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12. April 2022

Digital Health 360° – 16 von 27 Insights

Elektronische Gebrauchsanweisung für Medizinprodukte – Anforderungen nach neuer Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226

  • In-depth analysis
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Autor

Irina Rebin

Senior Associate

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Irina Rebin

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Die Bereitstellung von Gebrauchsanweisungen für Medizinprodukte in elektronischer statt in Papierform richtet sich seit Januar 2022 nach der neuen Durchführungsverordnung (EU) 2021/2226 vom 14. Dezember 2021.


Zum Hintergrund der neuen Durchführungsverordnung

Vor Geltungsbeginn der Medizinprodukte-Verordnung 2017/745 (MDR) bestimmte sich der für die Herstellung und den Vertrieb von Medizinprodukten geltende regulatorische Rahmen nach den beiden Richtlinien 93/42/EWG vom 14. Juni 1993 (über Medizinprodukte) sowie 90/385/EWG vom 20. Juni 1990 (über aktive implantierbare medizinische Geräte). Die Möglichkeit der Bereitstellung einer Gebrauchsanweisung auch in elektronischer Form wurde Medizinprodukte-Herstellern bereits unter Geltung der vorgenannten Richtlinien durch die EU-weit einheitliche Verordnung (EU) 207/2012 vom 9. März 2012 eröffnet.

Um sicherzustellen, dass die Vorschriften hinsichtlich elektronischer Gebrauchsanweisungen an die neuen, seit dem 26. Mai 2021 vollumfänglich geltenden Anforderungen der MDR angepasst werden, hat dich der EU-Verordnungsgeber für eine Aufhebung der vormals geltenden Verordnung 207/2012 entschieden, deren Bestimmungen jedoch in weiten Teilen in die neue Durchführungsverordnung 2021/2226 teils wortgleich überführt und um einige wenige Neuerungen ergänzt. Wie schon ihre Vorgängerin aus dem Jahre 2012 setzt sich die neue Durchführungsverordnung zum Ziel, Umweltbelastungen durch Bereitstellung elektronischer Gebrauchsanweisungen für bestimmte Medizinprodukte zu vermeiden und die Kosten für die Medizinprodukteindustrie zu verringern, während zugleich das bereits bestehende Sicherheitsniveau beibehalten oder angehoben werden soll.

Für Medizinprodukte, die im Rahmen der Übergangsregelung des Art. 120 Abs. 3 MDR bis zum 26. Mai 2024 unter den Bestimmungen der beiden Medizinprodukte-Richtlinien in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden dürfen, sind noch die Anforderungen der vormaligen Verordnung 207/2017 zu beachten.

Notwendigkeit und Inhalt einer Gebrauchsanweisung nach der MDR

Die Gebrauchsanweisung eines Medizinprodukts umfasst alle vom Hersteller zur Verfügung gestellten Informationen, in denen der Anwender über die Zweckbestimmung und die korrekte Verwendung des betreffenden Produkts sowie über ggf. zu ergreifende Vorsichtsmaßnahmen unterrichtet wird. Sie wird zusammen mit dem Medizinprodukt bereitgestellt und ist grundsätzlich für Medizinprodukte aller Risikoklassen obligat. Lediglich ausnahmsweise eröffnet die MDR in ihrer Ziffer 23.1 lit. d in Kapitel III des Anhangs I die Option, für Produkte der Klassen I und IIa auf eine Gebrauchsanweisung zu verzichten, wenn die sichere Anwendung der betreffenden Produkte auch ohne Gebrauchsanweisung gewährleistet ist.

Während der Inhalt der Gebrauchsanweisung maßgeblich durch Ziffer 23.4, Kapitel III des Anhangs I zur MDR zu bestimmen ist, werden die Modalitäten der Bereitstellung einer Gebrauchsanweisung in elektronischer Form in der neuen Durchführungsverordnung 2021/2226 näher konkretisiert.

Anwendungsbereich: nur bestimmte Produktgruppen sowie beschränkter Anwenderkreis

Der Anwendungsbereich der neuen Durchführungsverordnung erfasst grundsätzlich Medizinprodukte nach der MDR mit Ausnahme der in Anhang XVI zur MDR aufgeführten Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung. Ausweislich der abschließenden Auflistung in Art. 3 Abs. 3 wird die Möglichkeit eines Umstiegs auf elektronische Gebrauchsanweisungen jedoch lediglich Herstellern der folgenden Produktgruppen eröffnet:

  • implantierbare und aktive implantierbare Medizinprodukte und Zubehör
  • fest installierte Medizinprodukte und Zubehör
  • Medizinprodukte und Zubehör, in die ein System zur Anzeige der Gebrauchsanweisung eingebaut ist.

