11. Oktober 2023
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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat erneut über die Zulässigkeit einer identifizierenden Verdachtsberichterstattung entschieden und deren Grundsätze erläutert (Urteil vom 20. Juni 2023, VI ZR 262/21 – Armenische Mafia). Zudem betont er die Wichtigkeit einer sorgfältigen Recherche und stellt die Ermittlungsverfahren anderer staatlicher Behörden denen der Staatsanwaltschaft gleich.
Der Entscheidung zugrunde lagen mehrere Berichterstattungen eines Nachrichtenmagazins sowie eines Rundfunksenders über den Kläger, der Botschafter der Republik Armenien in Deutschland war. In den von ihm angegriffenen Beiträgen ging es um die armenische Mafia und mögliche Verbindungen in höchste diplomatische und politische Kreise. In diesem Zusammenhang wurde auch der Kläger mehrmals namentlich erwähnt. Über die Rolle des Klägers berichteten die Beklagten dabei insbesondere mit Bezugnahme auf einen Bericht des Bundeskriminalamtes aus dem Jahr 2018 und einen Bericht des Bundesnachrichtendiensts von 2008. In diesen Berichten wurde er als ein sog. „Dieb im Gesetz“, also eine Führungsperson innerhalb mafiöser Strukturen, die an der unmittelbaren Ausführung von Aktivitäten nicht beteiligt ist, aber maßgeblichen Einfluss innerhalb der Organisation hat, bezeichnet. Außerdem enthielten die streitgegenständlichen Artikel Ausführungen zu einer Beteiligung des Klägers an möglichen Schleuser- und Geldwäschehandlungen, wobei die zugrundeliegenden Ermittlungsverfahren schon vor längerer Zeit eingestellt worden waren.
Nachdem das Landgericht Berlin die Beklagten antragsgemäß zur Unterlassung der Veröffentlichung der angegriffenen Passage verurteilt hatte (LG Berlin, Urteil vom 4. Juni 2019, 27 O 23/19), hob das Kammergericht das Urteil weitestgehend auf und verurteilte die Beklagten lediglich zur Unterlassung der Passage der angeblichen Stellung des Klägers als sog. „Dieb im Gesetz“ (KG, Urteil vom 15. Juli 2021, 10 U 68/19). Nach Auffassung des KG handelte es sich bei dieser Behauptung um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung, weil es an hinreichenden Anknüpfungstatsachen fehle. Dagegen hielt es die Äußerungen zur angeblichen Beteiligung des Klägers an Schleuser- und Geldwäschehandlungen für wahre Behauptungen, auf die die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung keine Anwendung fänden.
Der BGH hat das Urteil des KG aufgehoben und das erstinstanzliche Urteil des LG Berlin wiederhergestellt. Nach Ansicht des BGH handelt es sich auch bei der Berichterstattung über die angebliche Beteiligung des Klägers an Schleuser- und Geldwäschehandlungen um eine unzulässige Verdachtsberichterstattung. Aus Sicht des durchschnittlichen Lesers werde in der Berichterstattung der Eindruck erweckt, der Beklagte sei eine Mafia-Autorität und am illegalen Einschleusen von Ausländern sowie an Geldwäsche beteiligt gewesen. Damit werde der Verdacht der Begehung von Straftaten aufgestellt. Es gälten deshalb die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung. Diese seien nicht nur anwendbar, wenn es um Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft zu einer potentiellen Straftat gehe, sondern auch, wenn – wie im Streitfall - Ermittlungen anderer staatlicher Sicherheitsbehörden wie vorliegend des BND zugrunde liegen.
Für eine zulässige Verdachtsberichterstattung müssen nach ständiger Rechtsprechung des BGH die folgenden vier Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein (so zuletzt BGH, Urteil vom 31. Mai 2022, VI ZR 95/21):
Vorliegend fehlten nach Ansicht des BGH der notwendige Mindestbestand an Beweistatsachen. Im Übrigen sei die Darstellung auch nicht ausreichend ausgewogen gewesen.
Die Entscheidung des BGH ist begrüßenswert. Sie bestätigt einmal mehr die Rechtsprechung des BGH zu den Grundsätzen der identifizierenden Verdachtsberichterstattung, enthält darüber hinaus einige interessante Leitlinien und betont die Wichtigkeit einer sorgfältigen Recherche:
Interessant ist darüber hinaus, dass BGH und Kammergericht einen Großteil der Berichterstattung unterschiedlich bewerteten. Der BGH nimmt zurecht an, dass das Kammergericht zu geringe Anforderungen an eine zulässige Berichterstattung gestellt und die Annahme einer Verdachtsberichterstattung zu Unrecht abgelehnt hat. Im Hinblick auf die Schwere des Vorwurfs waren hohe Anforderungen an die tatsächlichen Anhaltspunkte für den geäußerten Verdacht zu stellen. Der BGH hat nun nochmals klargestellt, dass eine solche sorgfältige Recherche unerlässlich und für die Presse verpflichtend ist.
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von Antonia Deml
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