeit, dass andere Modelle überzeugender und plausibler sind, hat keinen Einfluss auf die Entscheidung.
Ein Schiedsspruch dient dem Interessenausgleich durch ein unabhängiges Gremium mit erheblicher Fachkompetenz und ist kompromissgeprägt. Die Kompromisstragung kommt insbesondere durch die paritätische Besetzung der Schiedsstelle zum Ausdruck. Gleichwohl kann im Einzelfall ein Schiedsspruch für den einzelnen Beteiligten als ungerecht empfunden werden.
Um die Unabhängigkeit dieses Gremiums zu stärken, ist es aber essenziell, auf eine volle gerichtliche Überprüfbarkeit zu verzichten.
Für DiGA-Hersteller führt die eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit der Entscheidungen der Schiedsstelle zu einer potenziell schwachen Verteidigungsmöglichkeit. Dies gilt besonders im vorliegenden Fall, in dem der Hersteller sowohl gegen die Zusammensetzung der Schiedsstelle als auch gegen die mangelnde angemessene Vertretung der DiGA-Hersteller argumentierte. Der erst im Gerichtsprozess erhobene Einwand zur Zusammensetzung der Schiedsstelle wurde vom Gericht als präkludiert verworfen.
Demzufolge sollte das Hauptaugenmerk der DiGA-Preisverhandlungen aus Sicht der Hersteller auf der Vereinbarung des Vergütungsbetrages mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen liegen und ein Schiedsspruch möglichst vermieden werden.
Im Fall eines absehbaren Schiedsspruches ist es wichtig, sich im Hinblick auf die Zusammensetzung der Schiedsstelle frühzeitig zu positionieren, um eine Präklusion zu vermeiden.
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