27. September 2023
Am 22. März 2023 hat die Kommission den Entwurf einer Green Claims-Richtlinie (GCD) vorgestellt. Die Richtlinie soll es Verbrauchern ermöglichen, auf der Grundlage zuverlässiger Informationen eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen, indem höhere Anforderungen an die Substantiierung, Kommunikation, Kennzeichnung und Verifizierung von Green Claims“ gestellt werden. Da der unionale Regelungsansatz nicht weiter nach Produktarten differenziert, ist auch die Werbung für Medizinprodukte betroffen. Umweltaussagen für Medizinprodukte wie „CO2-neutral“, „umweltfreundlich“ oder „recycelbar“ oder entsprechende bildliche Darstellungen werden damit in Zukunft deutlich komplizierter.
Gegenwärtig unterliegen umweltbezogene Angaben noch den allgemeinen Regeln der EU-Richtlinie 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern (UGP-Richtlinie) und der EU-Richtlinie 2006/114 über vergleichende Werbung. Explizite Vorgaben zu umweltbezogenen Angaben enthält das unionale Richtlinienregime indes nicht. Für die Werbung mit grünen Umweltaussagen gelten vielmehr in Deutschland bislang die allgemeinen Grundsätze des Irreführungsverbots im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Angesichts einer Studie von November 2020, die offenlegte, dass mehr als die Hälfte der umweltbezogenen Angaben nicht oder unzureichend begründet waren, sieht sich die Europäische Kommission nun aber dazu veranlasst, verbindliche Standards zur Werbung mit Green Claims auf EU-Ebene zu statuieren.
Der Richtlinienvorschlag soll zusammen mit dem bereits 2022 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucherinteressen die Richtigkeit und Transparenz von umweltbezogenen Werbeaussagen in der EU gewährleisten. So sollen Verbraucherinnen und Verbraucher größere Klarheit und mehr Sicherheit erhalten, dass etwas, was als umweltfreundlich angepriesen wird, auch tatsächlich umweltfreundlich ist. Insbesondere soll die GCD das sog. „Greenwashing“ adressieren. Nur Kleinstunternehmen (mit weniger als 10 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von nicht mehr als 2 Mio. EUR) sind von den Verpflichtungen des Vorschlags befreit.
Kern des Entwurfs sind zum einen tiefgreifende Vorgaben zur Substantiierung der getätigten umweltbezogenen Werbeaussagen. Der Vorschlag hält insoweit eine Vielzahl von Kriterien bereit, welche die Methoden zum Nachweis der Nachhaltigkeit erfüllen müssen. Bei der Bewertung der Nachhaltigkeit soll neben einem verpflichtenden auch ein freiwilliger EU-Rechtsrahmen geschaffen werden. Ferner soll der gesamten Lebenszyklus eines Produktes berücksichtigt werden und es soll Unternehmen ermöglicht werden, ihre umweltbezogene Angaben in Übereinstimmung mit den bisherigen EU-Methoden des Product and Organization Environmental Footprint (PEF/OEF), die vom Joint Research Center der Kommission auf Basis von Iso-Normen entwickelt wurden, zu tätigen. Weiterhin verpflichtet der Richtlinienvorschlag Unternehmen zur Angaben der Auswirkungen auf Grundlage der Product Environmental Footprint Category Rules (PEFCRs) oder Organisation Environmental Footprint Sector Rules (OEFSRs), um eine detaillierte Berechnung des ökologischen Fußabdrucks zu ermöglichen. Weiterhin soll die sog. „Schwarze Liste“ der UGP-Richtlinie um neue Einträge zu Umweltaussagen und Nachhaltigkeitssiegel erweitert werden. Behauptungen zum Umweltschutz und zu Umweltaussagen über eine künftige Umweltleistung sollen zudem eingehender beleuchtet und überwacht werden. Nach dem Richtlinienvorschlag soll der Irreführungstatbestand zukünftig auch die ökologischen und sozialen Auswirkungen, die Haltbarkeit und die Reparierbarkeit des Produkts als wesentliche Merkmale aufnehmen. So ist vorgesehen, dass eine Umweltaussage über eine künftige Umweltleistung als irreführend gilt, wenn diese ohne klare, objektive und überprüfbare Verpflichtungen und Ziele sowie ohne ein unabhängiges Überwachungssystem getroffen wird. Letztlich sollen mit der Umweltaussage auch alle diesbezüglichen Informationen für die Öffentlichkeit über einen Weblink, QR-Code oder Ähnliches zugänglich gemacht werden.
