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Sebastian Fischoeder, LL.M. (Trinity College Dublin)

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22. August 2022

Newsletter Marke-Design-Wettbewerb Oktober 22 – 7 von 8 Insights

Barrierefreiheit für Alle

  • Briefing

Ab 2025 müssen auch alle privaten Marktakteure – und nicht mehr nur öffentliche Stellen – Anforderungen an die Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen erfüllen. Dies trifft auch alle kommerziell betriebenen Webseiten und Onlinehändler. Unternehmen müssen die Einhaltung der detaillierten technischen Anforderungen selbst überprüfen, dokumentieren und dauerhaft vorhalten. Bei Verstößen drohen Abmahnungen und Bußgelder. Zur Konkretisierung der Anforderungen wurde kürzlich eine Rechtsverordnung erlassen. Ziel ist die Inklusion von Menschen mit Behinderungen und beeinträchtigtem Hör-, Seh- und Sprachvermögen.

Was ist das Neue am Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) werden zum ersten Mal auch private Marktakteure verpflichtet, die Barrierefreiheit ihrer Produkte und Dienstleistungen sicherzustellen. Mit dem Gesetz gehen zudem weitreichende Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten einher. Es tritt am 28. Juni 2025 in Kraft und verpflichtet Hersteller, Importeure, Händler und Dienstleister. Die bestehenden landesrechtlichen Regelungen, die bereits jetzt insbesondere Behörden und alle öffentlichen Stellen der Bundesländer zur Barrierefreiheit verpflichten, bleiben daneben bestehen. Hier kann es für bestimmte Marktakteure sogar zu – bislang noch weitgehend – ungeklärten Überschneidungen und einer doppelten Regulierung kommen.

Wen verpflichtet das Gesetz?

Das Barrierefreiheitsgesetz zählt die Produkte und Dienstleistungen abschließend auf, auf die es Anwendung findet. Dazu gehören bspw. Personal Computer, Notebooks, Smartphones, Tablets, einschließlich ihrer Betriebssysteme und E-Book-Lesegeräte, aber auch Selbstbedienungsterminals wie Geldautomaten und Fahrausweisautomaten. Als Dienstleistungen sind Telekommunikationsdienste, Webseiten und elektronische Ticketdienste für Luft-, Bus-, Schienen- und Schiffsverkehr, aber auch E-Books und Bankdienstleistungen genannt. Vor allem aber sind alle Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr erfasst – und zwar unabhängig vom Gegenstand der Dienstleistungen – und damit der gesamte Online-Handel. Werden die Produkte oder Dienstleistungen in Deutschland hergestellt, vertrieben, angeboten oder erbracht, gelten die Barrierefreiheitsanforderungen für Hersteller, Bevollmächtigte, Einführer, Händler sowie Dienstleistungserbringer. Lediglich Dienstleistungs-Kleinstunternehmen sind zum Teil ausgenommen oder unterliegen abgemilderten Pflichten.

Wie sehen die Barrierefreiheitsanforderungen genau aus?

Produkte und Dienstleistungen sind dann barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderungen ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Diese zentrale, aber sehr abstrakte Verpflichtung muss noch ausgefüllt werden. Die genauen Anforderungen werden durch eine Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) konkretisiert. Diese Verordnung ist kürzlich verkündet worden und tritt ebenfalls erst am 28. Juni 2025 in Kraft. Sie enthält ausführliche, aber weiterhin weitgehend abstrakte Anforderungen beispielsweise für Informationen zur Nutzung des Produkts oder für Produktverpackungen und Anleitungen. Danach müssen z.B. Informationen grundsätzlich über das Zwei-Sinne-Prinzip zur Verfügung gestellt werden, d.h. immer über zwei der drei Sinne Sehen, Hören und Tasten zugänglich sein. Es müssen Alternativen zu visuellen, auditiven, gesprochenen oder taktilen Elementen angeboten werden. Die Anforderungen sind für die einzelnen Produkte und Dienstleistungen speziell geregelt. So gelten beispielsweise für Personenbeförderungsdienste, Selbstbedienungsterminals und E-Books besondere Anforderungen.

Für die Verpflichteten stellen die weitgehend abstrakt formulierten Barrierefreiheitsanforderungen eine besondere Herausforderung dar. Das BFSG enthält allerdings Konformitätsvermutungen, die den Verpflichteten die Konkretisierung der zu erfüllenden Anforderungen erleichtern. Werden bestimmte technische Normen, die entweder auf Ebene der EU harmonisiert (harmonisierte Normen) oder Gegenstand von DIN- oder ISO-Standards sind (technische Spezifikationen), erfüllt, gilt eine Vermutung für die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen. Diese Konformitätsvermutung reicht allerdings nur so weit, wie diese Anforderungen von den betreffenden harmonisierten Normen oder technische Spezifikationen abgedeckt werden. Derzeit werden verschiedene neue technische Standards auf europäischer und auf nationaler Ebene erarbeitet.

