Die Bundesregierung hat Ende Juni einen Referentenentwurf für das neue Bundeswehr-Planungs- und -Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) vorgelegt. Die Koalition will so ihr zentrales Versprechen umsetzen, noch vor der Sommerpause neue Regeln für beschleunigte Beschaffungen im Verteidigungsbereich auf den Weg zu bringen. Der Gesetzentwurf (BwPBBG) geht noch einmal deutlich über das geltende Beschleunigungsgesetz (BwBBG 2022) hinaus. Das BwBBG wurde von der Regierung Scholz 2022 als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erlassen. Durch das BwPBBG wird der Anwendungsbereich auf alle Bundeswehr-Bedarfe ausgedehnt, Erleichterungen zum regulären Vergaberecht eingeführt und der Bieterrechtschutz eingeschränkt. Mit der Ausnahme der Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und der beschlossenen deutlichen Erhöhung der Verteidigungsausgaben hatte die Bundesregierung zuvor bereits fiskalische Voraussetzungen geschaffen. Der Gesetzentwurf enthält folgende Eckpunkte:
1. Wesentliche Änderungen im Vergaberecht (Auswahl)
- Anwendungsbereich: Das Gesetz gilt nun laut § 1 für alle öffentlichen Aufträge zur Deckung von Bundeswehr-Bedarfen. Das (BwBBG 2022) erfasste nur "Militärausrüstung zur unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit" und zugehörige Bauleistungen.
- Keine Losaufteilung: Die grundsätzliche Pflicht zur Vergabe in Losen (§ 97 Abs. 4 GWB) wird ausgesetzt. Bisher war das nur bei Vergaben im Rahmen von Kooperationsprogrammen vorgesehen. Das BwBBG 2022 enthielt im Übrigen lediglich erleichterte Bedingungen für das Absehen von einer Losaufteilung (u.a. war eine Gesamtvergabe aus „zeitlichen Gründen“ möglich).
- Direktvergaben aufgrund „wesentlicher Sicherheitsinteressen“: Alle Beschaffungen, die dem Erreichen der europäischen Verteidigungsbereitschaft bzw. der NATO dienen, sollen grundsätzlich die nationalen wesentlichen Sicherheitsinteressen im Sinne von § 107 Absatz 2 GWB in Verbindung mit Artikel 346 AEUV berühren. Damit wird eine Direktvergabe bzw. ein nationales „Vergabeverfahren light“ ermöglicht. Insbesondere die Versorgungssicherheit soll von wesentlicher Bedeutung für die Sicherheit Deutschlands und die Stärkung der Verteidigungsbereitschaft sein. Allerdings bleibt es dabei, dass bei der Inanspruchnahme der Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB in jedem Einzelfall auch die weiteren Tatbestandsmerkmale des Artikel 346 AEUV zu prüfen sind, die neben der Betroffenheit wesentlicher Sicherheitsinteressen erfüllt sein müssen, um eine Ausnahme vom Vergaberecht zu begründen. Art. 346 AEUV ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Ein Mitgliedstaat der die in Art. 346 AEUV umschriebenen Ausnahmen in Anspruch nehmen möchte, muss nachweisen, dass die betreffenden Befreiungen nicht die Grenzen der genannten Tatbestände überschreiten (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.12.2023 - VII-Verg 22/23).
- „Direktvergaben“ bei Alleinstellungsmerkmalen: Die Möglichkeiten zur Durchführung von „Direktvergaben“ werden ausgeweitet. Nach § 4 Abs. 2 BwPBBG liegt auch dann ein technisches Alleinstellungsmerkmal vor, wenn nur Ausrüstung eines Herstellers zur bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat beschafften Ausrüstung kompatibel und so eine militärische Zusammenarbeit möglich wird. Hierdurch soll die unionsweite Kooperation im Bereich Verteidigung und Sicherheit gestärkt werden.
- Beschränkung auf EU-Bieter: Der Ausschluss von Bietern aus Drittstaaten ist laut § 11 nun grundsätzlich möglich. Bisher war das nur im Rahmen von EU-Kooperationsprogrammen bzw. mit entsprechender Begründung zugelassen. Der Ausschluss von Drittstaaten-Bietern war laut § 7 Abs. 2 BwBBG 2022 nur möglich, wenn der Staat "nicht die notwendige Gewähr für die Wahrung der Sicherheitsinteressen" bietet.
