23. Mai 2025
Veröffentlichungsreihe – 3 von 5 Insights
Die zunehmenden geopolitischen Spannungen haben zu einem grundlegenden Wandel in der europäischen und deutschen Sicherheitspolitik geführt. Die europäische Verteidigungsfähigkeit herzustellen, ist wichtiger denn je. Infolgedessen steigen die internationalen Verteidigungsbudgets erheblich: Zwischen 2021 und 2024 erhöhten sich die jährlichen Verteidigungsausgaben der EU-Mitgliedstaaten um mehr als 30 % auf 326 Mrd. EUR. Bis 2027 könnten sie um weitere 100 Mrd. EUR anwachsen.
Auch die europäische Rüstungsindustrie profitiert von dieser Entwicklung. Ihr Umsatz stieg zwischen 2021 und 2023 um fast 30 % auf 158,8 Mrd. EUR – eine Verdopplung wäre möglich gewesen, hätte es ausreichende Produktionskapazitäten gegeben. Angesichts der anhaltend hohen Nachfrage, dürfte die Branche weiter wachsen. Während andere Industriezweige mit stagnierendem Wachstum kämpfen, erlebt der Verteidigungssektor einen Boom.
Aber auch die Rüstungsindustrie, insbesondere Systemhäuser, sieht sich Herausforderungen gegenüber. Angesichts des steigenden Bedarfs sind diese Unternehmen dringend auf zusätzliche Produktionskapazitäten und qualifiziertes Fachpersonal angewiesen.
Dies macht die Branche zunehmend attraktiv für Unternehmen aus zivilen Industrien. Ein Markteintritt verspricht erhebliche Wachstumschancen – insbesondere für Unternehmen aus krisengeplagten Sektoren wie der Automobilindustrie, die dadurch strategische Alternativen zur Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen erhalten.
Der Einstieg in den hochregulierten Verteidigungssektor bietet große Wachstumschancen, stellt Unternehmen jedoch auch vor eine Reihe komplexer Herausforderungen.
Der Zugang zum Rüstungsmarkt wird maßgeblich durch politische Rahmenbedingungen und Ausschreibungsverfahren bestimmt. Ein erfolgreicher Markteintritt erfordert daher den gezielten Aufbau von Beziehungen zu Regierungsbehörden und zentralen Akteuren der Rüstungsindustrie. Besonders herausfordernd ist der Zugang zu NATO-Armeen, da hohe Hürden und komplexe Vergabeverfahren den Markteintritt erschweren.
Die Anforderungen an Prozesse, Materialien, Fertigungstechniken und Qualitätsstandards in der Rüstungsindustrie unterscheiden sich erheblich von denen vieler ziviler Industriezweige. Unternehmen müssen ihre Produktionsprozesse anpassen und in hoch spezialisierte Technologien investieren. Der Aufbau der benötigten Infrastruktur und Kompetenzen erfordert beträchtliche finanzielle Mittel, was insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine Hürde darstellen kann.
Obwohl die Akzeptanz des Verteidigungssektors in den vergangenen Jahren zugenommen hat, steht die Rüstungsindustrie häufig im Zentrum öffentlicher Debatten über ethische und moralische Fragestellungen. Unternehmen müssen sorgfältig abwägen, wie sie mit den potenziellen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit im Verteidigungssektor auf ihre Marke und Reputation umgehen.
Unternehmen, die einen Einstieg in den hochregulierten Verteidigungssektor erwägen, müssen zudem zahlreiche gesetzliche und regulatorische Vorgaben beachten.
Beispielsweise unterliegt die Bundeswehr als Auftraggeber dem öffentlichen Preisrecht, was für Unternehmen bedeutet, dass sie bestimmte Nachweispflichten in Bezug auf die Preisgestaltung erfüllen müssen und Grenzen der Preissetzung unterliegen. Insbesondere die Argumentation und Abstimmung der anwendbaren preisrechtlichen Regelungen mit dem öffentlichen Auftraggeber (auch in der Zulieferkette) kann wesentlichen Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit von Aufträgen haben.