Eine weitere Beschränkung findet sich in Bezug auf die Zielgruppe: Die vorgenannten Produkte dürfen ausschließlich für die Verwendung durch professionelle Nutzer bestimmt sein und mit einer Verwendung durch andere Personen muss nach vernünftigem Ermessen nicht gerechnet werden. Als „professionelle Nutzer“ werden nach Art. 2 Abs. 2 der Durchführungsverordnung Personen bezeichnet, die die Medizinprodukte in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit im Rahmen einer professionellen Gesundheitsdienstleistung nutzen.

Die wesentliche Neuerung im Vergleich zur vormals geltenden Verordnung 207/2012 besteht darin, dass sich die o. g. Beschränkung auf professionelle Nutzer nicht (mehr) auf medizinische Software erstreckt. Damit dürfen nach Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung Hersteller für Software, die durch Laien genutzt werden kann, eine Gebrauchsanweisung in elektronischer statt in Papierform mit Hilfe der Software selbst bereitstellen. 

Nicht vom Geltungsbereich der neuen Durchführungsverordnung umfasst sind hingegen In-vitro Diagnostika (IVD), die der kommenden Verordnung über In-vitro Diagnostika (EU) 2017/746 (IVDR) unterfallen. Im Kontext der Bereitstellung von Gebrauchsanweisungen für IVD bestimmt die IVDR in ihrem Anhang I, Kapitel III, Ziffer 20 lit. f, dass Hersteller von der Gebrauchsanweisung in Papierform abweichen dürfen, wenn das IVD lediglich für den beruflichen Gebrauch bestimmt ist und nicht für patientennahe Tests vorgesehen ist.

Dokumentierte Risikobewertung als Grundlage für die sichere Anwendung

Der Hersteller ist vor Bereitstellung der elektronischen Gebrauchsanweisung weiterhin zur Durchführung einer Risikobewertung verpflichtet, die zu dokumentieren und anhand der in der Zeit nach der Markteinführung gewonnenen Erfahrungen zu aktualisieren ist. Hierzu normiert die Durchführungsverordnung in ihrem Art. 4 einen Katalog an Mindestanforderungen für die Risikobewertung: Neben der Bewertung des Kenntnisstands und der Erfahrungen der Nutzerzielgruppen hinsichtlich der Verwendung des Produkts, des Nutzerbedarfs, der Hard- und Software, die zum Anzeigen der elektronischen Gebrauchsanweisungen benötigt wird, ist vom Hersteller inter alia eine Auseinandersetzung mit vorhersehbaren medizinischen Notfallsituationen, in denen Informationen in Papierform erforderlich sein könnten, sowie Auswirkungen eines zeitweisen Ausfalls der betreffenden Website und mögliche Sicherheitsmaßnahmen, die es erlauben, mit einer solchen Situation umzugehen, gefordert.

Eine Neuerung im Vergleich zu den bisher geltenden Anforderungen an die Risikobewertung findet sich in Art. 4 Abs. 1 lit. j und lit. k der Durchführungsverordnung, die eine Erweiterung der dem Hersteller auferlegten Bewertungskriterien um folgende Punkte vornehmen: 

  • Bewertung der Kompatibilität der Website bei der Darstellung der elektronischen Gebrauchsanweisung auf verschiedenen Geräten, die zur Anzeige dieser Gebrauchsanweisung verwendet werden könnten, sowie
  • Verwaltung der verschiedenen Versionen der Gebrauchsanweisung.

Weitere Anforderungen an die Bereitstellung einer elektronischen Gebrauchsanweisung

Neben der Durchführung der Risikoanalyse haben Hersteller einen umfangreichen Katalog an weitergehenden Anforderungen, normiert in den Artt. 5 bis 7 der Durchführungsverordnung, einzuhalten. Diese spiegeln dem Grunde nach die bereits geltenden Bedingungen unter der zuvor anwendbaren Verordnung 207/2012 wider und erstrecken sich unter anderem auf folgende Aspekte:

  • Der Hersteller muss über ein System verfügen, mit dem die Gebrauchsanweisung in Papierform dem Nutzer kostenfrei und spätestens innerhalb von sieben Kalendertagen nach Anforderungen durch den Nutzer bereitgestellt wird.
  • Für Produkte mit einem bestimmten Verfallsdatum (mit Ausnahme implantierbarer Produkte) sind Hersteller neuerdings verpflichtet, die elektronische Gebrauchsanweisung noch zehn Jahre, nachdem das letzte Produkt in Verkehr gebracht wurde, für die Nutzer bereitzuhalten, und mindestens zwei Jahre nach dem Verfallsdatum des letzten hergestellten Produkts. Für Produkte ohne bestimmtes Verfallsdatum sowie für implantierbare Produkte verbleibt es bei der auch zuvor geltenden Frist zur Vorhaltung der elektronischen Gebrauchsanweisung von fünfzehn Jahren, jedoch bestimmt sich der Fristlauf nunmehr nach dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens des betreffenden Produkts (Fristbeginn zuvor mit Herstellung des letzten Produkts).
  • Der Hersteller muss auch der Kennzeichnung des Produkts deutlich darauf hinweisen, dass die Gebrauchsanweisung des Produkts in elektronischer Form statt in Papierform zur Verfügung gestellt wird. Im Falle von Software sind diese Informationen an einer Stelle bereitzustellen, von der aus der Zugang zur Software gewährt wird.

Für den Fall, dass der Hersteller die elektronische Gebrauchsanweisung nicht auf einem zusätzlich zum Produkt gelieferten elektronischen Speichermedium zur Verfügung stellt oder die Anzeige der selbigen mittels im Produkt eingebauten Systems erfolgt, ist die elektronische Gebrauchsanweisung den Nutzern zudem auf einer Website zur Verfügung zu stellen, die den in Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung näher bestimmten Anforderungen genügen muss. Entscheidet sich der Hersteller, elektronische Gebrauchsanweisungen zusätzlich zur vollständigen Gebrauchsanweisung in Papierform zur Verfügung zu stellen, müssen die elektronische und die Papierform inhaltsgleich sein.

Als neue Anforderung, die Hersteller fortan zu erfüllen haben, ist die in Art. 5 Abs. 15 der Durchführungsverordnung normierte Pflicht zu nennen, wirksame Systeme und Verfahren zu implementieren, um sicherzustellen, dass die Nutzer die Produkte nach dem Herunterladen der elektronischen Gebrauchsanweisung von der Website über Aktualisierungen oder Korrekturmaßnahmen in Bezug auf diese informiert werden können. In diesem Kontext wird sich in der Praxis nicht nur die Frage nach der Implementierung geeigneter technischer Maßnahmen stellen, um dieser neuen Informationspflicht nachkommen zu können. Hersteller werden die hierfür vorgesehenen Maßnahmen auch aus datenschutzrechtlicher Perspektive zwingend kritisch prüfen müssen.

Stellt der Hersteller elektronische Gebrauchsanweisungen für seine Produkte bereit, so müssen diese zwingend auch auf der Website des Herstellers verfügbar gemacht werden. In welcher Sprache sie zu veröffentlichen sind, richtet sich dabei nach der nationalen Ausgestaltung desjenigen Mitgliedstaates, in dem das betreffende Produkt dem Nutzer zur Verfügung gestellt wird, vgl. Art. 5 Abs. 11 der Durchführungsverordnung. Darüber hinaus sind alle herausgegebenen historischen elektronischen Versionen der Gebrauchsanweisungen auf der Website verfügbar zu machen. 

Fazit

Im Lichte der fortschreitenden Digitalisierung auch in Gesundheitssektor sind die Neuerungen der Durchführungsverordnung 2021/2226 im Vergleich zu den vormals geltenden Bestimmungen marginal, räumen Medizinprodukte-Herstellern insbesondere nicht die Möglichkeit des vollständigen Verzichts auf die Gebrauchsanweisung in Papierform ein. Diese muss als „Back-up“-Lösung und auf Anforderung der Nutzer stets verfügbar gemacht werden.

Lediglich die Bereitstellung der Gebrauchsanweisung in elektronischer Form für medizinische Software zum Zwecke der Anwendung auch durch Laien stellt eine begrüßenswerte Korrektur des Verordnungsgebers dar und wird unter anderem im Rahmen der Bereitstellung von Apps, die aufgrund ihrer Zweckbestimmung als Medizinprodukte zu qualifizieren sind, eine Erleichterung für den Hersteller mit sich bringen.

Eine intensive Auseinandersetzung mit den Bestimmungen der neuen Durchführungsverordnung ist nicht nur Medizinprodukte-Herstellern anzuraten, die bereits unter Geltung des bisherigen Rechtsrahmens von der Möglichkeit der elektronischen Gebrauchsanweisung Gebrauch gemacht haben. Die Implementierung der neuen Vorgaben ist auch dann lohnenswert, wenn Produkte aus dem Produktportfolio zum einen mit umfangreichen Gebrauchsanweisungen ausgestattet sind, zum anderen auch in Ländern außerhalb der EU vertrieben werden, in denen die Bereitstellung der Gebrauchsanweisung ebenfalls in elektronischer Form regulatorisch zulässig ist.

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