- Vorgabe EU-Wertschöpfungsanteil für Waren und Dienstleistungen: Auftraggeber können festlegen, dass ein bestimmter wertmäßiger Anteil der in Ausführung des Vertrages gelieferten oder sonst zum Einsatz gebrachten Waren oder erbrachten Dienstleistungen aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union stammen muss. Eine ähnliche Regelung gab es bisher lediglich im Sektorenvergaberecht (§ 55 SekVO). Die Neuregelungen dienen auch der Übernahme und Anpassung an die Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen C-652/22 (Kolin Inşaat Turizm Sanayi ve Ticaret) vom 22. Oktober 2024 sowie C-266/22 (CRRC Qingdao Sifang) vom 13. März 2025. Soweit die Europäische Union keine entsprechenden Regelungen zum Zugang für Bieter aus Drittstaaten erlassen hat, ist demnach Sache der einzelnen Auftraggeber, zu prüfen, ob Wirtschaftsteilnehmer aus Drittstaaten ohne internationale Übereinkunft mit der Europäische Union im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zu einem öffentlichen Vergabeverfahren zugelassen werden sollten.
- Bieter aus Staaten, die Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder des GPA-Abkommens sind oder bei Bietern aus Staaten, die mit der EU ein Freihandelsabkommen abgeschlossen haben, welches auf das konkrete Vergabeverfahren Anwendung findet, sind Bietern aus EU-Staaten jedoch gleichgestellt. Dies gilt ebenso für den Ursprung von Waren und Dienstleistungen. Insbesondere Bieter aus dem GPA-Mitgliedsstaat USA können sich damit grundsätzlich weiter an Vergabeverfahren beteiligen.
- Änderung bestehender Verträge und Rahmenvereinbarungen: Das BwBBPG führt erleichterte Regelungen für die Änderungen bestehender Verträge und Rahmenvereinbarungen im Zuge von Krisen sowie bei Änderung der Geschäftsgrundlage ein. Damit wird die Schwelle zur Neuausschreibungspflicht angehoben.
- Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Beschaffung klimafreundlicher Leistungen (AVV Klima) findet keine Anwendung.
- Fokus auf Innovation und KI
- Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Gesetzesbegründung als Beispiel für gravierende technologische Veränderungen aufgeführt. Dies rechtfertigt flexiblere Regeln, um innovative Beschaffungen zu erleichtern, etwa durch Lockerung des Ausschlusses "vorbefasster" Unternehmen.
- Die "Innovationspartnerschaft" wird als Vergabeverfahren für verteidigungsspezifische Aufträge eingeführt und schafft so einen passenden Rahmen für die Entwicklung von KI und Software. Bisher sind lediglich das nicht offene Verfahren und Verhandlungsverfahren (mit und ohne Teilnahmewettbewerb) sowie der wettbewerbliche Dialog zugelassen.
- Die angeregte Nutzung funktionaler Leistungsbeschreibungen soll die Beschaffung innovativer, nicht vorab spezifizierbarer Technologien ermöglichen.
2. Rechtschutz
- Rügeobliegenheit bei De-facto-Vergaben: Neu ist die Verpflichtung von Bietern, auch bei sog. De-facto-Vergaben (also vergabepflichtigen Aufträgen, die ohne Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens vergeben wurden) binnen zehn Tagen zu rügen (§ 15 Abs. 2 BwPBBG). Bislang konnten Wettbewerber in Fällen von De-facto-Vergaben bis zu einem halben Jahr nach Zuschlag einen Nachprüfungsantrag stellen und so ggf. die Rückabwicklung eines bereits gelebten Vertrags erreichen. Durch die neue Regelung soll der Druck auf die Bieter, bei Kenntnis von einer De-facto-Vergabe und Erkennbarkeit der Mängel, sofort aktiv zu werden erhöht werden, um so aufwändige Rückabwicklungen zu vermeiden.