Welche Besonderheiten gelten für den elektronischen Geschäftsverkehr?

Im elektronischen Geschäftsverkehr sind die Barrierefreiheitsanforderungen besonders vielfältig. Es müssen z.B. Informationen zur Barrierefreiheit der angebotenen Produkte oder Dienstleistungen bereitgestellt werden. Identifizierungs- und Zahlungsfunktionen müssen wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust gestaltet werden. Dies bedeutet weitreichende Anforderungen an die Gestaltung von Webseiten oder Apps und betrifft Gestaltungselemente wie Texte, Farben, Farbkontraste, Schriftgrößen, Zeilenabstände und Bilddarstellungen.

In diesem Zusammenhang wird für Dienstleister im elektronischen Geschäftsverkehr die harmonisierte Norm EN 301 549 V3.2.1 besonders bedeutsam werden. Diese harmonisierte Norm verweist auf eine ganze Fülle von Anforderungen der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die das World Wide Web Consortium (W3C) entwickelt hat, um Menschen mit Behinderung den Zugang zu Online-Inhalten zu ermöglichen. Die WCAG-Vorgaben dürften daher zum entscheidenden Kriterium bei der Beurteilung der Barrierefreiheit im elektronischen Geschäftsverkehr werden. Die WCAG geben beispielsweise vor, dass und welche Ersatztexte für nicht-textliche Inhalte (wie Abbildungen, Diagramme, Kontrollelemente) bereitzustellen sind. Die WCAG befassen sich beispielsweise auch damit, welche Farbkontraste zwischen Schrift- und Hintergrundfarbe bei unterschiedlichen Schriftgrößen einzuhalten sind. Die Einhaltung der Kontrastvorgaben wird bei zahlreichen Unternehmen zu Schriftgrößen- und Farbanpassungen führen. Vor allem wenn die Kunden an bestimmte Farbschemata gewöhnt sind, sind damit marketingrelevante Gestaltungselemente betroffen, die ggf. sogar über das Kennzeichenrecht oder das Lauterkeitsrecht Schutz genießen.

Welche Compliance-Anforderungen treffen die Wirtschaftsakteure?

In jedem Fall werden Unternehmen sich auf neue und aufwendige Produkt-Compliance einstellen müssen. Zu den Anforderungen an die Barrierefreiheit selbst kommen aufwendige Nebenpflichten auf die Marktakteure zu: Produkthersteller und Dienstleistungserbringer müssen selbstständig prüfen, ob die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt sind. Hersteller müssen ergänzend vor Inverkehrbringen eines Produkts eine technische Dokumentation erstellen, ein Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen, eine Konformitätserklärung abgeben und eine CE-Kennzeichnung anbringen. Dienstleistungserbringer müssen Informationen zur Verfügung stellen, wie Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt werden. Diese Pflichten müssen nicht nur bei der Markteinführung, sondern fortlaufend überprüft werden sowie anlassbezogen, wenn das Produkt oder die rechtlichen Anforderungen sich ändern. Das BFSG enthält Ausnahmen bei unverhältnismäßigen Belastungen. Zudem gelten die Barrierefreiheitsanforderungen nur, soweit deren Einhaltung keine grundlegende Veränderung der Wesensmerkmale des Produkts oder der Dienstleistung bedeutet. Beruft sich ein Wirtschaftsakteur auf eine gesetzlich vorgesehene Ausnahme zur Herstellung von Barrierefreiheitsanforderungen, muss er mindestens alle fünf Jahre überprüfen, ob dieser Tatbestand noch vorliegt.

Was sind mögliche Sanktionen?

Auf europäischer und auf nationaler Ebene werden Marktüberwachungsbehörden eingerichtet; in Deutschland sind die Bundesländer zuständig. Sie können bei Nichtbeachtung der Anforderungen Verwaltungsmaßnahmen ergreifen, die bis zur Untersagung der Dienstleistung führen können. Verstöße können mit Bußgeldern von bis zu 100.000 EUR sanktioniert werden. Verbraucher haben das Recht, selbst gegen Verstöße vorzugehen. Zudem steht registrierten Verbänden ein Verbandsklagerecht zu. Schließlich – und praktisch sehr bedeutsam – drohen bei Verstößen gegen die Barrierefreiheitsvorgaben und die Nebenpflichten Abmahnungen und einstweilige Verfügungen von Wettbewerbern. Solche Verstöße stellen Verstöße gegen Marktverhaltensregeln dar, die nach § 3a UWG von Mitbewerbern mit Unterlassungs-, Beseitigungs-, Auskunfts- oder Kostenerstattungsansprüchen durchgesetzt werden können.

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