Hinzu kommen spezifische Vorschriften im Vergaberecht für Verteidigungs- und Sicherheitsaufträge, insbesondere im Zusammenhang mit der beschleunigten Vergabe gemäß dem Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG). Diese Praxis ermöglicht es der Bundeswehr, Direktvergaben vorzunehmen, was jedoch das Risiko mit sich bringt, dass Mitbewerber übergangen werden und der Rechtsschutz erschwert wird.
Im Bereich der Exportkontrolle gelten strenge gesetzliche Vorgaben, die sicherstellen sollen, dass militärische Güter nicht in Konfliktregionen oder an nicht-autorisierte Akteure gelangen. Unternehmen müssen auch internationale Sanktionen beachten, die den Handel mit bestimmten Staaten oder Organisationen einschränken und bei Verstößen erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen können.
Darüber hinaus erfordert das Kriegswaffenkontrollrecht für Produkte, die als Kriegswaffe eingestuft werden, jeweils entsprechende Genehmigungen. Unternehmen müssen sich daher intensiv mit den relevanten rechtlichen Vorschriften auseinandersetzen, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Laut Koalitionsvertrag wollen Union und SPD in besonders kritischen Bereichen jedoch wieder verstärkt auf Vorhalteverträge und Abnahmegarantien setzen, was Investitions- und Planungssicherheit fördert.
In Bezug auf bestehende Lieferantenbeziehungen müssen Unternehmen ihre Verträge prüfen und anpassen, um neue rechtliche Vorgaben zu Produktsicherheit und Sorgfaltspflichten (LkSG) zu berücksichtigen. Compliance-Maßnahmen wie Lieferantenaudits und Geheimhaltungsvereinbarungen sind entscheidend, um rechtliche Risiken zu minimieren.
Der Umgang mit eingestuften Unterlagen bzw. Verschlusssachen unterliegt strengen Vorschriften, die im „Geheimschutzhandbuch für die Wirtschaft“ (GHB) geregelt sind. Dieses Handbuch legt fest, wie Staatsgeheimnisse bzw. Verschlusssachen zu schützen sind und wer Zugang zu diesen Informationen haben darf. Insbesondere beim Einsatz von IT müssen strenge Sicherheitsmaßnahmen getroffen und Datenschutzanforderungen beachtet werden. Ferner sind in gewissen Bereichen entsprechende Sicherheitsüberprüfungen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz erforderlich, das auch Auswirkungen auf den Einsatz von bestimmten Mitarbeitenden haben kann (insbesondere auch im Bereich der Staatsangehörigkeiten).
Kooperationen und Joint Ventures sind im Verteidigungssektor weit verbreitet, doch es gilt Wettbewerbsbeschränkungen zu verhindern oder zu rechtfertigen. Das Kartellrecht ist hier zentral. Der Austausch wettbewerblich sensibler Informationen zwischen (potenziellen) Wettbewerbern muss strikt geregelt werden, und eine Kartellrechts-Compliance ist unerlässlich.
Die Beziehung zwischen der Rüstungsindustrie und Finanzierung ist komplex, insbesondere im Hinblick auf Nachhaltigkeit. Seit vergangenem Jahr ist es jedoch auch sog. „ESG-Fonds“ möglich, bis zu 20% ihres Kapitals in nicht-nachhaltig beurteilte Bereiche zu investieren. Die Ausnahme betrifft nur völkerrechtlich geächtete Waffen, die als „umstrittene Waffen“ gelten.
Der Sicherheits- und Verteidigungssektor bietet in den kommenden Jahren erhebliches Wachstumspotenzial. Für Unternehmen aus wirtschaftlich angeschlagenen Sektoren, wie bspw. die Automobilindustrie, kann der Markteintritt eine strategische Chance zur Bewältigung wirtschaftlicher Herausforderungen sein. Um jedoch erfolgreich in diesen Markt einzutreten, müssen Unternehmen die komplexen regulatorischen, politischen und technologischen Herausforderungen meistern, die mit diesem hochregulierten Sektor verbunden sind. Ein fundiertes Verständnis der rechtlichen Vorgaben und eine sorgfältige Planung sind entscheidend, um erfolgreich und nachhaltig in der Rüstungsindustrie tätig zu werden.
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