- Beschränkung des Rechtschutzes: Einer der bereits im Vorfeld am kontroversesten diskutierten Punkte ist die Beschränkung des Bieterrechtschutzes. Die sofortige Beschwerde im Nachprüfungsverfahren hat keine aufschiebende Wirkung mehr, wenn der Antragsteller in erster Instanz bei der Vergabekammer unterliegt. Bisher hatte die sofortige Beschwerde nach § 173 Abs. 1 S. 1 GWB aufschiebende Wirkung, die von den Oberlandesgerichten unter Anwendung von § 173 Abs. 1 S. 3 GWB regelmäßig bis zum Abschluss des Beschwerdeverfahrens verlängert wurde. Folge des neu eingefügten § 16 Abs. 1 BwPBBG ist, dass nach Unterliegen des Bieters vor der Vergabekammer der öffentliche Auftraggeber nicht länger gehindert ist, mit dem Vergabeverfahren fortzufahren, insbesondere den Zuschlag zu erteilen. Ziel des Gesetzgebers ist es, vor dem Hintergrund der langen Dauer der Beschwerdeverfahren vor den Oberlandesgerichten eine Beschleunigung des Vergabeverfahrens zu erreichen. Kritiker bemängeln, dass diese Neuregelung zu einer erheblichen Verkürzung des Rechtsschutzes der Bieter führt, da diese nicht mehr im Wege des Primärrechtsschutzes die Zuschlagserteilung verhindern können, sondern bei Obsiegen vor den Oberlandesgerichten auf Basis einer Feststellungsentscheidung nach § 178 S. 3 GWB nur noch sekundärrechtlich Schadensersatz vor den ordentlichen Gerichten geltend machen können.
- Ein Vertrag kann bei Vergabeverstößen aus Verteidigungsinteressen im Nachprüfungsverfahren von der Vergabekammer aufrechterhalten werden. Die Nichtigkeitsfolge des § 135 Abs. 1 GWB tritt dann nicht ein. Auch hierbei handelt es sich de-facto um eine erhebliche Beschränkung von Bieterrechen. Als Ausgleich sieht der Gesetzgeber vor, dass die Vergabekammer alternative Sanktionen (z.B. Geldstrafen bis 10 % des Auftragswertes) zu verhängen hat, die „.wirksam, verhältnismäßig, und abschreckend“ sein sollen. Möglich ist auch eine Verkürzung der Laufzeit
des Vertrages.
3. Zeitplan
- Gesetzgebungsverfahren: Das Gesetz soll noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden.
- Laufzeit: Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft und ist befristet bis zum 31. Dezember 2035. Das Gesetzt läuft damit deutlich länger als das BwBBG (gilt bis 31. Dezember 2026).
- Die Aussetzung des Losgaufteilungsgrundsatzes (§ 8) ist kürzer befristet und läuft bereits am 31. Dezember 2030 aus.
- Eine Evaluierung des Gesetzes ist sieben Jahre nach Inkrafttreten geplant.
4. EU Recht
- Anpassungen des EU-Rechts: Die Bundesregierung stellt in dem Gesetzentwurf klar, dass aus dem BwPBBG keine strengeren Anforderungen an die Vergabe von Aufträgen für die Bundeswehr fließen sollen, als aus dem zugrundeliegenden Europarecht. Derzeit wird eine Reihe von europäischen Regelungen auf EU-Ebene verhandelt, die weitere Erleichterungen für den Bereich der Verteidigung enthalten werden. So sind Erleichterungen im Vergaberecht etwa in Artikel 34 und 34a des European Defense Industrial Programmes (EDIP) sowie in Artikel 18 und 19 der Security Action for Europe (SAFE) geplant bzw. vorgesehen (vgl. dazu unser Newsflash )
- Diese Erleichterungen sind als EU-Verordnungen in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in Deutschland. Sie sollen auch zur Auslegung der Richtlinie 2009/81/EG und ihrer nationalen Umsetzung so weit wie möglich herangezogen werden.
- Von besonderer Bedeutung ist schließlich der Juni 2025 von der Europäischen Kommission veröffentlichte Verteidigungs-Vereinfachungs-Omnibus, der weitere Erleichterungen gegenüber der Richtlinie 2009/81/EG enthält.