Im Mittelpunkt steht zum anderen ein Vorabprüfungsverfahren, in dem alle ausdrücklichen Umweltaussagen vor ihrer Verwendung von einer unabhängigen Konformitätsbewertungsstelle auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind. Diese akkreditierten Prüfstellen sollen von den Mitgliedstaaten eingeführt werden und – ähnlich der Benannten Stellen im Medizinprodukterecht – besondere Konformitätsbescheinigungen ausstellen, die dann unionsweit gültig sind. Mitunter lassen sich die medizinproduktrechtlichen sowie werberechtlichen Anforderungen sogar bei der gleichen Konformitätsbewertungsstelle zertifizieren.
Auch vergleichende Umweltaussagen für Medizinprodukte sollen von der Richtlinie umfasst werden. Vergleichende umweltbezogene Werbeangaben sollen nur dann zulässig, wenn
Gerade für den Sektor der Medizinprodukte dürften zu den ohnehin schon gestiegenen Marktzugangskosten im Falle von umweltbezogenen Vergleichsaussagen noch weitere Kosten entstehen, wenn in der Praxis Vergleichsstudien durchgeführt werden müssten, um einen vergleichenden Vorteil geltend machen zu können.
Zur Durchsetzung der Regelungen setzt der Vorschlag wie bisher vor allem auf die mitgliedstaatliche Überwachung. Der Vorschlag sieht aber auch vor, dass Dritte, die ein ausreichendes Interesse haben oder deren Rechte verletzt werden, gerichtlichen Rechtsschutz suchen können. Zudem soll die Richtlinie (EU) 2020/1828 über umweltgerechte Angaben einbezogen werden, so dass kollektive Rechtsdurchsetzungsmaßnahme in Form von Verbandsklagen möglich erscheinen. Bei Verstößen gegen die Anforderungen der geplanten Richtlinie bzw. der dann nationalen Umsetzung richten sich die Konsequenzen nach dem jeweils geltenden Wettbewerbsrecht. Mitbewerber und Verbände wie die Wettbewerbszentrale können werbende Unternehmen daher abmahnen und Unterlassung oder Schadensersatz fordern. Neu ist zudem, dass bei Verstößen gegen die neuen Umweltregelungen auch ein Bußgeld in Höhe von bis zu 4 % des Jahresumsatzes verhängt werden kann. In Bezug auf Medizinprodukte ist zu beachten, dass neben die Verbote aus dem UWG das spezielle Irreführungsverbot aus Art. 7 Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) tritt. Das Irreführungsverbot aus § 3 HWG findet im Zusammenhang mit Medizinprodukten keine Anwendung mehr.
Der Vorschlag ist aktuell Gegenstand zahlreicher Beratungen auf unionaler Ebene. Bis es jedoch zu Verabschiedung im unionalen Gesetzgebungsverfahren kommt und die Richtlinie dann noch ins jeweilige nationale Recht transformiert wurde, dürfte noch einige Zeit vergehen. Die Kommission selbst geht von einem Zeitraum von vier Jahren bis zur tatsächlichen Anwendung aus. In Verbindung mit dem Vorschlag für eine Richtlinie zur Stärkung der Verbraucherinteressen könnte der Vorschlag der GCD aber zu einem Umbruch in der Umweltwerbung für Medizinprodukte führen und die Branche auf dem Weg zu einer grünen Wirtschaft in Deutschland und Europa bereiten. Erst dann wird sich zeigen, ob sich umweltbezogene Werbeaussagen für Medizinprodukte überhaupt wirtschaftlich rechnen. Denn eines ist sicher: die Umsetzung des teilweise hypertrophen und bürokratischen Regulierungsvorschlages wird die Kosten für Medizinproduktehersteller erhöhen. Es ist auch keineswegs so, dass sich das bisher geltende Wettbewerbsrecht als zahnloser Tiger im Kampf gegen das „Greenwashing“ erwiesen hätte. Vielmehr sind insbesondere irreführende Green Claims bereits seit Jahren Gegenstand der wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung.
Co-Autor: Christoph Behm