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Henry Richard Lauf

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4. Oktober 2022

BGH zum Teilschutz bei einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Front kit II)

  • Briefing

Der Bundesgerichtshof hatte in diesem Rechtstreit (Urteil vom 10. März 2022, Az. I ZR 1/19) erstmals zu entscheiden, ob durch eine Fotoveröffentlichung eines Fahrzeuges ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmackmuster an einzelnen Bauelementen (hier Fronthaube, Frontspoiler etc. des Ferrari FXX-K) entstehen kann. Nachdem der BGH in einer früheren Entscheidung den Teilschutz für ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmackmuster grundsätzlich verneint hatte, bejahte er - nach einer zwischenzeitlich erfolgten - Vorlage an den EuGH nun den Teilschutz eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmusters für komplexe Erzeugnisse. Voraussetzung sei jedoch, dass die Erscheinungsform des Teils oder Bauelements bei der Offenbarung eindeutig erkennbar und abgrenzbar sei. Des Weiteren müsse die Erscheinungsform des Teils oder Bauelements geeignet sein, selbst einen eigenen Gesamteindruck hervorzurufen und dürfe nicht vollständig in dem Gesamteindruck des komplexen Erzeugnisses untergehen.


Vorgeschichte des BGH-Urteils

Dem Verfahren liegt ein Rechtstreit zwischen Ferrari als Klägerin und einem Hersteller von Tuning-Bausätzen (sog. „Body Kits“) als Beklagte zugrunde. Ferrari hatte am 02.12.2014 den limitierten Ferrari FXX-K der Öffentlichkeit mit folgenden Abbildungen in einer Pressemitteilung vorgestellt:

 

Der Ferrari FXX-K war auf 32 Exemplare limitiert bei einem Stückpreis von 2,2 Millionen Euro. Auf der Fronthaube des Ferrari FXX-K befindet sich u.a. ein „V“-förmiges Element und darunter ein in die Stoßstange integrierter, zweischichtiger Frontspoiler mit einem mittig angebrachten vertikalen Verbindungssteg, der den Frontspoiler mit der Fronthaube verbindet.

Die Beklagte vertreibt sog. „Body-Kits“ für den in den Stückzahlen nicht limitierten Ferrari 488 GTB. Beim vollständigen Umbau mit den „Body-Kits“ der Beklagten, der insgesamt ca. 143.000 Euro kostet, wird ein Großteil der sichtbaren Karosserieverkleidung ausgetauscht und hierdurch das Aussehen des Ferrari FXX-K übernommen. Die Beklagte stellte einen solchen Umbau unter der Bezeichnung "Mansory Siracusa 4XX" im März 2016 auf dem Genfer Autosalon vor:

Ferrari ist der Ansicht, die Beklagte verletze mit ihrem Angebot von Bauteilen ein zu ihren Gunsten bestehendes, nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmackmuster, welches mit der Veröffentlichung der Pressmitteilung vom 02.12.2014 entstanden sei. Hilfsweise hatte Ferrari Ansprüche aus lauterkeitsrechtlichem Nachahmungsschutz geltend gemacht. Das Landgericht Düsseldorf und auch das Oberlandesgericht Düsseldorf haben die Entstehung des nicht eingetragenen Geschmacksmusters verneint, indem sie auf das Fehlen einer „gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form“ abstellten.

Mit der zugelassenen Revision verfolgte Ferrari einen Teil seiner Klageanträge weiter. Der BGH hatte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) am 30.01.2020 zwei Fragen vorgelegt, die von diesem mit Urteil vom 28.10.2021 (Rs. C 123/20) dahingehend beantwortet wurden, dass dass mit der Veröffentlichung von Fotografien eines Fahrzeuges ein Geschmacksmuster an einem Teil oder an einem Bauelement desselben entstehen könne. Damit geprüft werden kann, ob die Erscheinungsform die Voraussetzungen der Eigenart erfüllt, sei es erforderlich, dass der Teilbereich des Erzeugnisses durch Linien, Konturen, Farben, Gestalt oder einer besonderen oberflächlichen Struktur klar abgegrenzt ist. 


Entscheidung des BGH

Der BGH urteilte hierauf, dass die auf das von Ferrari beanspruchte Gemeinschaftsgeschmackmuster gestützten Anträge mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht verneint werden können. Die von der Klägerin in Anspruch genommenen Teilbereiche des Ferrari FXX-K stellten Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses dar, nämlich eines industriell gefertigten Fahrzeugs. Ohne diese Teile, mit denen das Fahrzeug auseinander und wieder zusammengebaut werde, könne das Fahrzeug nicht bestimmungsgemäß verwendet werden. Nach der Entscheidung des EuGH kann ein nicht eingetragenes Geschmackmuster auch an Teilen eines komplexen Erzeugnisses entstehen, sofern dieses Teil oder Bauelement bei der Offenbarung eindeutig erkennbar ist. Der in Rede stehende Teil oder das Bauelement müssen daher klar abgegrenzt sein. Des Weiteren muss die Erscheinungsform dieses Teils bzw. Bauelementes geeignet sein, selbst einen eigenständigen Gesamteindruck hervorzurufen, d.h. es darf nicht vollständig in dem Gesamteindruck des komplexen Erzeugnisses untergehen.

Im Streitfall könne die Geschmacksmusterfähigkeit nicht mit der Begründung abgesprochen werden, es fehle an einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form. Vielmehr sei ein vom Gesamterzeugnis abgeleiteter Teilschutz als nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmackmuster möglich. Mit dieser Begründung wurde das Urteil aufgehoben und zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 

 

Praxistipps

Mit seiner Entscheidung hat der BGH nun klargestellt, dass das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster einen Teilschutz für einzelne Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses grundsätzlich ermöglicht. Dies ist bei einem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmuster (vgl. BGH GRUR 2012, 1139 - Weinkaraffe) nicht der Fall. Das eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster bietet nur Schutz für das angemeldete Gesamterzeugnis, nicht hingegen für einzelne Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses. Bei eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmustern müssen daher auch einzelne Teile oder Bauelemente gesondert angemeldet werden, um den Schutz für Teile oder Bauelemente in Anspruch nehmen zu können.

Der Teilschutz für das nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmackmuster setzt nur eine Veröffentlichung des Gesamterzeugnisses voraus. Die einzelnen Bauteile müssen nicht separat in eigenständigen Abbildungen veröffentlicht werden. Allerdings müssen die Bauteile, für die anschließend Gemeinschaftsgeschmackmuster (Teilschutz) in Anspruch genommen werden soll, deutlich erkennbar und von den anderen Bauteilen abgrenzbar sein. Des Weiteren müssen die Teile bzw. Bauteile einen eigenständigen Gesamteindruck begründen und dürfen nicht in dem Gesamteindruck des komplexen Erzeugnisses untergehen. Der Schutz des nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmackmusters endet jedoch drei Jahre nach der ersten Veröffentlichung in der EU. Um auch längerfristig Teilschutz für komplexe Erzeugnisse zu etablieren, verbleibt nur die Option, innerhalb der Neuheitsschonfrist zusätzliche Gemeinschaftsgeschmackmuster oder nationale Designs für einzelne Teile oder Bauelemente zur Eintragung anzumelden.

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